Franz Tost (Toro Rosso): Was die neue Formel 1 bietet

Von Mathias Brunner
​Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost (61) über die Erkenntnisse aus dem Barcelona-Test, über seine Fahrer Carlos Sainz und Daniil Kvyat, über die neue Formel 1 und anhaltende Probleme des Sports.
Franz, welches ist dein kraftvollster Eindruck vom Barcelona-Test?

Das sind die neuen Autos, die mit den breiten Reifen und der neuen Aerodynamik sehr aggressiv und dynamisch aussehen und die das auf der Strecke auch umsetzen. Ich stand an der Strecke und habe mir die Renner in einigen Kurvenpassagen angesehen. Die Kurvengeschwindigkeiten sind wirklich phantastisch. Da siehst du gut, wie die Formel 1 einen Riesenschritt nach vorne gemacht hat. Die Renner erreichen sagenhafte Kurventempi. Ich hoffe nur, dass da keiner entgleist. Das könnte problematisch werden.

Die Eine-Million-Euro-Frage: Wo steht Toro Rosso?

Wir sind gut im Mittelfeld platziert. Ich sehe Mercedes vorne. Ich sehe dahinter Ferrari und Red Bull Racing gleichauf. Dann mit einem Abstand Massa im Williams. Massa wird für uns wohl ausser Reichweite sein. Wie sich der junge Lance Stroll bewährt, werden wir sehen. Force India scheint eine Nuance schneller zu sein als wir, Renault liegt mit uns in der gleichen Liga, dazu kommen McLaren-Honda und Haas, über diesen zwei Teams stehen für mich nach den Tests noch einige Fragezeichen. Aber das werden unsere direkten Gegner sein.

Wieso hat es wiederholt Probleme mit dem Renault-Motor gegeben? Reden wir hier von Problemen beim Einbau?

Nein, mit dem Einbau hat das zum Glück nichts zu tun. Renault ist mit einem komplett neuen Motor gekommen. Die Probleme sind für mich nachvollziehbar bei einem neuen Aggregat – das sind Kleinigkeiten wie etwa eine Dichtung, die nicht hält. Dann gab es bei den anderen Renault-Teams Probleme mit dem Generator für die kinetische Energie. Da ging beispielsweise eine Welle kaputt, aber sie wissen, wo sie da den Hebel ansetzen müssen. Wir bei Toro Rosso hatten damit keine Schwierigkeiten. Ich bin aber davon überzeugt, dass Renault das bis zum Saisonstart alles unter Kontrolle haben wird und der Motor dann gut läuft.

Die Antriebseinheit ist sehr schön. Sie ist wesentlich durchdachter vom Einbau her, mit viel weniger Kabelsträngen und Leitungen, die quer durch den Motorraum führen. Das sieht alles sehr aufgeräumt aus, da haben die Franzosen einen guten Job gemacht. An der Haltbarkeit müssen sie noch arbeiten. Die Fahrer berichten, dass der Motor sehr fahrbar sei, Renault hat von der Leistungsentfaltung her einen grossen Fortschritt erreicht.

Sind alle Probleme vom ersten Test aus der Welt?

Noch nicht alle. Aber Renault weiss, was zu tun ist. Und sie verbessern sich ständig. Am zweitletzten Testtag zum Beispiel gab es bei uns mit dem Triebwerk nicht das geringste Problem.

Die hast vom Hebel gesprochen, den Renault ansetzen muss. Wo muss Toro Rosso zulegen?

Wir haben keine grosse Baustelle, aber überall kleine Haltbarkeitsproblemchen, die wir jetzt in den Griff bekommen müssen. Es gibt kein gravierendes Problem, nichts, was eine Neukonstruktion bedingen würde. Aber es sind halt Kleinigkeiten, und auch ein Pfennigteil kann dich ein Rennen kosten. Wir werden das bis Australien in den Griff bekommen. Wir hatten am zweitletzten Tag ein Auspuffproblem mit einer Schlauchschelle, das ist vorher noch nie aufgetreten. Dann gab es ein Problem mit der Batterie, auch das war zuvor noch nie aufgetreten. Solche Kinderkrankheiten gibt es noch einige. Wir konnten jeweils gleich wieder auf die Bahn gehen. Aber im Rennen hätte uns das die Zielankunft gekostet. Daran müssen wir arbeiten, mit kleinen Optimierungen.

Was lässt sich zur Leistung deiner beiden Fahrer sagen?

Die Fahrer sind momentan eine der stärksten Zutaten von Toro Rosso. Ich bin mit beiden Piloten sehr zufrieden. Sie haben uns gutes Feedback übers Auto gegeben, woran wir arbeiten müssen. Alles davon hat sich bewahrheitet. Es hilft uns, dass beide Piloten einen ähnlichen Fahrstil haben. Sie schildern auch Eindrücke vom Wagen fast identisch. Dadurch tun sich die Ingenieure leichter, Lösungen zu finden.

War das früher bei Carlos Sainz und Max Verstappen anders?

Nein, und das geht noch weiter: Die gegenwärtigen Fahrer bei Red Bull, also Daniel Ricciardo und Max Verstappen von Red Bull Racing sowie Daniil Kvyat und Carlos Sainz von Toro Rosso, sie haben alle einen ziemlich ähnlichen Fahrstil. Es ist nicht so, dass sie den Wagen exakt gleich abstimmen, da gibt es schon Unterschiede, aber im grossen Bild gehen sie in die gleiche Richtung.

Wer hat dich beim Barca-Test überrascht?

Ferrari. Die haben ein schnelles, haltbares Auto gebaut. Jedenfalls hier beim Test. Auch Red Bull Racing schaut sehr gut. Ich schätze, wenn Renault die entsprechende Power zur Verfügung stellt, dann wird RBR bei der Weltmeisterschaft ein ernstes Wörtchen mitreden. Dass Mercedes erneut ganz stark ist, war für mich keine Überraschung, und auch bei den anderen Teams erkenne ich keine Verschiebung, die mich verblüfft hätte.

Stichwort Überholproblematik. Die Meinungen im Fahrerlager gehen weit auseinander. Lewis Hamilton spricht davon, dass mehr Abtrieb bedeute, er könne dem Gegner weniger dichtauf folgen. Valtteri Bottas meint, die Autos würden mehr Luftwiderstand erzeugen, also könne er sich besser an den Rivalen ansaugen. Max Verstappen sagte, er könne die ganze Diskussion ohnehin nicht verstehen. Wo stehst du da?

An all den Aussagen ist etwas Wahres dran. Was Bottas gemeint hat, trifft auf die Geraden zu. Die Autos sind breiter, auch dank der fetten Reifen, da wird ein grösseres Vakuum entstehen, das erleichtert das Überholen, begünstigt durch den verstellbaren Heckflügel. Hamilton spricht von den Kurven. In mittelschnellen und schnellen Kurven wird der Hintermann nicht so nahe folgen können wie früher. Weil durch das Plus an Abtrieb mehr verwirbelte Luft entsteht, wir sprechen hier von «dirty air», schmutziger Luft. Da verliert der Verfolger auf der Vorderachse und gemäss der Schilderung unserer Piloten auch auf der Hinterachse Abtrieb.

Für den Kurs von Barcelona heisst das: In den schnellen Bögen der Kurven 3 und 9 geht schon mal gar nichts. Du kannst dort einfach nicht nahe genug aufschliessen, um auf der folgenden Geraden anzugreifen. Du musst dort Abstand halten, weil sonst dein Auto dermassen untersteuert, dass dir die Strasse ausgeht. Dann geht es runter zur Kurve 10, die ist zwar langsam, aber da bist du wegen Kurve 9 zu weit hinten. Auch in den Kurven 11 und 12 kannst du nicht nahe genug aufschliessen, weil du auch dort Probleme mit dem Abtrieb haben wirst. Wir haben dann aber eine ganz langsame letzte zweitletzte Kurve. Da ergibt sich die Chance aufzurücken, um dann auf der langen Start/Ziel-Geraden zu attackieren.

Aber dann haben wir das nächste Problem: Das Plus an Abtrieb hat dazu geführt, dass die Bremszonen markant kürzer geworden sind. Das sehe ich als Riesenproblem. Vorher waren es vielleicht 100 Meter, jetzt sind es 70. Du musst es schaffen, dein Auto schon vor der Bremszone neben den Renner des Gegners zu setzen. Wie das gehen soll, werden wir sehen.

Fazit: Ich bin skeptisch, wie sich das auf die Rennen auswirken wird. Ich fürchte, dass die Fahrer einen gewissen Abstand halten müssen. In Melbourne werden wir schlauer sein.

Die Autos sind markant breiter. Wird das zu mehr Zwischenfällen führen?

Ich glaube, die Fahrer werden sich sehr schnell an die neuen Masse des Autos gewöhnen. Probleme gibt es nur auf Kursen wie Monaco oder Singapur. Wenn dein Gegner nicht will, dass du überholst, hast du keine Chance. Er muss nicht mal in der Mitte der Strasse fahren, um das Überholen zu verunmöglichen. Gewisse Passagen in Baku werden auch schwierig. Das heisst: Das Qualifying wird noch wichtiger.

Wie sehr wird sich der Toro Rosso bis Melbourne noch verändern?

Da kommen noch ein paar Kleinigkeiten, aber nichts Markantes. Wir werden dann später grössere Veränderungen in einem Paket bringen. Wir gehören zu den weniger grossen Teams, wir können es uns nicht leisten, zu jedem Rennen neue Teile zu bringen. Wir müssen das sehr vernünftig angehen.

Du hast von mehr Synergien zwischen Red Bull Racing und Toro Rosso gesprochen. Kannst du das etwas genauer erklären?

Einer der Gründe, wieso wir wieder den gleichen Motor haben wollten wie Red Bull Racing, gehört genau zu diesem Thema. Wir wollen 2018 den kompletten hinteren Teil von Red Bull Racing übernehmen. 2017 ist das anders. Wir haben unser eigenes Getriebegehäuse gebaut, mit Innereien von Red Bull Technology. Für diese Saison ging das identische Heck nicht, weil wir eine komplett neue Modellgeneration haben. Red Bull Racing wollte bis zum letzten Tag im Windkanal arbeiten, die Fertigstellung des RBR-Autos erfolgte spät, da wäre uns die Zeit ausgegangen.

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