Zwischenbilanz nach Bahrain: Neue Formel 1 begeistert

Von Mathias Brunner
Lewis Hamilton und Sebastian Vettel: Wer sich mag, der neckt sich

Lewis Hamilton und Sebastian Vettel: Wer sich mag, der neckt sich

​Drei Formel-1-WM-Läufe sind ausgetragen – Australien, China und Bahrain. Die Zwischenbilanz darf sich sehen lassen. Wir sagen, was uns bislang gefällt und was uns noch ein paar Sorgen bereitet.

Die Mutter aller Fragen vor der Formel-1-WM 2017: Wird diese neue Formel 1, mit aggressiver aussehenden, schnelleren Autos, dafür sorgen, dass wir einen Herausforderer für Serien-Weltmeister Mercedes-Benz erhalten?

Spätestens nach dem Bahrain-GP haben wir die Antwort: Ja, und der Herausforderer heisst Sebastian Vettel im Ferrari.

Es wird noch besser: Red Bull Racing-Teamchef Christian Horner hat angekündigt, dass sein Team noch im ersten Saisondrittel die Lücke zu Mercedes und Ferrari markant verringern werde.

Von 2014 bis 2016 lautete die Frage vor fast allen Rennen der neuen Turbo-Ära: Welcher Mercedes-Fahrer gewinnt heute, Lewis Hamilton oder Nico Rosberg? Heute sieht es eher so aus, wie Sky-GP-Experte Martin Brundle vor dem Bahrain-GP festhielt: «Ich habe wirklich keine Ahnung, wie das heute ausgehen wird. Ist das nicht fabelhaft?»

Es steht im WM-Duell zwischen Sebastian Vettel und Lewis Hamilton nun 2:1, und ich behaupte: Dieser Zweikampf wird uns noch viel Freude machen.

Was mir dabei besonders gut gefällt: Zwischen den beiden ist viel Respekt zu spüren, die beiden finden ihr Duell fabelhaft. Mercedes-Teamchef Toto Wolff hat einen guten Vergleich gefunden: «Mich erinnert das an Federer gegen Nadal im Tennis – auf dem Platz wird um jeden Punkt gerungen, aber zwischen den Ausnahmekönnern dominiert dennoch eine Aura von echtem Sportsgeist.»

Lewis Hamilton geht auch mit seinem Stallgefährten völlig anders um als früher. Diese ständige Verkrampftheit wie mit Nico Rosberg ist weg.

Das bringt mich zu den Finnen.

Ich halte «Iceman» Kimi Räikkönen für ultra-cool und bin davon überzeugt, dass Valtteri Bottas in den kommenden Monaten Rennen gewinnen wird. Aber ich sehe die beiden nicht als Weltmeister 2017.

Ferrari ist nach langer Durststrecke wieder an der Spitze, das ist eine gute Nachricht für den Sport, denn kein Rennstall geniesst solche Sympathien wie die italienische Scuderia.

Aber Ferrari wird nicht immer darauf zählen können, dass Mercedes schwächelt wie in Bahrain. Sebastian Vettel sagt zwar immer in solchen Momenten «Hätte, hätte, Fahrradkette», aber auch ihm ist klar: Wenn Lewis Hamilton keine dumme Fünfsekundenstrafe verursacht, wenn Mercedes Bottas mit dem korrekten Reifendruck ins Rennen schickt, wenn Lewis Hamilton den Start nicht verbockt, wenn alle Schlagschrauber in der Mercedes-Box richtig funktionieren, wenn die Mercedes-Techniker die Abstimmung ihres Silberpfeils so hinbekommen, dass Hamilton und Bottas mehr aus den Pirelli holen können – dann hat Vettel kein so leichtes Spiel wie in Bahrain.

Dennoch bin ich davon überzeugt: Ferrari und Mercedes kämpfen auf Augenhöhe, und Nuancen werden jeweils den Ausschlag für Sieg oder Niederlage geben.

Spätestens in der zweiten Saisonhälfte wird die Standfestigkeit beim Duell Mercedes gegen Ferrari eine grosse Rolle spielen. Zur Erinnerung: Pro Fahrer und Saison dürfen nur noch vier Antriebseinheiten verwendet werden (2016 waren es fünf). Aber am Ferrari von Kimi Räikkönen überhitzte in Bahrain am Freitag ein Turbolader, der Finne brauchte einen neuen, sicherheitshalber wurden auch Verbrennungsmotor und MGU-H gewechselt. Und das sind nicht die einzigen Sorgen des Weltmeisters von 2007: In Australien gab es schon am ersten Tag eine neue Batterie sowie eine neue Steuereinheit. Bei Vettel war eine neue Elektronik fällig, sicherheitshalber wurden auch eine neue MGU-H eingebaut, ein neuer Lader und eine neue Batterie.

Zum Vergleich: Lewis Hamilton hat noch immer den ersten Motor eingebaut, kein einziges Element davon musste bislang gewechselt werden.

Wo ist der Speed hingekommen?

Wir sollten also die geilste, schnellste Formel 1 aller Zeiten erhalten. Was uns freut: Die Autos sind wirklich der Hammer, sie sehen schon im Stillstand schnell aus, und Gott sei Dank ist endlich unsere jahrelange Forderung nach fetteren Reifen erhört worden.

Aber wieso ist in Bahrain kaum schneller gefahren worden als im Jahr zuvor? War nicht die Rede davon, dass diese neue Formel 1 im Schnitt pro Runde vier Sekunden schneller sein werde?

Ex-Williams-Technikchef Pat Symonds weiss: «Die Vorgabe der FIA lautetete, dass auf der Piste von Barcelona als Richtwert um diese vier Sekunden schneller gefahren werden soll. Wir werden das meiner Meinung nach auch erreichen. Dank etwas mehr Leistung von den Motoren, vor allem jedoch zusätzlichen Abtriebs sowie durch mehr mechanischen Grip aufgrund der breiteren Reifen. Mehr Abtrieb und mehr Saugnapfwirkung der Walzen, das bedeutet aber auch mehr Luftwiderstand. Es wird Strecken geben, wie jetzt in Bahrain, da ist der Zeitgewinn weniger gross als die angestrebten vier Sekunden. Das Ganze ist Pistenlayout-abhängig.»

Red Bull Racing, der Riese erwacht

Die meisten Formel-1-Experten wie GP-Sieger Johnny Herbert haben sich im Testwinter gewundert: «Jetzt haben wir also eine neue Formel 1, die wieder Aerodynamik-bestimmt ist und weniger Motor-dominiert. Ich dachte – das ist doch ein Steilpass für Red Bull Racing, um von Saisonbeginn an mit Ferrari und Mercedes-Benz auf Augenhöhe zu fahren. Aber das ist nicht passiert. Ich rechnete mir dann aus, die kommen bestimmt mit einem grandiosen Evo-Paket nach Australien, die haben ganz bestimmt etwas in der Hinterhand. Aber das ist auch nicht passiert. Da frage ich mich schon, was schiefgelaufen ist.»

Jahrlang wurde in solchen Fällen Renault der Schwarze Peter zugeschoben, aber der vierfache GP-Sieger Daniel Ricciardo machte in verschiedenen Gesprächen klar: «Wir sind nicht nur wegen des Motor im Rückstand, wir müssen auch beim Chassis zulegen.»

Nun enthüllt Red Bull Racing-Teamchef Christian Horner, was möglicherweise dazu geführt hat, dass RBR unter Wert abschneidet: «Erstmals seit langer Zeit stimmen die Daten aus Flussdynamikberechnung, Windkanal und Rennstrecke nicht überein. Wir hatten drei unterschiedliche Datensätze.»

Der Engländer beteuert, dass die Probleme inzwischen gelöst seien, aber dass deswegen die Entwicklung neuer Teile länger als üblich gedauert habe. «Wir werden zum Spanien-GP in einen markanten Schritt nach vorne machen», kündigt Horner an.

Für Mai ist auch geplant, dass Renault eine verbesserte Version des 1,6-Liter-V6-Turbomotors bringt – wenn RBR einen planmässigen Motorwechsel vollzieht.

Grandiose Schlacht im Mittelfeld

Während sich Ferrari gegen Mercedes gegen Red Bull Racing zum Leckerbissen entwickelt, freuen ich die Fans auch über ein kunterbuntes Mittelfeld: Williams (mit Felipe Massa), Renault (mit Nico Hülkenberg), Toro Rosso, Haas und Force India balgen sich um die Ränge hinter den drei Top-Teams, dass den Fans die Tränen kommen. Die TV-Kameras müssen ihre Kämpfe nur noch öfter zeigen.

Williams und Renault arbeiten derzeit als Einwagen-Rennställe: Der 18jährige Lance Stroll ist bei Williams weiter ohne Punkte, selbst wenn zur Ehrenrettung des kanandischen Teenagers präzisiert werden muss, dass die Ausfälle in den Rennen nicht auf seine Kappe gehen.

Bei Renault macht Nico Hülkenberg aus dem überfordert scheinenden Jolyon Palmer Kleinholz. Ich würde jede Wette eingehen, dass 2018 jemand anders im Wagen neben Nico sitzt.

Toro Rosso hat ein hervorragendes Auto gebaut, Carlos Sainz kann damit weiter regelmässig in die Punkte düsen. Auch hier sehe ich das interne Team-Duell gegen Daniil Kvyat als entschieden an.

Haas und Force India machen aus ihren Möglichkeiten das Beste, Force India hat jetzt in allen drei Rennen beide Fahrer in den Punkten gehabt – das haben sonst nur Ferrari und Mercedes geschafft!

Sauber ist ein Sorgenkind: Den Schweizer fällt auf den Kopf, dass im Überlebenskampf 2016 viele gute Ideen auf Eis gelegt werden mussten. Doch das Auto wird nach und nach schneller werden, und Pascal Wehrlein wird dem erfahrenen Marcus Ericsson einige Knacknüsse präsentieren.

Und da ist noch McLaren-Honda: Jetzt mal ehrlich – ich verstehe einfach nicht, wie eine Firma vom Kaliber Honda im dritten Formel-1-Jahr einen so schlechten Motor bauen kann. Und ich bin in hervorragender Gesellschaft. Denn Fernando Alonso versteht es auch nicht.

Der Spanier hält sich nach drei Ausfällen in drei Jahren mit dem Einsatz beim Indy 500 bei Laune. Eine tolle Geschichte für den Sport. Und wenn es einen Piloten gibt, der sich in so kurzer Zeit an die Besonderheiten des grössten Nudeltopfs der Welt gewöhnt, dann ist es Fernando.

Das Problem Überholen ist verschoben

Erinnern Sie sich? Nach dem Australien-GP war das Geschrei laut: «Wir haben viel zu wenig Überholmanöver erlebt! Die neuen Autos sind Schuld! Wir müssen etwas unternehmen!»
Nein, müssen wir nicht: Schon in China hat sich gezeigt, dass mehr überholt wird. Gewiss, das lag auch an den Mischverhältnissen. Und natürlich an der überholfreundlicheren Strecke ausserhalb von Shanghai.

Aber Martin Brundle brachte sehr schön auf den Punkt: «Die Fahrer müssen umdenken. Früher hast du darauf gewartet, dass ein Gegner wegen Reifenproblemen langsamer wird oder ohnehin zur Box abbiegt. Oder du hast dich auf deinen verstellbaren Heckflügel verlassen. Nun haben wir auf der langen Geraden von Shanghai aber erkannt – selbst mit flach gestelltem Flügel ist es nicht so einfach, sich in den Windschatten des Gegners zu arbeiten. Also müssen sich die Piloten etwas einfallen lassen. Du musst dir den Gegner an einer gewissen Stelle zurechtlegen oder ihn mit einem Angriff überrumpeln. Ja, wir werden weniger Manöver als früher sehen, aber jene Attacken, die wir erleben, das sind richtige Angriffe, keine künstlichen, die nur wegen des Heckflügels zustande kommen.»

«Mir ist lieber, wir sehen eine Attacke, über die wir nachher begeistert diskutieren – statt dieses mühelosen Vorbeifahrens, das wir mit dem DRS oft erlebt haben. Da die Bremszonen kürzer geworden sind, müssen die Piloten auch hier erfinderisch werden. Mut und Einfallsreichtum sind gefragt.»

In Bahrain hat sich das bestätigt: Es ist durchaus möglich, am Vordermann dran zu bleiben, DRS ist in gewissen Passagen weniger effektiv als früher, aber das zwingt die Fahrer zum Improvisieren. Das ist für die Zuschauer prima.

Wie geht es weiter?

Russland ist keine Strecke, die für viele Überholmanöver bekannt ist, da dürfte eher Magerkost auf uns zukommen. Aber wie hat Sebastian Vettel völlig richtig festgehalten: «Nicht jedes Fussballspiel ist ein Knüller. Hin und wieder gibt es halt auch ein spannungsarmes 0:0. Aber deswegen machen wir ja auch nicht gleich die Tore grösser oder werfen einen zweiten Ball aufs Feld.»

Aber klar hat die Formel 1 bei aller Freude noch jede Menge Baustellen.

Der Sound lässt die meisten Fans weiterhin kalt.

Und der Expansionskurs von Formel-1-Grossaktionär Liberty Media muss zu denken geben: Da war davon die Rede, dass der Sport zu den Menschen müsse und dass die Autos vermehrt in den USA auftreten sollen, in Las Vegas oder Miami, in New York oder in Kalifornien. Und dass auf traditionelle Bahnen zurückgekehrt werde, ein Anfang ist mit Le Castellet/Frankreich 2018 gemacht.

Und dann posiert Formel-1-Chef Chase Carey mit dem türkischen Präsidenten Erdogan. Auf der prachtvollen Rennanlage in der Provinz ausserhalb von Istanbul kursierte damals der Witz: «Kennen sie den Unterschied zwischen den Rennen in Montreal und Istanbul? In Kanada kennt jeder Fan jeden Fahrer. Und in der Türkei kennt jeder Fahrer jeden Fan.»

Fakt ist: Die Formel 1 hat in der Türkei damals einfach viel zu wenig Leute interessiert. Wieso Liberty Media ernsthaft erwägen kann, diese Nullnummer wieder in den Kalender aufzunehmen, ist mir schleierhaft. Was kommt danach? Südkorea oder Indien?

Aber genug gespottet: Der Kurs der neuen Formel 1 stimmt.

Wir dürfen uns auf den weiteren Verlauf der Saison freuen.

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