Toto Wolff (Mercedes) zu Wintertest: Ferrari ist dran

Von Mathias Brunner
Mercedes-Teamchef Toto Wolff

Mercedes-Teamchef Toto Wolff

​Mercedes-Benz-Motorsportchef Toto Wolff über die exzellente Saisonvorbereitung, die Rivalität zwischen Rosberg und Hamilton und die Gefahr Ferrari. Wie sieht es beim Kräfteverhältnis aus?

Eigentlich lautet die Einschätzung vieler Experten im Fahrerlager des Circuit de Barcelona-Catalunya nach acht Testtagen: Mercedes-Benz hat den Vorsprung auf Ferrari konserviert. Die Weltmeister von 2014 und 2015 haben auf Einsätze mit den weichsten beiden Reifenmischungen verzichtet, das ist gewiss kein Anzeichen für Selbstzweifel.

Aber dann das: Kimi Räikkönen fuhr an seinem letzten Testtag mit weichen Reifen schneller als Nico Rosberg bei vergleichbaren Verhältnissen zwei Tage zuvor. Seither geht die Frage um: Ist Ferrari dem Klassenbesten Mercedes dichter auf den Fersen als Fans und Fachleute glauben?

Toto Wolff (44), Motorsportdirektor von Mercedes-Benz: «Ferrari ist nahe dran. Auf gleichen Reifen sind sie schneller gefahren als wir. Gut, niemand kennt Unterschiede, was die Spritlast angeht. Zehn Kilo Kraftstoff machen schnell mal drei Zehntelsekunden aus. Aber ich glaube wirklich – Ferrari ist uns näher gekommen. Für den Wettbewerb ist das eine gute Nachricht.»

«Wir sind noch immer die Favoriten. Aus dem einfachen Grund, weil wir zwei Mal in Folge den Weltmeistertitel erobert haben. Wir halten unser Auto für gut. Ob es gut genug ist, den dritten Titel hintereinander zu holen, das muss sich zeigen. Jedenfalls glaube ich nicht an eine Dominanz. Ganz im Gegenteil – das wird eng gegen Ferrari.»

Der Wiener ist mit der Saisonvorbereitung seines Teams sehr zufrieden: «Wir haben unsere Ziele erreicht. Zunächst sagten mir die Techniker – wir wollen zwischen 700 und 800 Kilometern pro Tag fahren. Ich fand das sehr ehrgeizig. Aber dann haben wir das erreicht. Die Daten von der Rennstrecke stimmen mit den Messwerten aus dem Windkanal überein, das ist immer ein gutes Zeichen. Die Leistungsfähigkeit stimmt, ob sie reicht, um zu gewinnen, werden wir in Australien sehen.»

Malaysia, Singapur, Ungarn, bei diesen Rennen waren die Silberpfeile 2015 nicht so scharf wie gewohnt. Toto Wolff sagt: «Wir haben versucht, aus den Schwächen an jenen Rennwochenenden zu lernen, Singapur war für uns ein Weckruf. Wir glauben, dass wir die richtigen Lehren aus diesen Niederlagen gezogen haben, die Änderugen am Wagen scheinen zu funktionieren. Mal gucken, was passiert, wenn das grosse Bluffen vorbei ist.»

Als einziges Team hat Mercedes hier beim zweiten Test das Tageswerk auf seine beiden Fahrer aufgeteilt. Toto Wolff: «Das war die richtige Entscheidung. Wir fahren sehr viele Kilometer, da wollten wir unsere Piloten nicht schon vor Beginn der Saison an den Rand der Leistungsfähigkeit bringen. Nur einen halben Tag zu fahren, das hält sie Frisch, die übliche Leistungsdelle am Nachmittag fällt weg.»

Lewis Hamilton fasst seine Saisonvorbereitung so zusammen: «Das war für das Team eine einzigartige Wintertestphase – so viele Kilometer haben wir mit einem neuen Wagen noch nie gefahren, ich kann die Arbeit aller Mitarbeiter gar nicht genug loben. Das Mammut-Testprogramm war ermüdend für das Team, aber gut. Zum Schluss war ich erleichtert, dass doch noch etwas kaputt gegangen ist, denn die Faustregel gilt – lieber hier in Spanien als in zwei Wochen in Australien.»

In Sachen Rivalität zwischen Rosberg und Hamilton meint Wolff: «Lewis gewann den Titel, aber Rosberg hatte zum Schluss der Saison einen tollen Lauf. Das hat bei Hamilton bewirkt, dass er nun erst recht zeigen will, wer Herr im Ring ist. Gleichzeitig hat Rosberg mit seiner feinen Serie Selbstvertrauen getankt. Das wird ein intensives Duell.»

Toto Wolffs Wunsch für den Saisonbeginn: «Ein Sieg nach einer grandiosen Show.»

Aber wie grandiose wird die Show in Australien? Mit wem müssen wir rechnen? Wer wird zur Enttäuschung?

Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost gibt das Motto aus, was eine Einschätzung des Kräfteverhältnisses angeht: «Ich weiss, das ich nichts weiss.»

Spritlast, Motoreinstellungen, elektrische Energie, Reifenmischungen, Kraftübertragung – «es gibt an diesen Rennwagen tausend Möglichkeiten, das Kräfteverhältnis zu verschleiern», sagt Ferrari-Star Sebastian Vettel. «Was wirklich Sache ist erfahren wir erst, wenn die Autos unter identischen Bedingungen unterwegs sind – will heissen: im Abschlusstraining zum Australien-GP.»

Fernando Alonso gibt zu bedenken: «Das Abschlusstraining von Melbourne ist aber nur der erste Indikator. Das Rennen wird dann der zweite sein. Ein Bild zum möglichen Saisonverlauf kristallisiert sich erst nach einigen Rennern heraus. Zudem bringen viele Rennställe zum Spanien-GP hin erhebliche Updates.»

Dennoch, nach acht Testtagen und mehreren tausend Testkilometern haben sich Trends erhärtet: Mercedes-Benz liegt noch immer vorne, aber Ferrari ist näher gerückt. Ob näher bedeutet, dass die Italiener den Weltmeister schon in Australien herausfordern können, muss sich zeigen.

Ferrari-Star Sebastian Vettel: «Schon der erste Eindruck des neuen Wagens war gut, seither haben wir schöne Fortschritte erreicht, der positive Eindruck ist geblieben. Der Wagen fühlt sich gut an. Unser Fragezeichen ist die Leistungsfähigkeit der Gegner. Ich glaube, wir haben die Lücke weiter verringert.»

Dahinter liegen Williams, Force India und die beiden Red-Bull-Teams, Red Bull Racing und die Scuderia Toro Rosso. Der Speed von Force India war wirklich eindrucksvoll, Sorge macht den Technikern des Rennstalls aus Silverstone der Reifenverschleiss.

Williams hat während des Tests eher tiefgestapelt, in der Art von Mercedes-Benz. Entlang der Piste fällt auf: Die Chassis von Red Bull Racing und Toro Rosso sind der Knaller. Aber haben die Piloten auch genügend Leistung, um den Top-Teams in die Quere zu kommen?

Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost: «Ich erwarte, dass beide unserer Fahrer in der Lage sein müssten, im Abschlusstraining unter die schnellsten Zehn zu fahren. Das Auto benimmt sich sehr gut. Die Standfestigkeit stimmt, wir sind noch nie in einem Winter so viele Kilometer gefahren. Das hat uns ein tiefes Verständnis des Fahrzeugs ermöglicht. Nun hoffen wir, dass wir auch in Australien so zuverlässig fahren. WM-Rang 5 muss möglich sein.»

Renault hat im Winter ohne Zweifel zugelegt, Motorenchef Rémi Taffin spricht von einer halben Sekunde. Renault-Sport-Geschäftsleiter Cyril Abiteboul traut seiner Truppe zu, im Verlauf der Saison noch eine halbe Sekunde zu finden. Aber reicht das?

Renault-Technikchef Bob Bell: «Wir sind von den Ergebnissen überrascht. Denn obschon es nicht schönzureden ist, dass wir in Kernpunkten hinterher hinken – Motorleistung oder Abtrieb – so sind wir doch gut zum Fahren gekommen, und der Wagen funktioniert als Einheit gut.»

Renault-Pilot Kevin Magnussen bleibt auf dem Boden: «Wenn wir in Australien unter die ersten Zehn fahren wollen, müssen wir von Ausfällen vor uns profitieren.»

McLaren-Honda ist ein Fragezeichen. Auch hier gilt: Es gibt Fortschritte, aber wohin führen die? McLaren hat im Test nicht alle Teile gehabt, die kommen erst in Australien ans Chassis, in Melbourne erst gibt auch Honda die schärfste Motorversion frei. Wo sich McLaren-Honda damit im Mittelfeld einreiht, wissen nicht mal die Spezialisten aus England und Japan selber.

Fernando Alonso: «Bin ich dort, wo ich gerne sein möchte? Ich schätze, wir könnten zwanzig Wintertesttage haben und wir hätten noch immer das Gefühl – wir hätten mehr machen müssen. Aber unsere Zeit ist nun mal beschränkt, und wir haben eine Menge daraus gemacht. An den kommenden Grand-Prix-Wochenenden werden wir mehr aus dem McLaren-Honda herausholen, dessen bin ich mir ganz sicher.»

Hinteres Mittelfeld: Renault und Sauber, mit den Neulingen von Haas und der tapferen Manor-Truppe hinten.

Sauber laboriert an einem Erfahrungsrückstand gemessen an der Konkurrenz. Zudem ist der Wagen nicht standfest genug. Das Gleiche gilt für Haas und Manor.

Teamchef Gene Haas: «Klar macht es uns nervös, dass wir einen Teil der Testzeit eingebüsst haben. Viele Menschen unterschätzen, wie komplex diese Autos heutzutage sind. Alles muss perfekt stimmen, damit der Wagen läuft. Wir haben das Glück gehabt, in der ersten Testwoche eine gute Basis zu erhalten. Das kann uns keiner mehr nehmen. Aber das gehört alles eben zum Lernprozess in der Formel 1. Wir sind nicht nach Spanien gereist und haben erwartet, dass keine Schwierigkeiten auftreten würden. Ganz im Gegenteil waren wir in der ersten Testwoche davon überrascht, wie viel wir zum Fahren gekommen sind. Uns war immer klar, dass das nicht der Normalfall bei einem Wintertest ist. Schon gar nicht dann, wenn du neu in der Branche bist wie wir. Stolpern gehört zum Geschäft, wieder Aufstehen ist das Wichtige.»

Wer stolpert, wer hinfällt, wer läuft und wer richtig rennt – ab 19. März werden wir schlauer sein.

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