Indy 500: 100 und daher besonders mega

Von Gerhard Kuntschik
In Indianapolis geht Sonntag das legendärste Autorennen der Welt in Szene: Die 500 Meilen. Weil es die 100. Auflage erlebt ist alles noch bombastischer als sonst. Einfach mega.

Indianapolis, die Hauptstadt des US-Bundesstaats Indiana und selbsternannte «Racing Capital of the World», ist inzwischen noch vielfältiger geworden, was die Rennen im historischen Indianapolis Motor Speedway – nachdem sogar ein eigener Stadtteil (Speedway) an der 16. Strasse im Westen der 800.000-Einwohner-Metropole benannt ist – betrifft.

Die Formel 1 war auf die Jahre 2000 bis 2007 beschränkt, auf einem eigens gebauten Infield-Kurs. Die Stockcars der NASCAR-Serie fahren das «Brickyard 400» hier seit 1994, die Motorrad-WM gastierte von 2008 bis 2015, doch das sind oder waren alles Randerscheinungen zum ältesten noch ausgetragenen Rennen der Welt: den 500 Meilen von Indianpolis.

Das «Indy 500» ist die Signatur des Rennsports in den USA, durchgeführt seit 1911, wegen Kriegs-Unterbrechungen geht es Sonntag zum 100. Mal in Szene. Das an sich als Riesenspektakel bekannte Ereignis wird diesmal zum Mega-Event, denn da kennen sich die Amerikaner aus.

Und die Traditionen leben wieder auf: Der Priester spricht das Gebet, die inoffizielle Hymne wird gesungen (seit 1946 «Back Home Again in Indiana»), natürlich die amerikanische Nationalhymne, Chöre und Musikkapellen marschieren Stunden vor dem Start auf (was erstmals 1927 passierte), die Air Force wird eine Parade fliegen, und die Promis aus Politik und Showbiz werden noch zahlreicher vertreten sein als sonst.

So wird «Star Trek»-Protagonist Chris Pine mit der grünen Flagge das Rennen freigeben. Und die Hunderttausenden auf den Tribünen und im Infield werden jubelnd alles beklatschen. Und der Sieger, der trinkt in der «Victory Lane» – keinen Champagner, sondern demonstrativ Milch – aus Tradition wurde längst Vermarktung durch die Milchwirtschaft.

Das Indy 500, das ist Amerika, wie es seine wirklichen Feste zelebriert.

Grösstes Tagesereignis im Sport

Das Indy 500 ist die grösste Tagesveranstaltung im Weltsport – weil bis zu 400.000 Zuschauer das Rennen im 1909 errichteten Betonoval verfolgen, davon 235.000 auf den Tribünensitzplätzen. Das Indy 500 steht mit seiner Geschichte über mehr als hundert Jahre für mehr Triumphe, Tragödien und Rekorde als jedes andere Sportereignis.

Im Prinzip blieb die ursprüngliche Konfiguration des 2,5-Meilen-Ovals (vier Kilometer) mit vier um jeweils 9,2 Grad überhöhten Kurven über die Jahrzehnte unverändert, gefahren wird gegen den Uhrzeigersinn, lediglich die Fahrbahnbeschaffenheit änderte sich. Was die Überhöhung («Banking») bedeutet, erfährt jeder, der einmal zu Fuss dort unterwegs war: Es ist nur mit grösster Balance möglich, nicht umzufallen.

Von der Vision zur Legende

Aus der Vision des lokalen Geschäftsmannes Carl G. Fisher, der das Speedway von März bis Oktober 1909 um damals drei Millionen Dollar als Teststrecke für die junge amerikanische Autoindustrie errichten liess, wurde die legendärste Rennstrecke mit einer Gesamtfläche von 2,3 Quadratkilometern. Und die einzige, die zum nationalen historischen Wahrzeichen in den USA aufgewertet wurde (1987).

Dort gibt es ein Motel, dort ist ein Golfplatz integriert, dort steht das sehenswerte Museum («Hall of Fame»), dort haben Puristen des oval racing die Nase gerümpft, als für die Formel 1 ein Kurs im Innenfeld (unter Einbeziehung einer überhöhten Kurve in entgegengesetzter Richtung) von 1998 bis 2000 errichtet wurde.

Wie es um die Formel 1 in den USA (jetzt ist Austin, Texas, der zehnte Schauplatz) bestellt ist, zeigte das Beispiel Indy: Wenn die Formel 1 in den USA irgendwo Fuss fassen könnte, dann hier, glaubten viele im Jahr 2000. Nach acht Rennen waren die Kosten sogar für die reiche Hulman-George-Familie, der das Speedway gehört, zu viel.

Der Ziegelhof und ein Erfinder

Nach Fertigstellung 1909 fanden einige Rennen und Rekordversuche auf der Sandpiste statt, die aber bald durch Löcher unbefahrbar wurde. So wurde experimentiert und die Fahrbahn mit 3,2 Millionen Ziegelsteinen (a 4,5 Kilogramm) «modernisiert»: um 155.000 Dollar. Auch wurde als Begrenzung eine 84 Zentimeter hohe Mauer rundum gebaut: Der «Brickyard» war geboren. Es blieb bis heute der 91 Zentimeter (ein Yard) schmale Streifen auf der Ziellinie aus Originalsteinen erhalten.

1911 wurde beschlossen, nur noch ein Rennen pro Jahr durchzuführen, das aber über 500 Meilen (800 Kilometer), und zwar stets am letzten Sonntag im Mai, wenn der darauffolgende Montag Feiertag (Memorial Day – Kriegsgefallenen-Gedenktag) ist. Damit kann bei Regen um einen Tag verschoben werden, denn auf nasser Piste wird im Oval nicht gefahren.

Die 500-Meilen-Rennen waren stets für offene Rennwagen mit freistehenden Rädern, aber anfangs auch für zwei Fahrer ausgeschrieben (der zweite war der mitfahrende Mechaniker, der «Riding Mechanic», der über den Öldruck wachte und den Fahrer über «Verkehr» informierte, bis 1923, später wurden sie noch einmal kurz zugelassen).

Am 30. Mai 1911 fand das erste 500-Meilen-Rennen für Fahrzeuge mit Motoren bis zu 9,8 Litern Hubraum statt – für die 40 Genannten wurden 25.000 Dollar Preisgeld ausgelobt. Ray Harroun schrieb mit seinem Sieg in einem Marmon-Wasp nicht nur Rennsportgeschichte: Er war der einzige, der seine Erfindung – den Rückspiegel – verwendete.

Europa mischte mit

Das Indy 500 war von Beginn an keine rein amerikanische Angelegenheit. Nicht nur, dass mit Louis Chevrolet ein Schweizer Einwanderer Akzente setzte: Schon 1913 siegte der Franzose Jules Goux auf einem Peugeot, ein Jahr später sein Landsmann René Thomas auf einem Delage und 1915 der Italiener Ralph de Palma auf einem Mercedes! 1927 verkauften Fisher und sein Partner Allison den Speedway an den als Kampfflieger im Ersten Weltkrieg berühmt gewordenen Eddie Rickenbacker.

Doch bis 1942 verfiel die Anlage zusehends, im Zweiten Weltkrieg wurden die Rennen untersagt. Doch das vorhersehbare Ende kam nicht, weil Geschäftsmann Tony Hulman aus Terre Haute (Indiana) Rickenbacker die Anlage 1945 um 750.000 Dollar abkaufte – und die Renovierung einleitete. In der Neuzeit fiel die Tradition der Notwendigkeit zum Opfer: Der moderne Zielturm «Pagode» wurde errichtet, das Ziegelhaus, das als Pressezentrum diente, wurde geschleift, die Garagen und die Tribünen an der Boxenstrasse wurden neu gebaut.

Triumphe und Tragödien

Von 1950 bis 1960 zählte das Rennen auch zur Formel-1-WM – doch lediglich Alberto Ascari wagte von den Stammpiloten der Formel 1 das Antreten in Indy, alle anderen verzichteten. Ab den 1960er-Jahren versuchten sich doch wieder F1-Stars im Brickyard: Jim Clark und Graham Hill konnten sogar gewinnen, Jochen Rindt verunfallte schwer.

Für Europäer und Südamerikaner – vor allem jene, die es nicht in die Formel 1 schafften oder aus ihr ausgeschieden waren – wurden das Indy 500 und die CART-Meisterschaft der 1980er- und 1990er-Jahre immer attraktiver. Europäische Chassisbauer (March, Reynard, Dallara) und Motorenhersteller (Mercedes, Porsche) hielten Einzug, dann kamen die Japaner (Honda, Toyota). Und Formel-1-Weltmeister mischten um Siege und Titel mit: Emerson Fittipaldi, Mario Andretti, Nigel Mansell.

Anders herum wurde das Indy 500 zum F1-Sprungbrett für Jacques Villeneuve und Juan Pablo Montoya. Mit je vier Siegen waren aber «Einheimische» die erfolgreichsten Fahrer im Indy 500: A. J. Foyt, Al Unser sen. und Rick Mears. Das Preisgeld stieg in den vergangenen Jahren auf nahezu 15 Millionen Dollar, davon rund drei für den Sieger. Da wird das Risiko, mit 300 km/h in die Mauer zu fliegen, schnell verdrängt.

Im Speedway starben insgesamt 73 Menschen (42 Fahrer, 13 Riding Mechanics, ein Motorradfahrer und 17 aus Boxencrews oder Zuschauern). Tony Renna (2003 bei Tests) und Scott Brayton (1996 im Training, nachdem er zuvor die Pole-Position herausgefahren hatte) waren die jüngsten tödlich verunglückten Piloten in Zusammenhang mit dem Indy 500. Den letzten tödlichen Rennunfall erlitt Swede Savage 1973, der schwersten Verbrennungen ein Monat nach dem Crash im Spital erlag.

Das Oval der Rekorde

Im Indy 500 ging stets alles schnell. Viele Bestmarken gehören dem «Flying Dutchman» Arie Luyendyk, der im Mai 1996 die schnellste Qualifikationsrunde fuhr (mit einem Schnitt von 382,216 km/h). Für die Startaufstellung des auf 33 Plätze limitierten Feldes (elf Reihen) werden aber vier fliegende Runden herangezogen, die Luyendyk mit 381,392 km/h bewältigte.

Das schnellste Rennen gewann der Brasilianer Tony Kanaan 2013 in 2:40:03 Stunden mit einem Schnitt von 301,664 km/h (inklusive Boxenstopps wohlgemerkt). Wie eng ein 500-Meilen-Rennen im Finish werden kann: Neun Mal waren Sieger und Zweiter durch weniger als eine Sekunde getrennt – 1992 distanzierte Al Unser jun. Scott Goodyear um lächerliche 0,043 Sekunden, 2014 trennten Ryan Hunter-Reay und Helio Castroneves 0,060 Sekunden.

Der Rennstallbesitzer Chip Ganassi, einer der grossen Drei der Gegenwart (neben Roger Penske und Michael Andretti), hat Indy als Teamchef vier Mal gewonnen, hat in allen anderen grossen Rennserien und Klassikern reüssiert. Zum Rennen am Sonntag sagt er: «Das Indy 500 zu gewinnen ist eines der grössten Erlebnisse. Das 100. zu gewinnen, wäre das allergrösste.» Noch dazu wäre es ein ideales Geburtstagsgeschenk seiner Piloten: Ganassi wurde diese Woche 58 Jahre alt.

Indy, das ist einfach mega.

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