Speed ist nicht alles

Kolumne von Guido Quirmbach
Jedere der drei brachte seinen Beitrag zum Sieg

Jedere der drei brachte seinen Beitrag zum Sieg

Auf der Langstrecke ist langsam nicht unbedingt immer wirklich langsam.

Wer ist der Schnellste? Diese Frage stellt sich immer wieder in Sportarten, wo es um Geschwindigkeit geht. Im Motorsport ist diese Frage normal. Und dennoch im Langstreckensport beinahe deplatziert.

Vor einigen Wochen tauchte irgendwo mal die Liste auf, welcher LMP-Fahrer in diesem Jahr in der WEC die schnellsten Runden im Vergleich zu seinen Teamkollegen gefahren ist. So interessant die Liste ist, so wenig aussagekräftig ist sie.

Motorsport ist Teamsport, eine Floskel, die ich nur bedingt teile. Team im Sinne von der Crew, die das Auto vorbereitet, ganz sicher. Solange aber nur ein Fahrer am Steuer ist, geht es um exakt dieses Auto und den damit verbundenen Fahrertitel. Da ist die Frage nach dem Schnellsten durchaus angebracht.

Teilen sich zwei oder drei Fahrer ein Cockpit bei einem 6-, 12- oder gar 24-Stunden-Rennen, dann ist dies vergleichbar mit einem Staffellauf im Schwimmen oder der Leichtathletik. Jede Kette ist so stark wie das schwächste Glied. Wobei es auch hier im Schwimmen oder der Leichtathletik noch einfacher ist: Denn selten wird das Wasser während der 4x200m-Staffel noch nasser, wärmer oder kühler, und die Schwimmer haben vorgegebene, sehr enge Bahnen. Der Vergleich der einzelnen Staffelläufer ist also durchaus machbar. Bei Langstrecken-Rennen im Motorsport ist das etwas komplizierter.

Porsche-Werksfahrer Marc Lieb sprach vor vielen Jahren mal zu mir: «Warum willst du immer wissen, wer der Schnellste ist? Das interessiert hier nicht!» Sicher untertreibt der Ludwigsburger ein wenig, es würde ihn schon wurmen, wenn er die Zeit seines Teamkollegen sehen würde und die Gewissheit hätte, diese Zeit nie fahren zu können. Was ihm wohl kaum je passiert ist. Dennoch hat er natürlich recht. Was Lieb meint, ist im Sinne des gemeinsamen Erfolges über die Distanz seine Egos auszuschalten. Ich kann mich an ein Rennen in Valencia erinnern, wo Liebs Partner in den ersten Runden, nachdem er das Cockpit vom Ludwigsburger übernommen hatte, deutlich schneller war als der vermeintliche Teamleader. In der zweiten Hälfte brachen seine Rundenzeiten hingegen dramatisch ein, der Stint war insgesamt beinahe eine Minute langsamer als der von Lieb bei gleicher Rundenanzahl. Liebs Teamkollege hatte einfach die Reifen anfangs zu hart rangenommen, sie waren dann schnell hinüber. Es blieb die schnelle Runde, doch zu welchem Preis?

Alexander Wurz war beim 6-Stunden-Rennen von Fuji in diesem Jahr deutlich langsamer als seine Kollegen Nicolas Lapierre und Kazuki Nakajima. Wurz startete von der Pole-Position, die Kollege Nakajima rausgefahren hatte. Allerdings reglementsbedingt mit dessen Reifen aus dem Qualifying, die schon einige Runden auf dem Buckel hatten, einmal aufgeheizt und bereits wieder abgekühlt waren. Und damit fuhr der Österreicher einen Doppelstint am Anfang des Rennens. In seinem zweiten Stint kamen dabei die beiden Audi, die nach einem Stint neue Reifen ausfassten, immer näher, von annähernd dreissig Sekunden sank der Vorsprung auf 8 Sekunden beim fälligen Stopp. Obwohl er in der Statistik am Ende blöd aussieht, hatte Wurz seine Mission mehr als nur erfüllt: Sein Doppelstint war der Grundstein zum Heimsieg von Toyota. Obwohl der Wahl-Monegasse in den Rundenzeiten langsamer als die Kollegen war. Aber eben nie im Rennen in den Genuss neuer Reifen kam.

Bei deren ersten Le-Mans-Sieg 2011 sah Marcel Fässler im Vergleich zu seinen Audi-Teamkollegen André Lotterer und Benoït Treluyer schlecht aus. Womit man ihm unrecht tut: Denn der Schweizer fuhr in der Abenddämmerung auf nicht wirklich funktionierenden Reifen und bei aufgehender Sonne mit verschmierter Scheibe. Beide Male verzichtete er auf einen zeitraubenden Extra-Stopp und machte das Beste aus der Situation. Bei 13 Sekunden Vorsprung im Ziel kann man sagen, dass es wohl die richtige Entscheidung war.

Etwas ähnlich verhielt es sich in Fuji beim diesjährigen WEC-Lauf. Hier war Fässler nicht langsamer als Lotterer oder Treluyer, brauchte aber zu Beginn seines Stints etwas länger, um auf Touren zu kommen. Der Grund klingt beinahe nach Ausrede, erst recht auf dem vermeintlich einfachen Kurs von Fuji, ist es aber nicht: Dem Schweizer fehlte anfangs noch die Streckenkenntnis. Denn Streckenkenntnis bedeutet im Langstreckensport weit mehr als beispielsweise in der Formel 1, wo sofort jeder die Ideallinie sucht und die Rundenzeit sofort die Messlatte ist. Im Langstreckensport muss man in der LMP-Klasse vor allem lernen, wo man überrunden kann. In welcher Kurve kann man aussen an einem GT vorbei? Wo lässt es das Griplevel nicht zu, wo wird der Raum vielleicht eng, weil die GT eine andere Linie fahren? Wo versaue ich mir mit Rubber die Reifen? Fässler war erstmals in Fuji, Treluyer und Lotterer kannten hingegen die Strecke aus vielen Rennen der japanischen Super-GT. Da sich das Griplevel während eines Rennwochenendes meist ändert, helfen dort auch die Trainingsrunden nur bedingt, zumal auch da praktisch nie alle Fahrzeuge gleichzeitig auf der Strecke sind. Nach einer Anlaufzeit im Rennen war Fässler dann wieder bei der Musik.

In den Spitzenteams der LMP1 und der GTE-Pro sind in der Regel nur absolute Könner am Werk. Deren Leistungen im Rennen allerdings anhand von Rundenzeiten zu beurteilen, ist für einen Aussenstehenden enorm schwierig. Nur die Ingenieure der Einsatzteams wissen in der Regel, warum einer besonders schnell oder eben weniger schnell auf der Uhr war. Und natürlich gibt es auch aussergewöhnlich gute Leistungen, die vor allem dem Fahrer zuzuschreiben sind.

Eigentlich gibt es nur ein Kriterium zum Saisonende, das jeder versteht: Bleibt ein Pilot im Kader eines Werks, dann ist er wohl gut gewesen. Ist er nicht mehr dabei, waren langsamere Rundenzeiten wohl überwiegend nicht mit besonderen Einflüssen zu begründen ...

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