Nico Rosberg: So bremst er Lewis Hamilton aus

Kolumne von Mathias Brunner
Nico Rosberg vor Lewis Hamilton in Brasilien

Nico Rosberg vor Lewis Hamilton in Brasilien

Hat Nico Rosberg ergründet, wo Mercedes-Stallrivale Lewis Hamilton die entscheidenden Zehntelsekunden herausholte? Ist das der Grund für den gegenwärtigen Höhenflug des Deutschen?

Fünf Pole-Positions in Serie für Nico Rosberg – Japan, Russland, USA, Mexiko, Brasilien. Zwei Siege in Folge für den WM-Gesamtzweiten – in Mexiko-Stadt und Interlagos. Nico Rosberg hat einen tollen Lauf, und eine der spannendsten Fragen im Formel-1-Fahrerlager ist derzeit, wieso der Deutsche die Oberhand gewonnen hat.

Mercedes-Technikdirektor Paddy Lowe: «Jemand hat mich gefragt, ob ich der Meinung sei, dass Lewis mit gewonnenem Titel ein wenig die letzte Schärfe eingebüsst habe. Aber der Ansicht bin ich überhaupt nicht.»

Mercedes-Teamchef Toto Wolff: «Ich habe keine Erklärung. Klar kann man argumentieren, für Hamilton gehe es um nichts mehr, schliesslich hat er den dritten Titel in der Tasche. Und man kann auch sagen, Nico könne ohne Druck fahren. Beides ist korrekt. Ich selber habe aufgrund der Vorkommnisse von Austin gesagt – Nico fährt mit einer gewissen Wut im Bauch. Aber das ist keine rationale Erklärung. Ich könnte genau so gut falsch liegen. Was ich hingegen weiss: Nico entwickelt sich noch immer als Fahrer. Und er hat aus den fast identischen Situationen nach den Starts in Suzuka und Austin seine Lehren gezogen.»

Lewis Hamilton hingegen sagt: «Seit Singapur haben wir gewisse Änderungen am Auto, welche das Gleichgewicht im Team verschoben haben. Ich muss herausfinden, wie genau das gehen konnte und was ich dagegen unternehmen kann.»

Nico Rosberg meint: «Vom Kopf her hat sich nichts geändert bei mir, ich habe jedoch diese Saison sehr hart daran gearbeitet, um zu verstehen, warum nicht mehr der schnellere Mann im Qualifying war, nachdem ich das im vergangenen Jahr klar gewesen bin. Irgendetwas muss ja passiert sein. Und jetzt trage ich die Früchte von dieser harten Arbeit.»

Intern ist bei Mercedes die Rede davon, dass Rosberg seinen Stallrivalen ausgerechnet in jenem Bereich schlägt, auf dem der Engländer fast als unschlagbar galt: beim Bremsen. Genauer gesagt, habe Rosberg die Art und Weise geändert, wie er in die Kurven hinein bremse. Er habe bei der Abstimmung seines Fahrzeug einen Weg gefunden, sich im Wagen wohl zu fühlen, obschon das Auto über die Hinterachse mehr rutscht. Nur wenige Formel-1-Fahrer fühlen sich mit einem lebhaften Heck nach der Einlenkphase wohl – Sebastian Vettel ist so ein Fahrer und Lewis Hamilton auch.

Geringfügige Anpassungen beim Bremsen sollen es Rosberg erlauben, aggressiver in die Kurve zu stechen und dabei vom Einlenken bis zum Scheitelpunkt der Kurve jene Bruchteile einer Sekunde zu gewinnen, die letztlich den Ausschlag geben über Pole-Position oder Startplatz 2.

Es geht alles ums letzte Vertrauen ins Auto, und ein elementarer Punkt ist dabei das Gefühl mit der Bremse.

Nico Rosberg berichtete schon im Juni 2014 davon, dass er hart daran arbeite, ein besseres Gefühl für die Bremse zu erhalten.
«Bremsen ist ein Thema, wo ich mit dem Team am Arbeiten bin, um es zu verbessern. Um genau zu sein, ist die Bremse das Hauptaugenmerk auf der Liste verbesserungsfähiger Punkte. Da fühle ich mich noch immer nicht wohl damit. Das Gewicht des Autos hatte sich von 2013 auf 2014 erhöht. Das hat das Gefühl für die Bremse verändert. Ich finde sie komplett unnatürlich, der ganze Haftungsverlauf während des Bremsvorgangs ist für mich nicht ideal, er ist nicht gleichmässig und einfach seltsam. Wir hatten zwar eine Lösung, aber dann ist beim Barcelona-Test eine Bremsscheibe in die Luft gegangen. Das wäre meine Lösung gewesen, leider hat’s mir die Scheibe um die Ohren gehauen und ich war ohne Bremse unterwegs. Das war das Ende meiner Lösung.»

Exakt ein Jahr später, im Juni 2015 sprach ich erneut mit Rosberg über das Thema Bremsen. Dabei sagte der Silberpfeilfahrer auf die Frage, ob er sich inzwischen wohler fühle: «Nein, ich habe noch immer das gleiche Problem, denn die Ausgangslage hat sich nicht geändert. Es dauert sechs Monate, um neue Bremsscheiben zu backen. Wenn du einen neuen Satz ausprobierst und du schlägst eine Modifikation vor, dann vergehen wieder einige Monate, bis die entsprechend geändert sind. Das ist ein ganz langwieriger Prozess. Ich habe mich etwas mehr angepasst, aber so ganz wohl fühle ich mich noch immer nicht. Wenn ich bremse, ist die Verzögerung einfach nicht konstant, abhängig von der Temperatur der Bremse. Während des Bremsmanövers lässt die Verzögerung auf einmal nach, dann musst du wieder härter aufs Pedal treten. Dieser Variabilität macht es schwierig.»

Aber inzwischen haben sich die Parameter verändert: Nach den Reifenplatzern von Nico Rosberg im Training zum Grossen Preis von Belgien und im Rennen am Ferrari von Sebastian Vettel hat Pirelli zum Italien-GP hin neue Vorschriften eingeführt, was Reifendruck und Radsturz angeht. Die Italiener wollen weitere Highspeed-Reifenschäden vermeiden. Mercedes reagierte auf die Änderungen mit einer Anpassung der Abstimmung. Durchaus denkbar, dass diese Anpassung zusammen mit Rosbergs Arbeit an einem besseren Gefühl zum Ergebnis geführt hat, dass sich Nico derzeit im Silberpfeil sehr wohl fühlt und Hamilton das letzte Quäntchen Gefühl abhanden gekommen ist.

Hamilton spricht ja davon, dass das Handling seit Singapur nicht mehr gleich sei, das war jenes Rennen, in welchem die Mercedes aufgrund von Abstimmungsproblemen ungewöhnlich schwächelte und Sebastian Vettel im Ferrari triumphierte. Mercedes-Technikchef Paddy Lowe hat später erklärt, man habe die Vorkommnisse im Stadtstaat ergründet und Gegenmassnahmen eingeleitet. Es wurde jedoch nie im Detail erklärt, was Mercedes genau getan hat. Was immer es war – es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass beim folgenden GP-Wochenende in Japan die Pole-Serie von Rosberg begann.

Für Mercedes-Teamchef Toto Wolff steht fest: «Beide Fahrer werden im kommenden Winter sehr gründlich darüber nachdenken, was im letzten Saisonviertel passiert ist.»

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