Vom Mercedes, der keinen Grand Prix gewinnen kann

Von Mathias Brunner
​Regelmässig führt in der Formel 1 ein Silberpfeil, der ohne Aussicht auf einen Grand-Prix-Triumph ist: Das Safety-Car unter Bernd Mayländer. Wir blättern in der Historie des Führungswagens.

Beim Rennsport in der alten Welt und in Amerika prallen Welten aufeinander. Das beginnt schon bei Autos, die keine Chance auf einen Sieg haben, obschon sie regelmässig in Führung liegen – Safety- oder Pace-Cars. Aber wieso wird das Führungsauto in der Formel 1 eigentlich Safety-Car genannt, in Amerika jedoch Pace-Car? Grundsätzlich bestand in der Formel 1 ein anderer Grundgedanke als in den USA. In Amerika wurde der Führungswagen eingeführt, um das Feld auf eine gewisse Geschwindigkeit zu bringen, bevor er ausschert und den rollenden Start freigibt.

In der Formel 1 hingegen haben wir stehende Starts. Im GP-Sport kommt das Safety-Car auf die Bahn, um das Feld nach einem Zwischenfall bei moderater Geschwindigkeit hinter sich zu halten. Als Folge des schweren Unfalls von Jules Bianchi 2014 in Japan wurde im GP-Sport zusätzlich das VSC eingeführt, das «virtual safety car» – wenn die Fahrer ein gleichmässig geringes Tempo halten müssen, ohne dass jedoch Safety-Car-Fahrer Bernd Mayländer auf die Bahn geht. Dies etwa beim Wegräumen eines gestrandeten Fahrzeugs.

Pace-Cars wurden in der Urzeit des Motorsports auch Pacemaker oder Pacesetter genannt. Der Ursprung könnte dabei gar nicht in den USA liegen, sondern auf der britischen Oval-Rennstrecke Brooklands. Alte Bilder zeigen den damaligen Rennleiter Colonel Lindsay Lloyd mit einem Rolls-Royce oder Bentley oft an der Spitze des Felds, schon 1907 oder 1908. Von dort dürfte die Idee in die USA exportiert worden sein, nach Indianapolis. Schon seit rund 100 Jahren gehört nun das Pace-Car als fester Bestandteil zu amerikanischen Rennen.

Die Mercedes für Safety-Car und Medical-Car in der Formel 1 kennen wir in dieser Form seit 1996. Zuvor wurden alle möglichen Autos eingesetzt, der erste Wagen dieses Zwecks kam beim Kanada-GP 1973 auf die Bahn – es war ein gelber VW-Porsche 914!

Pilot Eppie Wietzes (in den Niederlanden geborener Rennfahrer mit GP-Erfahrung) suchte sich mit seinem 914er gleich mal den falschen Leader aus, bis heute wird darüber diskutiert, wer in Wahrheit diesen Kanada-GP gewonnen hat. Wietzes fing das Feld nach einem Unfall zwischen François Cevert und Jody Scheckter ein, blieb aber aus Versehen vor dem Iso-Marlboro-Auto von Howden Ganley. Das ermöglichte es es einigen Fahrern, inklusive des späteren Siegers Peter Revson, eine Runde gut zu machen.

Aller Anfang ist schwer, auch mit dem Safety-Car.

Weil einige Autos in den folgenden Jahren einfach nicht flott genug waren (Fiat Tempra 1993, Honda Prelude 1994, um nur zwei dieser Schnecken zu nennen), ging die FIA eine Kooperation mit Mercedes-AMG ein. Seit der Saison 2000 ist der Deutsche Bernd Mayländer Fahrer des Safety-Car, am Lenkrad des Medical-Cars sitzt seit Jahren der Südafrikaner Alan van der Merwe.

Seit dem Saisonbeginn in Melbourne 2018 setzt Mercedes-AMG das stärkste Safety-Car aller Zeiten ein: Der GT R leistet satte 585 PS und ist knapp 320 Sachen schnell. Das Frontmotorkonzept mit Transaxle, der kraftvolle 4,0-Liter-V8-Biturbomotor, das aufwändig konstruierte Fahrwerk, die ausgefeilte, aktive Aerodynamik und der intelligente Leichtbau bilden die Grundlagen für diesen Silberpfeil. Breite Kotflügel vorn und hinten ermöglichen grosse Spurweiten für optimale Traktion und noch höhere Kurvengeschwindigkeiten. Die Frontschürze mit dem aktiven Luftregelsystem Airpanel und das aktive Aerodynamik-Profil im Unterboden, der grosse Heckflügel und die Heckschürze mit Doppel-Diffusor steigern die aerodynamische Effizienz und tragen zum optimalen Grip bei. Auch die leichten Schmiederäder sind auf höchste Fahrdynamik getrimmt. Das gilt ebenso für die aktive Hinterachslenkung, die neunfach justierbare Traktionskontrolle und das verstellbare Gewindefahrwerk mit zusätzlicher elektronischer Regelung.

Immer wieder fragen Leser: Was geschieht eigentlich, wenn das Führungsauto von Bernd Mayländer selber in Schwierigkeiten gerät? Bislang gab es bei den Einsätzen von Bernd Mayländer seit Melbourne 2000 noch kein Problem: Sein Mercedes liess ihn nie im Stich, und Mauerkontakt hatte der frühere DTM-Rennfahrer auch keinen.

Im Gegensatz zum früheren Medical-Fahrer Alex Ribeiro, der den Ärztewagen gleich zweimal geschrottet hat. 2002 wurde in der Formel 1 um halb zehn Uhr früh noch ein halbstündiges Aufwärmtraining gefahren. Zwei Minuten vor Schluss des so genannten Warm-Up verlor Arrows-Pilot Enrique Bernoldi im Senna-S von Interlagos die Kontrolle über seinen Renner, der Wagen blieb mitten auf der Strecke stehen und begann sogar zu brennen, sofort fuhr Ribeiro an den Ort des Geschehens. Als der Brasilianer anhielt und die Türe aufwarf, näherte sich von hinten der Sauber von Nick Heidfeld. Der Deutsche war von der Szene komplett überrascht worden, wich nach links innen aus und erwischte voll die Tür – eine Szene wie aus einer Action-Komödie. Zum Glück kam beim ganzen ungewöhnlichen Zwischenfall niemand zu Schaden.

Interlagos 2002 war das zweite Mal, dass er den Mercedes-Ärztewagen ramponiert zurückbrachte. In Monaco 2000 hatte er es mit der Ideallinie nicht so genau genommen und zerknitterte den Silberpfeil rechts vorne erheblich.

Zurück in die Gegenwart. Klar könnte Bernd Mayländer mal erkranken: «Eigentlich gibt es keinen offiziellen Ersatzfahrer», erklärt der Waiblinger. «Aber ich denke, wir hätten im Fahrerlager genügend fahrerisches Talent, um eine Lösung zu finden, wie etwa die ganzen Ersatzfahrer der Rennställe.»

Richtig kritisch wurde es nur einmal. In Südkorea 2010 war Mayländer beispielsweise so lange draussen, dass langsam der Sprit zur Neige ging. Für solche Fälle steht in der Box ein Ersatzfahrzeug, in das Mayländer hätte umsteigen können. Das Gleiche gilt übrigens auch für das Einsatzfahrzeug des Formel-1-Chefarztes Ian Roberts, das vom Südafrikaner Alan van der Merwe gesteuert wird.

Am meisten Runden hinter dem Safety-Car gab es im Regen-GP von Brasilien 2016, nämlich 34. In Kanada 2011 musste Bernd Mayländer fünf Mal ausrücken! Und in Singapur musste der Deutsche so oft auf die Bahn, dass eine kuriose Statistik der Asiaten ihn eine Zeitlang auf der Liste der meisten Führungsrunden auf Rang 4 führte.

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