24h Le Mans: Zirkus Nissan

Kolumne von Yörn Pugmeister
Willkommen im Zirkus Nissan

Willkommen im Zirkus Nissan

Seit der Super Bowl - Nacht im Februar in den USA hält Nissan Autofans mit Kurzweil in Atem. In Le Mans lieferte das Werk 260 000 Zuschauern Zirkus pur.

30 Sekunden Spots kosteten in den Werbepausen des amerikanischen Super Bowl Anfang 2015 glatt 4,5 Millionen Dollar. Nissan gab sich üppig 90 Sekunden, löhnte 10 Millionen Dollar. Geschätzte 100 Millionen Zuschauer wurden dafür mit dem Filmchen einer schwierigen Vater-Sohn-Beziehungskiste traktiert, zu den Klängen von Harry Chapin’s Schnulze «Cats in the crawle». Ach so, auch die Ankündigung, dass man der überalterten Sportwagen- Gesellschaft in der Langstrecken Weltmeisterschaft die Harke zeigen und ihr im Juni in Le Mans den Garaus machen werde, wurde vollmundig kommuniziert.

Innovation nach Opas Art

Geschehen sollte das mit einem sensationell neuen Wagen, weil, wie Ben Bowly, der Konzept- Artist des Nissan GT-R LM Nismo, betonte, Innovation der Vater dieses Projektes sei.

So weit, so schlecht, besteht doch die Innovation in erster Linie aus einem Frontmotor und eine angetriebene Vorderachse. Ein System, dass es in Le Mans schon ab 1927 gab und an dem bis 1972 genau 128 Vorreiter von 14 Marken gescheitert waren. Dass die Japaner in das Gekröse unter der Fronthaube ihres Boliden auch noch eine Art KERS samt Elektro-Antrieb auf der Vorderachse pfropften, kann ausser Acht gelassen werden: das System funktionierte schon bei den ersten Testfahrten in Le Mans nicht und wurde deshalb nie in Betrieb genommen. Le Mans - Ikone Henri Pescarolo: «Nissan wollte ein revolutionäres Auto an den Start bringen, aber das Konzept stammt -im Gegensatz zu ihren märchenhaften Marketing-Ideen - aus dem vergangenen Jahrhundert». Vor Frankreich war das Auto bei den Läufen in Silverstone und Spa nicht angetreten, Chef Darren Cox träumte nur vom donnernden Aufschlag an der Sarthe.

Nissan - Stille an der Sarthe

Nichts donnerte, nach 15 Jahren Nissan Abwesenheit auch 2015 nichts.1986 erschienen die Japaner zum ersten Mal, fuhren 1990 eine Pole Position und die schnellste Rennrunde, kamen 1998 auf den dritten Podiumsplatz mit dem R390 GT1. Anno 1999 schafften sie mit dem R 391 nur ein paar Runden und entschwanden. In diesem Jahr nun sollte der in Santa Ana, Kalifornien, unter der Ägide des vergreisten Ex-Formel-1-Piloten Dan Gurney gebaute Bolide, höher gelangen als auf einen Drittplatz.

Die britische Mannschaft des japanischen Projektes, das in Indiana beheimatet ist, zeigte auch in der Bestückung der Räder Eigenheiten: Euer Merkwürden hat vorne 11 Zentimeter breitere Räder als hinten, rollt vorne auf 18 Zöllern und hinten auf 16‘‘ Rädern. Ein V6-Benzinmotor mit einem Doppelturbo hinter dem Fünfganggetriebe sollte den 870 Kilo schweren Wagen vorwärts zerren, nicht schieben. Fragen muss man sich allerdings, weshalb nicht Langstrecken-Experten wie Audi, Porsche oder Toyota schon auf das gleiche Konstruktionsprinzip verfallen sind, wenn es denn so sensationell ist.

Marketing statt Trainingszeiten

Eine Schamschwelle in punkto Selbstdarstellung kennt man bei den Sportherren von Nissan offenbar nicht. Fragt sich nur, was Carlos Ghosn, Chef von Renault-Nissan-Dacia, des viertgrössten Autoherstellers der Welt, zu dem grossmauligen Gebaren seiner Vasallen ausgerechnet in Frankreich sagen mag. Immerhin, als Blickfang schaffte es die amerikanische Japan-Ausgeburt als Vordergrund-Hauptmotiv auf alle Le Mans-Plakate des ACO: weil der Neuigkeit Priorität gebührt, wie es Pierre Fillon, Chef des ACO, so fein- wie tiefsinnig ausdrückt.

Dass Audi, Porsche und Toyota im Bild dahinter rollen, scheint ihn nicht zu stören. Allerdings: sehr viel weiter als auf tausende von Plakaten und Eintrittskarten schaffte es die eigenwillige Innovation in Le Mans nicht. Nach diversen Anläufen an beiden Trainingstagen kamen die drei nicht auf annehmbare Rundenzeiten, erreichten nicht einmal das 110 Prozent-Limit der LMP1-Kategorie. Rennleiter Eduardo Freitas griff daher zu einer in Le Mans noch nie dagewesenen, schändlichen Erniedrigung: er platzierte die drei Nissan LMP 1 in der Startaufstellung an das Ende der Kategorie LMP2 -Wagen. Sein Argument: «Dort können sie wenigsten kein Durcheinander für die richtigen Rennwagen anrichten».

Langer Weg zu Nichts

Den erfahrenen Spanier Marc Gené hatte das Team als Top-Piloten für die Saison engagiert, doch weise zog sich der Haudegen aus dem Tagesgeschäft zurück als es losgehen sollte mit der Fahrerei: nicht als Chauffeur sondern als Berater unterstützte er die titelsüchtigen Nissan-Marketing- Fanatiker.

Ansonsten gab es im Drei-Wagen- Stall pro Auto einen Rookie, diverse Neulinge und als einzigen festen Wert den Söldner Michael Krumm aus Deutschland, mit sechs Le Mans-Teilnahmen und zwei Podiums-Plätzen dort. Jann Mardenborough auf der Nr. 23 ging erst sieben Runden nach Start auf die Piste, seine Kupplung war implodiert. Vom 55. Platz rackerten sich er und seine Mannschaft nach 18 Stunden bis auf Position 44 vor. Ähnlich erfolgreich rannten der 45-jährige Krumm & Co hinter dem Sieg her – Platz 45, sechs Stunden vor Schluss. Nicht einmal so weit gelangte jenes Team, der die Nr.21 anvertraut war. Denen platzte gegen 1 Uhr morgens vorne rechts einer der fetten Reifen. Als sie die Boxe erreicht hatten, war der Vorderradantrieb irreparabel ruiniert.

Ungeachtet der Situation – zirkusreife Einlage ohne sportlichen Wert – wussten Japaner vor Ort stolz zu berichten, dass Nissan im nächsten Jahr mit noch mehr sensationellen Innovationen nach Le Mans kommen würden. Mit der gleichen Aufgabenstellung allerdings wie in diesem Jahr: Gesamtsieg

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