Guy Ligier: Erinnerungen an den knorrigen Teamchef

Kolumne von Mathias Brunner
Guy Ligier mit seinem langjährigen Piloten Jacques Laffite

Guy Ligier mit seinem langjährigen Piloten Jacques Laffite

​Solche Typen fehlen der Formel 1: Vor genau einem Jahr starb der frühere Rugby-Spieler, Rennfahrer, Kettenraucher und spätere Teamchef Guy Ligier. Ein Mann wie ein Erdbeben.

Unlägst sass eine kleine Journalistenrunde beim Abendessen. Wir kamen bald überein, dass der Formel 1 die echten Racer unter den Teamchefs mehr und mehr verloren gehen. Die heutigen Rennstallchefs sind mehrheitlich Manager, die Teambesitzer Autokonzerne und Investoren. Ron Dennis und Frank Williams sind noch die letzten Teamchefs aus den 70er und 80er Jahren.

Wir vermissen knorrige Typen wie Ken Tyrrell oder Guy Ligier aus den Zeiten, als politische Korrektheit kein Begriff war.

Eine der charismatischsten, aber auch rätselhaftesten Figuren im französischen Motorsport ist vor exakt einem Jahr verstorben, am 23. August 2015: Guy Camille Ligier. Der bullige Mann aus Vichy wurde 85 Jahre alt.

Rennsport war die zweite Liebe von Ligier: In den 40er Jahren hatte sich der Metzger-Geselle in Vichy zu einem der besten Rugby-Spieler entwickelt, er spielte sogar für die Nationalmannschaft. Zeit seines Lebens war der früh zum Vollwaisen gewordene Ligier davon beseelt, Karriere zu machen. Neben seiner Arbeit als Fleischer sparte er auf einen Bulldozer und wechselte in die Baubranche.

Ligier profitierte vom Bau-Boom in Frankreich, baute seine Firma kontinuierlich aus und knüpfte zu Politikern wie dem späteren Staatschef François Mitterrand ein Vertrauensverhältnis. Diese Kontakte sollten ihm später als Rennstallchef überaus nützlich sein.

Nach einigen Versuchen im Motorradsport fuhr Ligier in den späten 60er Jahren Einsitzer, mit seinem Freund Jo Schlesser ging er eine Partnerschaft ein.

Guy Ligier bestritt in seiner aktiven Karriere in der Motorsport-Königsklasse 1966 und 1967 zwölf Rennen und holte beim Deutschland-GP 1967 einen Punkt, zunächst mit einem privaten Cooper-Maserati, dann mit einem Brabham-Repco.

Bekannter wurde er allerdings als Teambesitzer. Nach dem Tod seines Freundes und Geschäftspartners Schlesser 1968 (Unfall als Honda-Gastfahrer in Rouen) kehrte er der Formel 1 als aktiver Fahrer zunächst den Rücken und arbeitete als Sportwagen-Konstrukteur. Im Gedenken an seinen Kumpel Schlesser trug sein erster Sportwagen die Bezeichnung Ligier JS1, so wurden ab dann alle seine Rennwagen beginnend mit JS durchnummeriert.

Doch Ligier hatte andere Ambitionen als Sportwagensport: 1974 kaufte er das Matra-Team, das zwei Jahre später im Ligier-Team aufging, im Winter 1975/1976 war sein GP-Team bereit, unterstützt von zahlreichen nationalen Firmen, allen voran der Zigarettenmarke Gitanes. Die tanzende Zigeunerin aus dem damaligen SEITA-Tabakkonzern wurde jahrelang zur Begleiterin der Ligier-Formel-1-Renner.

Zwischen 1976 und 1996 bestritt das Team in der Formel 1 insgesamt 325 Rennen und holte dabei neun Siege, sechs davon durch den französischen Nationalhelden Jacques Laffite. Guy Ligier war nicht der einfachste Chef. Seine Wutausbrüche waren legendär. Wer jedoch sein Vertrauen gewonnen hatte, besass einen Freund auf Lebenszeit.

Ligier war dem Wein zugetan, rauchte Kette und war Racer durch und durch. Sein Urteilsvermögen wurde bisweilen vom aufbrausenden Temperament getrübt, aber meist lag er mit Entscheidungen aus dem Herzen und aus dem Bauch heraus richtig.

Ligier war der klassische Fall von harter Schale, weicher Kern. Sein rustikales Auftreten konnte täuschen – Ligier konnte war keinen Hochschulabschluss vorweisen, war jedoch mit reichlich Bauernschlauheit gesegnet und ein gewiefter Taktiker bei geschäftlichen Verhandlungen.

1979 begann Ligier das Jahr mit dem besten Auto im Feld, zwei überlegende Siege für Jacques Laffite, samt Pole-Positions und bester Rennrunden, doch mangelnde Entwicklung führte dazu, dass die Konkurrenz auf- und dann überholte. Die Gegner von Ligier verstanden den Saugnapfeffekt der Wing-Cars einfach besser. Um genau zu sein, produzierte der Wagen so viel Abtrieb, dass Aufhängungen und Reifen überfordert wurden. Die Renner von Williams und Brabham liefen standfester.

Den letzten GP-Erfolg holte Olivier Panis 1996 in einem denkwürdigen Rennen in Monaco, als nach einem chaotischen Lauf nur drei Autos die Ziellinie gesehen hatten. 1997 wurde der Rennstall schliesslich vom viermaligen Weltmeister Alain Prost übernommen, Ligier war da schon vier Jahre lang nicht mehr am Ruder, er hatte das Team 1992 an den Industriellen Cyril de Rouvre verkauft. Prost scheiterte letztlich und musste den Rennstall 2001 zusperren.

Da hatte Ligier mit der Herstellung von Düngemitteln ein neues Vermögen gemacht, zudem hatte er ein erfolgreiches Geschäft mit Kleinwagen aufgebaut, die ohne normalen Führerschein bewegt werden dürfen.

2005 kehrte Ligier zu seinen Wurzeln zurück – zusammen mit Automobiles Martinin wurden zwei Modelle gebaut, ein JS47 für die Formel 3, ein JS49 als Sportwagen. Seit 2014 sind Ligier-Renner in der LMP2-Klasse unterwegs.

Die Marke Ligier bleibt über den Tod des Firmengründers hinaus auf den Rennstrecken präsent.

Das hätte Guy gut gefallen.

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