Alain Prost nach Tod von Anthoine Hubert: Viel Kritik

Von Agnes Carlier
​Die französische Rennlegende Alain Prost (64) hat bei Renault Sport den jungen Anthoine Hubert begleitet. Der Tod des Formel-2-Fahrers geht dem vierfachen Formel-1-Weltmeister sichtlich nahe.

Alain Prost wirkt an diesem Wochenende viel älter als seine 64 Jahre. Der sonst so energiegeladene Franzose, vierfacher Weltmeister der Formel 1, ist niedergeschmettert. Der Tod des Formel-2-Fahrers Anthoine Hubert hier in Spa-Francorchamps ist der Rennlegende sichtlich nahe gegangen. Prost glaubte fest daran, dass Renault-Junior Hubert ein kommender Grand-Prix-Star sein würde. Diese Pläne sind am 1. September 2019 zerstört worden, um 18.35 wurde Hubert für tot erklärt.

Prost atmet einmal tief durch, dann erzählt der 51fache GP-Sieger: «Dieser Unfall, ich weiss gar nicht, was ich sagen soll. Manchmal passiert in unserem Sport ein Wunder. Manchmal kommen viele Faktoren zusammen, und das Wunder ist vereitelt. Es gab zwei Mal einen Aufprall, beide von unfassbarer Brutalität. Da ist der erste Aufprall rechts in die Pistenbegrenzung, aber noch übler ist der zweite: Schlimmer konnte es gar nicht kommen, wie der Wagen da getroffen wird. Der Aufschlag war unglaublich, Fahrzeugteile überall. Ich hoffte darauf, dass die Überlebenszellen ihren Dienst als Energie-Verdauer übernommen hatten. Ich weiss, dass ein Unfall mit 50 km/h auf der Strasse schlimmer ausgehen kann als ein Crash mit 300 Sachen im Rennwagen. Bei Unfällen kommen immer bestimmte Umstände zusammen. Du hegst die Hoffnung, dass so etwas nie passieren wird. Aber es passiert.»

«Ich erinnere mich so an Anthoine: Ein junger Mann mit Köpfchen. Er war einer jener Fahrer der Renault-Akademie, die mit Wissbegier glänzen. Er stellte die richtigen Fragen. Er war ein Junge, der sehr offen kommuniziert hat. Er scheute sich nicht davor, mich anzurufen, wenn er etwas wissen wollte. Wir haben viel geredet. Vielleicht habe ich ihn so gemocht, weil wir aus dem gleichen Land kommen. Für mich hatte er unter den aufstrebenden Jungen das gewisse Etwas. Er war für sein Alter sehr reif, überdurchschnittlich intelligent, das hat mir Eindruck gemacht.»

«Er hatte mir verheimlicht, dass er zum Heimrennen in Le Castellet mit einer Ehrung oben auf seinem Helm fahren würde. Das hat mich sehr berührt. Selbst mit seinen 22 Jahren war er für die jüngeren Piloten in unserem Programm eine Inspiration. Wir hatten bereits geplant, wann wir ihn in den GP-Renner setzen. Ich bin sicher, er hätte eine schöne Zukunft in der Formel 1 gehabt. Einfach ein sympathischer, aufgeweckter Junge. Ich hätte ihm so gerne weitergeholfen.»

Alain Prost gilt als ein Fahrer, der in seinen 199 Rennen viel Glück hatte und vor Verletzungen verschont geblieben ist. Aber das stimmt so nicht. Alain weiter: «Was wahr ist – es gab keine schlimmen Verletzungen. Ich brach mir mal das Handgelenk. In Watkins Glen bin ich nach einem Ausflug unter der Leitschiene durchgerutscht, das muss man sich mal vorstellen! Das weiss heute keiner mehr. Ich habe ein Rad an den Kopf gekriegt und hatte zwei Wochen lang Kopfschmerzen und Gleichgewichtsstörungen. Ich war fünf Mal im Krankenhaus alleine in der Saison 1980. Ständig sind die Aufhängungen kaputtgegangen. Aber es stimmt schon: Ich hatte Glück.»

Ist die heutige Renngeneration anders? Diese PlayStation- und Rennsimulator-Generation? Alain Prost: «Dagegen lässt sich nicht viel sagen, das ist vermutlich so. Wenn überall die Sicherheit so erhöht wird, dann erzeugt das ein etwas schales Image des Motorsports. Aber wenn ein Auto mitten auf der Bahn zum Halten kommt und dann so von einem anderen Wagen torpediert wird, dann bist du mit dem sichersten Auto machtlos. Die Tendenz stimmt allerdings – wir haben eine Rennfahrer-Generation, die glaubt, dass ihr nichts mehr zustossen kann.»

«Die Einstellung der Fahrer heute ist anders. Die Sicherheit ist so gross, dass dies sich tief ins Unterbewusstsein der Piloten gearbeitet hat. Früher sind wir vom Gas gegangen, wenn das Auto eines Gegners ausser Kontrolle geriet, heute pfeilen sie links und rechts daran vorbei, mit vollem Tempo.»

Diese Frage stellen sich viele Fans: Wo findet ein Racer die Energie, nach solch einem Schicksalsschlag weiterzumachen? Alain Prost, Weltmeister der Jahre 1985, 1986, 1989 und 1993: «Das liegt in der menschlichen Natur. Du kannst Emotionen nicht verbergen, du hast ja gesehen, wie tief berührt die Menschen bei der Schweigeminute für Anthoine waren. Aber dann sind die Piloten eingestiegen und haben Eau Rouge genauso volle Kanne gefahren wie vorher. Der Unfall von Anthoine war brutal, und er wird noch lange nachhallen. Aber Rennfahrer haben die Gabe, gewisse Emotionen auszuklammern. Zum Glück, sonst könnten sie ihren Job nicht machen.»

«Mir selber ging es so: Was ich nicht ertragen konnte, das waren mechanische Defekte. Der Gegner war nun mal da, den konntest du mehr oder weniger gut einschätzen. Ich kannte meine eigenen Fähigkeiten. Aber Faktoren, die ausserhalb meiner Kontrolle lagen, die habe ich gehasst – Materialfehler, die Kapriolen des Wetters, Aquaplaning, unglückliche Umstände. Da sind selbst die grössten Fahrer machtlos.»

Klar gibt es nach so einem Unfall Menschen, die erneut den Autosport an den Pranger stellen. Ist das noch zeitgemäss oder politisch korrekt, wenn Piloten sterben? Alain Prost hat das Argument tausend Mal gehört. «Ich verstehe das. Aber die ganzen Unfälle haben letztlich auch dazu geführt, dass wir heute sehr sichere Autos haben. Wenn auf dem Golfplatz ein Mann umkippt, höre ich niemanden, der fordert, dass wir Golf verbieten sollten. Mir stehen die Haare zu Berge, wenn ich höre, wie viele schlimme Reitunfälle es gibt. Aber da gibt es keinen Aufschrei. Nur bei uns. Das Auto ist ein leichtes Ziel.»


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