Billig-Turbo nur Vorwand? Kommt Alternativ-Motor nie?

Kolumne von Mathias Brunner
​Der Automobil-Weltverband FIA hat um Bewerbungen für einen Alternativ-Turbo ab 2017 gebeten: Gesucht wird ein unabhängiger Hersteller. Aber kommt der Billig-Turbo gar nie?

Die Kosten sind aus dem Ruder gelaufen, und der Automobil-Weltverband FIA hat viel zu lange nur zugeschaut: Die Rennställe bezahlen heute (je nach Motorlieferant und Vertrag) zwischen 17 und 23 Millionen Euro Leasing-Gebühr im Jahr für die Hybrid-Antriebseinheiten vom Typ V6-Turbo mit Mehrfach-Energierückgewinnung. FIA-Chef Todt hat von den Werken gefordert, maximal 12 Millionen für ihre Motoren zu verlangen, die Motorhersteller lehnen das ab.

Also schob der Franzose Todt zusammen mit Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone den Plan an, wieder einen unabhängigen Motorhersteller in der Formel 1 zu haben, der seine Triebwerke für einen Preis in der Region von sechs oder sieben Millionen Euro anbietet. Möglich wird das durch ein anderes Motorkonzept – 2,2-Liter-Biturbo, abgespecktes Hybridsystem. Todt und Ecclestone wollen einen Motorexperten wie Cosworth oder Ilmor anlocken.

Viele Experten im Fahrerlager sind der Überzeugung: Es geht nicht vorrangig um die Motoren, es geht darum, dass die Hersteller zu viel Macht gewonnen haben. De facto können die Motorlieferanten heute bestimmen, wer Triebwerke erhält und wer nicht – das führte Red Bull an den Rand des Formel-1-Ausstiegs.

Die Entwicklung der neuen Hybridmotoren kostete irrsinnige Summen. Ein führendes Mitglied von Mercedes sprach zu Beginn der Turbo-Ära von Investitionen in Höhe von 200 Millionen Euro. Kosten, welche die Hersteller Mercedes, Renault und Ferrari über die Kunden zum Teil wieder zurück haben möchten (bei Honda und McLaren ist das ein wenig anders). Das brach dem Caterham-Rennstall das Genick, führte Manor in die Zahlungsunfähigkeit und Rennställe wie Lotus und Sauber fast in den Ruin.

Red Bull Racing-Teamchef Christian Horner in Brasilien: «Honda wollte von uns für den Motor mehr als 30 Millionen pro Jahr – das ist doch völlig abstrus.»

FIA-Chef Jean Todt und «Mr. Formula One» Bernie Ecclestone mussten früher oder später reagieren. Sie versuchen, zwei entscheidende Fehler lieber spät als gar nicht zu korrigieren: Es wurde versäumt, einen Kostendeckel für die Turbo-Antriebseinheiten einzuführen, und es wurde nicht reglementarisch verankert, dass jeder Hersteller eine Mindestanzahl von Rennställen mit Triebwerken ausrüsten muss. Der FIA-Plan von kostensparenden Einheitsteilen wurde nie eingeführt.

Das Grundübel begann jedoch viel früher, wie Marc Surer weiss. Der frühere Formel-1-Pilot und heutige Experte der deutschen Sky sagt: «Die Grundidee bestand ja einst im so genannten Weltmotor. Die Basis dazu sollte ein Vierzylinder-Motor sein, der dann in verschiedenen Versionen in unterschiedlichen Rennkategorien eingesetzt wird. Sagen, wir – als 1600er Sauger in einer Monoposto-Nachwuchsformel, als aufgeladener 1600er in der Formel 1, als auf Zweiliter aufgebohrter Motor für Tourenwagensport oder bei Rallyes und so weiter. Aber Ferrari war sofort gegen einen Vierzylinder – weil ein solcher Motor im Angebot der Italiener nicht existiert und weil ein so kleiner Motor vom Image her nicht mit Ferrari in Einklang gebracht werden kann.»

Die Hersteller einigten sich dann mit der FIA auf einen V6-Turbo und machten Druck, den samt Hybridtechnik einzuführen, weil das serienrelevant sei. Der 64jährige Marc Surer weiter: «Hier liegt ein Grundübel. Denn letztlich diktierten die Hersteller der FIA die Motorenformel. Es sollte aber umgekehrt sein. Im Grunde läuft die ganze Diskussion jetzt auf ein Tauziehen hinaus. Der FIA und auch Bernie Ecclestone ist klar geworden, dass die Hersteller zu viel Macht gewonnen haben. Ich könnte mir gut vorstellen, dass die angekündigte Einführung eines Alternativmotors oder eines Billig-Turbo nur ein Druckmittel ist, um letztlich das zu erreichen, was eigentlich alle wollen – eine Formel 1 mit nur einer Art von Antriebseinheiten, also keine Zweiklassengesellschaft.»

«Es ist ganz schwierig, zwei verschiedene Motorkonzepte ungefähr gleich stark zu gestalten, ohne allzu künstliche Eingriffe. Mir ist noch nicht klar, wie die FIA das zustande bringen will. Daher ist es für mich denkbar, dass der Billig-Turbo nur ein Bluff ist, um die Autohersteller ein wenig gefügiger zu machen. Und um das gegenwärtige Reglement letztlich zu behalten.»

Ein früherer Pistenrivale von Marc Surer gibt ihm Recht – Ex-GP-Pilot Martin Brundle, heute in Diensten der britischen Sky. Der 56jährige Sportwagen-Weltmeister von 1988 und Le-Mans-Sieger von 1990 sagt: «Die ganze Motorensaga wird noch einige Monate laufen, aber in Wahrheit ist das doch nur ein politischer Spielball – wir haben ein Armdrücken um die Kontrolle in der Formel 1. Mercedes und Ferrari sind zu machtvoll geworden mit ihren beiden besten Triebwerken im GP-Sport.»

«Das wird ein interessanter Kampf. Auf der einen Seite haben wir den smarten Toto Wolff, der so viel Power hat wie sein Motor, ein pragmatischer Racer, der aber einem Vorstand in Verantwortung steht. Fiat-Sanierer und Ferrari-Präsident Sergio Marchionne ist ein sehr machtvoller Manager, selbst wenn er weniger Formel-1-Erfahrung hat. Ich höre, er kann recht brutal sein. Das ist kein Mann, der einen Kampf scheut oder leicht eingeschüchtert werden kann.»

«Auf der anderen Seite haben wir eine bisher eher passive FIA und einen alternden Bernie Ecclestone, der ganz andere Tagesgeschäfte auf seinem Arbeitstisch hat. Dennoch muss man auch heute noch sehr, sehr früh aufstehen, um Formel-1-Angelegenheiten klüger zu handhaben als Bernie.»

«Ich würde Geld darauf wetten, dass der neue Motor nie kommt. Sondern darauf, dass es mit den Herstellern eine Einigung geben wird, dass sie ihre Antriebseinheiten zu einem niedrigeren Fixpreis abgeben und im übrigen auch mehr Rennställe auszurüsten bereit sind. Sie wären alle komplett verrückt, würden sie nicht zu diesem Konsens kommen.»

«Für mich ist das alles ein weiterer Denkzettel, dass Teams das technische Reglement nicht steuern dürften. Jeder denkt doch nur an sich selber, das könnte sogar dazu führen, dass die neue, aggressivere Formel 1 2017 nicht kommt – weil sie sich wieder einmal nicht einig werden.»

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