2. Training Kanada: Verstappen 1., Unfall von Sainz

Von Mathias Brunner
Max Verstappen

Max Verstappen

​Zweites freies Training zum Grossen Preis von Kanada auf dem Circuit Gilles Villeneuve von Montreal: Training nach einem Unfall von Carlos Sainz (Renault) unterbrochen, Max Verstappen erneut Schnellster.

Bessere Werbung konnte Montreal für seinen Grand Prix nicht machen: Bei Postkartenwetter gingen die 20 Formel-1-Fahrer in die zweiten 90 Minuten freies Training. Einige Piloten hatten Nachholbedarf: Nico Hülkenberg hatte das erste Training wegen Getriebeproblemen verloren, und die Williams-Fahrer Lance Stroll und Sergey Sirotkin hatten die Pistenbegrenzung näher kennengelernt als ihnen lieb war. Bei Hülkenberg wurde in der Pause zwischen den Trainings das fürs Rennen vorgesehene Getriebe eingebaut – daher keine Strafe für den Emmericher. Es handelte sich um ein mechanisches Problem.

Auf dem Programm für das zweite Training: Die Arbeit mit den drei Pirelli-Mischungen hyperweich (pink markiert), ultraweich (violett) und superweich (rot). Im Dauerlauf sollte sich zeigen, wie lange die weichen Mailänder Walzen halten. Dazu sind die Erkenntnisse aus dem zweiten Training stichhaltiger als aus dem ersten. Wieso? Weil die Piste im zweiten Training nicht so schmutzig ist. Und weil das zweite Training hier um 14.00 begann, also fast zur gleichen Zeit wie das Rennen vom Sonntag (14.10 Uhr lokal, 20.10 in Europa). Herrliche Verhältnisse bei freundlichen 22 Grad, Pistentemperatur 45 Grad.

Für Force-India-Pilot Sergio Pérez – der vergangene Woche übrigens geheiratet hat – sind es die ersten Runden in diesem Jahr: Im ersten Training sass Nicholas Latifi in seinem Renner.

Ex-Formel-1-Fahrer Paul di Resta: «Mir ist aufgefallen, dass die Autos von Red Bull Racing auf den Geraden nicht ganz so schnell sind wie Ferrari und Mercedes. Aber in Kanada geht es nicht nur um rohe Leistung. Es geht auch um das Fahrzeugverhalten in der Bremszone. Es geht auch um aerodynamische Effizienz. Und es geht ganz besonders um Reifen-Management, und in all diesen drei letzten Punkten ist Red Bull Racing sehr gut aufgestellt.»

Im ersten Training hatte sich gezeigt: Der hyperweiche Reifen neigt zum Körnen, wenn sich auf der Reifenoberfläche Gummikügelchen bilden. Die Neigung zum Körnen sinkt, wenn auf der Piste mit jedem Training mehr Gummi liegt.

Bei McLaren guckte IndyCar-Rennstallbesitzer Michael Andretti über die Schulter von Fernando Alonso. Die beiden kennen sich aus ihrem gemeinsamen Indy-500-Abenteuer 2017 gut.

Erstes Sorgenkind: Kimi Räikkönen berichtete am Funk, sein Ferrari ziehe beim Bremsen zur Seite. In den Kurven jedoch liegt der Ferrari wie ein Brett auf der Strasse. Sebastian Vettel musste sich gedulden: An seinem Ferrari wurde noch gearbeitet, als das zweite Training begann. Kimi fuhr eine frühe erste Bestzeit.

Wie schnell ist die Formel 1 2018 in Kanada? Max Verstappen fuhr schon eine halbe Sekunde schneller als Lewis Hamilton vor einem Jahr im ersten Training. Durchaus denkbar, dass wir im Qualifying eine 1:10er Zeit erleben werden.

Nach 20 Minuten setzte sich Lewis Hamilton an die Spitze, mit 1:13,3 min war sein Mercedes so schnell wie Max Verstappen am Morgen, kurz darauf legte der vierfache Champion nach – 1:13,031 min. Paul di Resta staunte: «Sein Auto liegt bewundernswert, solch eine gute Balance brauchst du in Kanada.»

Die Reihenfolge nach 30 Minuten: Die beiden Silberpfeile von Hamilton und Valtteri Bottas vor Max Verstappen (Red Bull Racing), Fernando Alonso (McLaren), Kimi Räikkönen (Ferrari) und Carlos Sainz (Renault).

Rote Flagge wegen Carlos Sainz

Haas-Fahrer Romain Grosjean schimpfte am Funk: «Was zum Teufel! Meine Runde ist komplett ruiniert worden!» schimpfte der Genfer über langsam fahrende Gegner. In solchen Momenten fällt mir immer der langjährige Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone ein, der zu sagen pflegte: «Ein guter Pilot hat keinen Verkehr.»

Dann ging alles sehr schnell: Carlos Sainz verlor seinen Renault ausgangs Kurve 7 aus der Kontrolle und rutsche rückwärts in die Mauer. Wegen Trümmerteilen wurde das Training unterbrochen.

Sainz’ Renault schaffte es aus eigener Kraft zurück an die Box, aber die Mechaniker sahen sich besorgt die Schäden ab: Heckflügel, Unterboden, welchen Schlag hatte das Getriebe abbekommen? Wie stark lädiert war die hintere Crash-Struktur? Für den Madrilienen Sainz war das Training vorbei.

Zur gleichen Zeit wurde bei Red Bull Racing fieberhaft im Heck gearbeitet: Probleme mit dem Renault-Motor. Der Australier hatte gehofft, das Wochenende ohne weitere Motorteile zu überstehen. Die RBR-Schrauber nahmen den Unterboden weg und begannen mit einer grösseren Zerlegung. Teamchef Christian Horner: «Das sieht bei uns aus wie in einem Operationssaal. Der Motor lief nicht sauber im ersten Training, nun wechseln wir einige Elektrikteile, das bedeutet, dass Daniel die erste Trainingsstunde verliert. Wir glauben, das Problem hat mit der Elektrik zu tun, die Renault-Spezialisten versuchen, dass Problem zu isolieren. Im Idealfall kann Ricciardo dann wieder auf die Bahn gehen.»

Nicht auf die Bahn gehen sollte jenes Murmeltier, das es sich vor der letzten Kurve bei Start und Ziel im Gras gemütlich gemacht hatte. Es mampfte in aller Seelenruhe Gras, völlig unbeeindruckt von den vorbeischiessenden Rennwagen.

Nach Hälfte des Trainings lautete die Reihenfolge der Top-10: Räikkönen vor Hamilton und Verstappen, dann Bottas, Leclerc, Vettel, Ocon, Hartley, Ericsson und Vandoorne.

Lange Ohren für Stroll, Mauerkuss von Vandoorne

Mercedes wechselte vom superweichen Reifen zum ultraweichen Pirelli, die Weltmeister verzichteten komplett auf den Einsatz der weichsten Reifen (hyperweich). Was darauf hindeutet: Eine Rennstrategie, die sich eher um die Mischungen ultraweich und superweich dreht. «Nein», meinte Bradley Lord von Mercedes. «Wir haben fünf Sätze der hyperweichen Walzen hier und werden sie am Samstagmorgen erstmals verwenden.»

Sauber-Fahrer Charles Leclerc rutschte in der ersten Kurve harmlos geradeaus. Weniger harmlos das Pistenverhalten von Lance Stroll, der am Morgen die Mauer geküsst hatte. Sein Renningenieur zog Lance die Ohren lang: «Du bist am Eingang der letzten Kurve zu schnell, um ein Haar hättest du einen weiteren Unfall gebaut.» Nicht unbedingt, was ein Formel-1-Fahrer am Funk hören will.

Nach 50 Minuten fuhr Max Verstappen neue Bestzeit, auf dem hyperweichen Reifen 130 Tausendstelsekunden schneller als Kimi Räikkönen. Es fiel auf, wie gut Red Bull Racing in der schnellen Schikane vor Start und Ziel liegt. Allerdings: Ferrari deckt seine Karten an einem Freitag nie auf.

Nächster Mann an der Mauer: McLaren-Fahrer Stoffel Vandoorne. Der Belgier musste seinen Papaya-Renner nach der Haarnadel zru Seite stellen – Aufhängung rechts hinten kaputt nach einem Mauerkuss Ausgang Kurve 10.

Vettel: Abstimmung umgekrempelt

Ferrari bestätigte: Kein technisches Problem bei Ferrari, sondern Umkrempeln der Abstimmung. Im Gegensatz zu Kimi war Vettel mit dem Handling seines Renners nicht zufrieden.

Mini-Skandal um Ferrari: Wie 2017 bestätigte Ferrari – wir nehmen nicht am Flossrennen teil. Das Management meinte, sie hätten es den Mechanikern nicht untersagt, aber offenbar fanden die Schrauber: Lieber früher Feierabend und Dinner in Little Italy.

So hat jeder seine Prioritäten.

Vettel rückte auf hyperweichen Reifen aus: viertbeste Zeit. Kurz darauf verrauchte Seb den rechten Vorderreifen in der Haarnadel.

Max Verstappen hielt noch immer die Bestzeit. Paul di Resta: «Die Red Bull Racing-Piloten brauchen einen guten Startplatz. Denn sie werden nicht genügend Leistung haben, um vorzurücken.»

Pistenkiebitz Martin Brundle: «Zwei Fahrer wagen sich atemraubend nahe an die Mauer der Champions heran, also am Ausgang der letzten Kurve auf die Start/Ziel-Gerade – Max Verstappen und Sebastian Vettel. Alle anderen halten einen Respektabstand.»

20 Minuten vor Schluss ging endlich auch Monaco-Sieger Daniel Ricciardo auf die Bahn, um beide Reifen zu versuchen. Der Australier erhielt eine Warnung mit auf den Weg: «Rechne mit reichlich Verkehr.»

Ricciardo suchte verzweifelt eine Lücke für eine mehr oder wenige freie Runde, um in der Tabelle hochzurücken. Paul di Resta: «Die Platzierung ist völlig egal. In seiner Situation geht es nur darum, Vertrauen aufzubauen, nachdem er so viel Fahrzeug verloren hat.»

Max Verstappen spulte derweil Dauerläufe ab, mit einem rechten Hinterreifen, der tüchtig körnte. Fakt aber bleibt: Nur Lewis Hamilton war von den Rundenzeiten in der Nähe des Niederländers, freilich mit härteren Reifen.

Fazit des freien Trainings: Aufgrund technischer Probleme und unterschiedlicher Programme haben wir das wahre Kräfteverhältnis noch nicht erlebt. Im Renntrimm aber dürfen wir uns erneut auf einen Dreikampf an der Spitze freuen. Mercedes und Ferrari haben mehr Power als Red Bull Racing, doch das RBR-Chassis liegt mindestens so gut und geht behutsamer mit den Reifen um.

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