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Der neue Mercedes W09: 7000 Bauteile für 1000 PS

Von Mathias Brunner
​Der 2018er Silberpfeil vom Typ 09 soll den fünften WM-Titel in Folge einfahren: Im Auto stecken tausend Jahre an Arbeitsstunden eines einzelnen Fachmannes und 7000 einzelne Bauteile.

Etwas mehr als einen Monat vor dem ersten Rennen der Formel 1-Saison 2018 hat Mercedes-Benz in Silverstone das neue Rennmodell vom Typ W09 EQ Power+ enthüllt. Die ersten Runden drehte der Finne Valtteri Bottas, am Donnerstagnachmittag sass dann Champion Lewis Hamilton erstmals im Silberpfeil.

Teampartner, Gäste und Medienvertreter verfolgten die Vorstellung des Teams in Silverstone, während Mercedes-Fans in aller Welt die Action bei der Enthüllung des neuen Formel 1-Autos in einem Online-Live-Stream mitverfolgen konnten. Das 2018er Auto soll ein neues Kapitel in der langen Rennsporttradition der Marke schreiben. Der F1 W09 EQ Power+ ist im Vergleich zu seinem Vorgängermodell auf jedem Gebiet eine Weiterentwicklung und wird das schnellste Formel-1-Auto in der Geschichte von Mercedes sein. Die Frage bleibt – wird es auch das schnellste Auto im Feld sein?

Der Mercedes W09 trägt erneut die Bezeichnung EQ Power+, die mit dem Vorjahresauto erstmals präsentiert wurde. Passend zur Namensgebung von Mercedes-AMG steht EQ Power+ für zukünftige Hybrid-Modelle der Marke. Das Formel-1-Team nahm diesbezüglich eine Vorreiterrolle ein, in dessen Fussstapfen das Mercedes-AMG Project ONE Showcar trat, das vergangenes Jahr in Frankfurt vorgestellt wurde. Mit der Bezeichnung EQ Power+ und seiner hochmodernen Hybrid Power Unit steht das Formel 1-Auto an vorderster Front der zukünftigen Mercedes-AMG Modellpalette. Ein Beispiel dafür, wie Formel-1-Technik die Zukunft des Motorsports und der Automobiltechnologie im Allgemeinen vorantreibt. 

Seit Mercedes mit den Arbeiten für das neue Auto begonnen hat, wurden fast 7000 Teile erstellt, mehr als 40.000 Komponenten Prüfungen unterzogen – und im Team-Restaurant in der Fabrik insgesamt 3150 Samstagmorgen-Frühstücke serviert. Freie Wochenenden? Fehlanzeige.
 
«Der Winter ist eine heftige Zeit», sagt der Technische Direktor James Allison. «Die Designgruppe muss mehrere hundert Designs pro Tag abliefern. Die gesamte Test- und Entwicklungsmannschaft sowie die Verantwortlichen für die Prüfstände müssen bereitstehen, wenn die Teile frisch von den Maschinen eintreffen. Dann müssen sie sie zusammensetzen und auf den hausinternen Prüfständen checken. Dadurch können wir in vertretbarem Rahmen sicher sein, dass alles solide genug ist, die richtige Form aufweist und zuverlässig funktioniert.»

Obwohl die Mannschaften in Brackley und Brixworth an verschiedenen Bereichen des Autos arbeiten, ist ihre Herangehensweise an die Entwicklung und den Bau des neuen Autos gleich. Der Gewinn beider Weltmeisterschaften im Vorjahr spielt keine Rolle dabei, wie sich die beiden Werke auf die Saison vorbereiten. Jedes Teammitglied weiss, dass das Punktekonto vor der Saison 2018 wieder auf null zurückgesetzt wird – und dass uns in diesem Jahr noch grössere Herausforderungen erwarten. 

Chassis extremer

«Wir versuchen, bescheiden zu bleiben und uns auf die grundlegenden Arbeiten zu konzentrieren, die wir schon immer erledigt haben», erklärt Andy Cowell, Geschäftsführer von Mercedes-AMG High Performance Powertrains und damit Rennmotorenchef von Mercedes. «Es gibt kein Geheimrezept für unseren Erfolg. Es ist schlicht und einfach ehrliche Ingenieursarbeit. Wenn jemand beispielwweise eine Idee hat, um die Reibung zu verringern oder die Effizienz bei der Verbrennung zu steigern, besprechen wir es offen und geradeheraus. Die Quelle für alle unsere Ideen ist die Kreativität, die Leidenschaft und die Begeisterung unserer Mitarbeiter.»
 
Das neue Auto ist mehr als eine Maschine, in ihm steckt ungefähr ein Jahrtausend an Arbeitsstunden eines einzelnen Fachmannes. Der W09 teilt sich einen Teil seiner Gene mit seinem Vorgänger. Der 2017er Mercedes Formel 1 erhielt wegen seiner gelegentlichen Unberechenbarkeit den liebevollen Spitznamen Diva. Nichtsdestotrotz war er das erfolgreichste Auto der vergangenen Saison. Für die Saison 2018 blieb das Aerodynamikreglement weitestgehend stabil. Aus diesem Grund entschied sich das Team dazu, einer ähnlichen Designphilosophie zu folgen, um die vielen Stärken des 2017er Autos weiterzuentwickeln und die Schwachpunkte auszumerzen. 
 
«Der Umgang mit unserem letztjährigen Auto war nie einfach, selbst auf Strecken, auf denen wir stark waren», sagt James Allison. «Wir konnten uns unseren Weg durch das Wochenende bis zu einem konkurrenzfähigen Ergebnis bahnen, aber es war niemals einfach. Wir hoffen, dass wir einige Eingriffe vorgenommen haben, damit wir Ingenieure und die Fahrer das Auto etwas besser verstehen und leichter erkennen, was wir tun müssen, um es abzustimmen." 
 
Das neue Auto bleibt den grundsätzlichen Designprinzipien seines weltmeisterlichen Vorgängers treu. Es behält den gleichen Radstand und besitzt einen leicht erhöhten Neigungswinkel von der Vorder- zur Hinterachse. Diesen Anstellwinkel (rake) hat Red Bull Racing-Technikchef Adrian Newey in der Formel 1 salonfähig gemacht. Die Arbeit mit einem bestens bekannten Regelwerk führte jedoch dazu, dass das Team beim Design in jedem Bereich extremere Wege einschlagen konnte. 

«Das Design ist generell viel eleganter als im letzten Jahr», findet James. «Im vergangenen Jahr waren die Regeln brandneu und wir waren uns nicht ganz sicher, in welche Richtung sie uns führen würden. Deshalb besass das letztjährige Auto etwas Spielraum, um gegebenenfalls Dinge anpassen zu können, sollten wir zu dem Schluss kommen, dass wir bestimmte Aspekte des Autos ändern mussten. In diesem Jahr waren wir etwas zuversichtlicher und konnten uns dadurch bestimmten Konzepten besser verschreiben. Die Bauform ist kompakter und wir schlugen extremere Wege ein.» 

Motor komplett überarbeitet

Die neue Antriebseinheit der Bezeichnung M09 EQ Power+ wurde unter Berücksichtigung der erheblichen Veränderungen im sportlichen Reglement für die Saison 2018 entwickelt. Die verringerte Anzahl an erlaubten Komponenten pro Fahrer und Saison (ohne eine Strafversetzung in Kauf nehmen zu müssen) führte dazu, dass die Zuverlässigkeit passend zur nun grösseren Nutzungsdauer der Komponenten erhöht werden musste. 
 
«Die Veränderungen an der Antriebseinheit sind in diesem Jahr beträchtlich», erklärt Andy Cowell. «Das liegt an einer Vielzahl von Gründen. Die grösste Herausforderung für uns ist, die Lebensdauer so zu erhöhen, dass wir nur noch mit drei Motoren sowie zwei ERS-Systemen pro Fahrer und Saison auskommen. Im Vergleich zum Vorjahr müssen die Komponenten 40 Prozent länger halten. Deshalb konzentrierten wir uns darauf, die Lebensspanne der Teile zu verlängern, ohne dabei an Performance zu verlieren.» 
 
«Wir wollten auch die Bauform der Power-Unit zum Vorteil der gesamten Fahrzeugperformance verändern», erklärt Andy weiter. «Wir haben sehr eng mit unseren Kollegen in Brackley zusammengearbeitet, um die bestmögliche Integration in das Chassis, das Getriebe und die Aerodynamikflächen zu finden. Ausserdem haben wir gemeinsam mit Petronas an der Effizienz des Verbrennungsmotors gearbeitet und an der Minimierung von Reibungsverlusten.»
 
Den grössten, potenziellen Reibungsverlust hat Mercedes nicht im Griff: Die Konkurrenzfähigkeit der Gegner. Darüber werden auch die klugen Köpfe von Mercedes-Benz erst ab den kommenden Wintertests in Barcelona (ab 26. Februar) mehr erfahren.

Hat Mercedes die 1000 PS nun geknackt? Andy Cowell lacht: «Das sage ich lieber nicht.»

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