Michael Schumacher und Fernando Alonso: Der Vergleich

Von Rob La Salle
​Fernando Alonso verlässt die Formel 1 als zweifacher Weltmeister, aber wie gut ist der Spanier wirklich? Der Italiener Andrea Stella misst den Spanier an Rekord-Weltmeister Michael Schumacher.

Fernando Alonso hat in Abu Dhabi den Grand-Prix-Sport verlassen, als zweifacher Formel-1-Weltmeister. Dabei könnte der Asturier mit etwas Glück fünffacher Champion sein, nur übertroffen vom grossen Michael Schumacher (sieben WM-Titel). Doch 2007 liess der damalige McLaren-Teamchef Ron Dennis Neuverpflichtung Alonso und den jungen Lewis Hamilton so lange gegeneinander raufen, bis beim WM-Finale von Brasilien Kimi Räikkönen (Ferrari) den Titel abstaubte. Während seiner fünf Jahre bei Ferrari schrammte Alonso zwei Mal knapp am Titel vorbei, 2010 und 2012. Mit etwas Glück hätte er dort die Titel 4 und 5 geholt. Unglaublich: Nur ein Punkt Rückstand auf den Weltmeister 2007, nur vier Punkte fehlten 2010, nur drei im Jahre 2012 – knapp zehn Punkte in diesen drei Saisons hätten also zu drei Titeln mehr gereicht! Aber auch für Alonso gilt: Mit Hätte, Wenn und Aber gewinnt keiner.

Fans und Fachleute diskutieren seit langem, wie gut Fernando Alonso wirklich ist. Ist der Asturier in einem Atemzug mit den ganz Grossen wie Michael Schumacher oder Juan Manuel Fangio zu nennen? Nur wenige können es erahnen. Menschen beispielsweise wie Andrea Stella, der den deutschen Rekord-Weltmeister bei Ferrari erlebte, der dann mit Fernando Alonso gearbeitet hat und dem Spanier zu McLaren folgte. Der 47jährige Italiener Stella sagt meinem Kollegen Andrew Benson von der BBC: «Fernando Alonso ist einer jener Fahrer, bei welchen es nicht reicht, die Pokale zu zählen. Das zeigt nicht, wie gut er wirklich ist. Fernando hat die Formel 1 als ein kompletter Rennfahrer verlassen, er ist heute ein viel besserer Pilot als 2005 oder 2006, in den Jahren also, als er Weltmeister wurde. Leider konnte er das bei McLaren nicht zeigen.»

Stella vergleicht: «Einen Formel-1-Rennwagen zu beherrschen, das ist wie Violine spielen. Es gibt ganz unterschiedliche Ebenen. Du kannst der beste Violinen-Virtuose der Welt sein, und dann hast du einen, der spielt fast so gut. Der Experte hört die Unterschiede heraus, die grosse Masse würde nichts bemerken. Um diesen letzten Schritt zu gehen, musst du dir sagen: “Das reicht nicht, ich muss besser werden.” Und du musst dir die Frage stellen, wie du das machen willst.»

«Fernando Alonso scheint eine harte Persönlichkeit zu sein, aber das ist nur Schein. Das ist Teil des Wettbewerbs. Im Rahmen seiner Ingenieure entspannt er sich. Er ist der Erste, der die Frage stellt: “Wie kann ich mich verbessern?” Als er zu Ferrari kam, sagte er Dinge, die ich nicht begreifen konnte. Er sagte: “Ich bin kein guter Regenfahrer. Ich fahre in Hockenheim schlecht. Ich bin hier nicht gut und da auch nicht.” Und ich antwortete: “Wie kannst du so etwas sagen? Du bist besser als die meisten anderen.” Aber er war sehr ehrlich mit sich selber.»

«Ich sehe es als eine seiner Stärken, diese Bescheidenheit, dieser unaufhörliche Wille zu lernen. Sein Umfeld versteht das durch und durch. Als Ergebnis haben wir einen überaus kompletten Rennfahrer. Es fällt mir schwer, eine Schwäche zu finden. Seine Vorbereitung, seine Anpassungsfähigkeit, seine Rennintelligenz, er hat die Gabe, das grosse Bild zu verstehen, im Rennwagen oder ausserhalb davon. Jeder Formel-1-Pilot wird dir sagen, mit welcher Hingabe er arbeitet. Aber Alonso ist auf einem anderen Niveau.»

Stella vergleicht die Fähigkeiten von Alonso mit einem Kreis: Grund-Speed, Regenfahrer-Qualität, technisches Verständnis, Rennintelligenz, Konstanz, Sensibilität für Reifen, Anpassungsfähigkeit, Denkfähigkeit, abgekoppelt vom Fahren – das alles macht einen herausragenden Piloten aus. Fernando schneidet in allen Kategorien grandios ab, aber vielleicht nicht als Bester in einer einzelnen Kategorie. Michael Schumacher war der Beste in einigen Kategorien, in anderen war Alonso besser.»

«Michael war der geborene Angreifer. Er packte die Dinge jenseits der Grenzen an und stufte dann langsam zurück. Fernando beginnt unter dem Limit und arbeitet sich dann heran. Die Fähigkeit von Michael, das Heck eines übersteuernden Autos zu kontrollieren, war nicht von dieser Welt. Aber hin und wieder wurde aus dieser Stärke eine Schwäche. Wenn er ein Auto so im freien Training abstimmte, dann konnte das in der Quali zu viel werden oder im Rennen zu übermässigem Reifenverschleiss an der Hinterachse führen. Also kam den Ingenieuren von Michael eine ganz wichtige Rolle zu. Sie mussten ihm sagen: “Wir brauchen mehr vom Auto und etwas weniger von dir.”»

«Bei Fernando ist das anders. Er kennt seine Grenzen besser und ist sehr gut darin zu verstehen, was er beitragen und was vom Rennwagen kommen sollte. Darum ist seine Fahrzeugpräparation fürs Rennen überragend.»

«Ein anderer interessanter Aspekt: Michael war sehr analytisch und ausführlich, wenn er über sein Auto sprach. Fernando kommt mehr auf den Punkt. Wenn er an die Box zurückrollt und nur drei Worte sagen dürfte, dann würden diese drei Worte so gut wie alles umfassen, was er aussagen will. Bei Michael ging es mehr darum, aus sehr viel Material die wichtigen Punkte zu filtern. Bei Alonso gilt es aus sehr destillierten Angaben das konkrete Bild aufzubauen.»

«Wenn Fernando ein Problem mit dem Wagen hatte, dann trat das überall auf. Wir hören ja oft, dass ein Pilot sagt, er habe Untersteuern hier gehabt und in jener Kurve dort eher Übersteuern. Aber als Fahrer erzeugst du einen Teil der Probleme selber. Wenn ein Auto nervös liegt, dann zögert der Pilot, knackig einzulenken, er lenkt nicht genug ein oder einen Tick zu spät. Also hast du Mitte der Kurve Untersteuern. Viele Fahrer verstehen nicht, dass dieses Fahrzeugverhalten darauf zurückgeht, was sie fünfzig Meter zuvor getan haben. Und als Ingenieur kannst du dich ganz leicht verirren. Dann jagst du ein Untersteuern, das eigentlich gar nicht da ist.»

Alonso schaffte es immer wieder, selbst langjährige Formel-1-Techniker zu verblüffen. Stella erzählt eine Anekdote aus Singapur. «Wir wussten – unsere beste Chance auf Punkte besteht darin, im ersten Rennteil so lange als möglich auf der Bahn zu bleiben, um Ränge gutzumachen, wenn die anderen Fahrer frische Reifen abholen. Also fragten wir Fernando, wie lange er fahren kann. Wir dachten, er würde sagen, 20 Runden oder so. Aber er meinte sofort: “Ich kann mindestens zehn Runden länger draussen bleiben als das.” Dann meldete er sich nach fünf oder sechs Runden am Funk und meinte: “Wir können bis Runde 35 fahren.” Um genau zu sein, kam er am Ende der 34. Runde herein, die Walzen waren fertig. Ich will hier keinen Mythos erzeugen, Alonso ist kein Magier. Aber er hat im Laufe der Jahre alle seine Sinne so geschärft und sein Wissen so vertieft, dass er unfassbar genau weiss, was er tut.»

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