Morddrohungen wegen Alonso-Strafe

Jules Bianchi ringt um sein Leben: Wer trägt Schuld?

Von Mathias Brunner
Jules Bianchi bei der Fahrerparade vor dem Japan-GP in Suzuka

Jules Bianchi bei der Fahrerparade vor dem Japan-GP in Suzuka

Während die Ärzte im «Mie General Hospital» um das Leben von Marussia-Fahrer Jules Bianchi kämpfen: Wer muss eine Teilschuld am schlimmen Unfall des Franzosen tragen?

Jules Bianchi liegt im «Mie General Hospital», unweit der Suzuka-Rennstrecke. Die japanischen Ärzte kämpfen um sein Leben. Der Zustand des Franzosen aus Nizza wird als kritisch eingestuft.

Sicherheit in der Formel 1 ist eine trügerische Sache: Seit dem schwarzen Imola-Wochenende von 1994 haben wir an einem GP-Wochenende keine Fahrer mehr verloren – damals kamen im Abschlusstraining Roland Ratzenberger und im Rennen Ayrton Senna ums Leben.

Seither gab es viele hässliche Unfälle, angesichts der TV-Bilder ist es erstaunlich, dass es keine weiteren Toten gab. Einer, der viel Glück hatte, ist Felipe Massa – in Ungarn 2009 von einer Schraubenfeder aus dem Heck von Rubens Barrichellos BrawnGP-Renner getroffen. Fernando Alonso wäre beim Start zum Belgien-GP 2012 um ein Haar am Kopf vom daherfliegenden Lotus von Romain Grosjean getroffen worden. Die Liste liesse sich fast beliebig fortsetzen, aber immer waren die Rennschutzengel im Grosseinsatz und konnten ihre schützenden Hände über die Rennfahrer halten.

Nun geht in Suzuka die Angst um, dass sich dies vielleicht geändert hat. Und längst wird diskutiert: Hätte der Unfall von Jules Bianchi verhindert werden können?

Rennen zu spät gestartet?

In der Kritik stehen die Rennorganisatoren und die Formel-1-Verantwortlichen: Jeder wusste, dass die Ausläufer von Taifin Phanfone über Suzuka ziehen, jedem war klar, dass es regnen würde. Wieso hat man den Start des Rennens nicht um einige Stunden vorgezogen?

Dazu gehört auch, dass es aufgrund der misslichen Verhältnisse immer dunkler wurde: Hat sich Jules Bianchi bei seinem Unfall verschätzt, weil er die Bahn nicht mehr richtig erkennen konnte?

Adrian Sutil, dem der Schreck über den Unfall von Bianchi ins Gesicht geschrieben stand: «Es wurde immer dunkler, daher konnte ich die Flecken mit mehr Wasser nicht mehr richtig erkennen. Das war der Grund für meinen Dreher.»

Die Meinung, ob nicht früher abgebrochen werden sollte, spaltet das Formel-1-Fahrerlager. Einige sind überzeugt, dass die Verhältnisse noch fahrbar waren, andere äussern schwere Vorwürfe. Felipe Massa: «Meiner Ansicht nach hätte man das Rennen später starten und früher abbrechen müssen. Ich schrie schon eine Runde vor dem Safety-Car in den Funk, dass man abbrechen soll, weil die Strecke viel zu nass war.»

Williams-Techniker Rob Smedley: «Ich war heilfroh, als das Safety-Car herauskam. Weil ich wusste, dass die Fahrer endlich vom Gas geben können. Da wusste ich natürlich noch nichts vom schlimmen Unfall.»

Ferrari-Star Kimi Räikkönen gibt zu bedenken: «Sicherheit ist relativ. Die Verhältnisse waren tückisch, zugegeben, aber nicht tückischer als in anderen Regenrennen.»

Unsicherheitsfaktor Rettungsfahrzeug

Der frühere Formel-1-Fahrer Martin Brundle sagt: «Vor solch einem Unfall habe ich immer gewarnt. Mir krampfte es immer den Magen zusammen, wenn ich Kranwagen oder Streckenposten auf der Bahn sah. Denn ich hatte vor genau zehn Jahren hier in Suzuka einen ähnlichen Unfall. Bei ganz üblen Verhältnissen hatte ich einen Dreher und schlitterte nur knapp an solche einem Vehikel vorbei, dabei aber erfasst mein Wagen einen Streckenposten, der sich Beinbrüche zuzog. Ein Jahr später habe ich den armen Mann besucht, es ging ihm nicht gut. Diese Bilder vergisst du nie.»

Die Formel-1-Renner können mit ihren Crash-Strukturen und Überlebenszellen noch so widerstandsfähig gebaut sein: Für einen Aufprall gegen ein zerklüfteten Objekt wie einen Traktor sind sie einfach nicht entworfen.

Bianchi kam mit einer Geschwindigkeit von 160 bis 180 km/h von der Bahn ab, auf der nassen Bahn und dann im Kiesbett wurde das Tempo kaum verringert. Der Marussia wurde seitlich unter das Heck des Traktors gepresst. Dabei soll der Überrollbügel des Rennwagens gebrochen, die Überlebenszelle aber heil geblieben sein. Ein Vorwurf kann Marussia deshalb keiner gemacht werden: Noch einmal – kein Crash-Test kann eine solche Situation simulieren.

Böse Erinnerungen an Maria de Villota

Welche Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet Marussia von solch einem anomalen Unfall betroffen ist. Natürlich kommen bei allen böse Erinnerungen an den schweren Unfall von Marussia-Testpilotin Maria de Villota auf: Am 3. Juli 2012 verunglückte die Madrilenin während Geradeaus-Testfahrten auf dem Gelände des «Imperial War Museum» von Duxford beim Zusammenstoss mit der Ladeklappe eines Teamlasters schwer. Obwohl der Aufprall bei einer relativ geringen Geschwindigkeit erfolgte, zog sie sich schwere Kopf- und Gesichtsverletzungen zu, da sich die Ladeklappe genau in Kopfhöhe befand. De Villota erlitt einen Schädelbruch und verlor ihr rechtes Auge sowie den Geruchs- und Geschmackssinn. Später kursierten Röntgenbilder vom Schädel der Rennfahrerin: angesichts der Verletzungen war es ein Wunder, dass die Ärzte das Leben der Spanierin retten konnten.

Aber am Morgen des 11. Oktober 2013 wurde de Villota tot in einem Hotelzimmer in Sevilla aufgefunden, nachdem kurz zuvor ein Notruf vom Hotelpersonal abgesetzt worden war. Die noch am selben Tag vorgenommene Obduktion ergab einen Kreislaufstillstand als Todesursache, vorher war bereits eine Hirnblutung aufgetreten. Es soll sich um Folgen der neurologischen Verletzungen handeln, die sie sich beim Testunfall zugezogen hatte.

Die Unfallursache bei de Villota konnte nie restlos geklärt werden. Bei Bianchi scheint einfach eine Verkettung unglücklicher Umstände vorzuliegen.

Egal, wie widerstandsfähig die Formel-1-Autos gebaut sind: das schwächste Element ist längst der Fahrer.

Ein Restrisiko wird in der Formel 1 nie auszuschliessen sein.

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