Jürgen Lingg (Intact): «Jetzt kleinere Ziele setzen»

Von Günther Wiesinger
Jürgen Lingg, Technikchef des deutschen Dynavolt Intact-Teams, hat klare Vermutungen betreffend das schwache Abschneiden von Sandro Cortese. «Er hat sich zu hohe Ziele gesetzt und ist jetzt verkrampft», sagt Lingg.

Sandro Cortese setzte sich im März vor dem Start der Moto2-Saison recht anspruchsvolle Ziele. Er gehe nicht in seine dritte Moto2-Saison, um WM-Fünfter zu werden, er wollte Podestplätze erzielen, den ersten Sieg und um den Titel fighten.

Der 25-jährige Berkheimer wollte es seinem Kumpel Stefan Bradl (der gewann den Moto2-WM-Titel bereits im zweiten Jahr) nachmachen und 2016 in die MotoGP-WM aufsteigen.

Auch Intact-Chef Stefan Keckeisen zählte Cortese «zum erweiterten Favoritenkreis», es wurde offen vom Titel gesprochen.

Nach fünf von 18 Rennen ist im deutschen Dynavolt Intact GP-Team Ernüchterung eingekehrt.

Sandro Cortese, siebenfacher GP-Sieger und Moto3-Weltmeister von 2012, liegt in der WM mit 22 Punkten nur an zwölfter Stelle, vor ihm Syahrin und Simón, von Jonas Folger (WM-Dritter mit zwei Siegen und 57 Punkten) ganz zu schweigen. Und Rookie Alex Rins ist WM-Siebter!

Zwei siebte Plätze in Doha und Las Termas, zwei 14. Plätze und ein Sturz in Jerez – das ist die ernüchternde Zwischenbilanz.

«Ich bin mit meinem Latein am Ende», seufzte der an Kummer gewöhnte Technik-Direktor und Teamteilhaber Jürgen Lingg nach Corteses Crash am Samstagvormittag beim Le-Mans-GP.

Die Euphorie der zufriedenstellenden Wintertests ist verflogen. Jetzt ist Schadensbegrenzung angesagt, die Zielsetzungen für die restlichen 13 WM-Rennen werden revidiert.

Jürgen Lingg suchte im Interview mit SPEEDWEEK.com nach den Gründen für die bescheidenen Ergebnisse.

Jürgen, wie kannst du deinen Schützling Sandro Cortese wieder aufmuntern und aufbauen, nachdem er in Le Mans im Rennen mehr als 30 Sekunden verloren hat und nur als 14. ins Ziel gekommen ist?

Hm, durch viel miteinander schwätzen. Wir befinden uns im Moment in einer schwierigen Situation. Sandro ist so verkrampft... Er meint immer, er sei ganz locker, aber er ist es leider nicht. Er nimmt sich viel zu viel vor.

Sandro hat sich wohl im Winter zu stark unter Druck gesetzt, als er erstmals ankündigte, er strebe den Titelgewinn an? Anderseits musste er als letztjähriger WM-Neunter eine Vorwärts-Strategie wählen?

Jetzt müssen wir Schritt für Schritt das Vertrauen wieder aufbauen und uns kleinere Ziele setzen. Wir müssen manchmal auch mit etwas weniger zufrieden sein. Nur so geht’s.
Es ist alles ein bisschen schwierig.
Denn das Motorrad funktioniert auch nicht so, wie wir es gerne hätten. Es kommt eins zum andern dazu.

Wie lassen sich die Technik-Probleme beschreiben? Hat Sandro Probleme mit der 2015er-Kalex? Oder ist WP Suspension der Konkurrenz Öhlins inzwischen überlegen? Die vier WM-Ersten Zarco, Lüthi, Folger und Lowes vertrauen auf WP.

Natürlich ist es so, dass WP momentan definitiv saugut ist. Das wissen wir alle. Aber darauf können wir es nicht alleine schieben, denn bei Tito Rabat geht es auch einigermassen. Er tut sich zwar auch schwer, aber bei ihm geht es einigermassen.
Der Hauptunterschied sind die Reifen, meiner Meinung nach. Der eine kommt besser damit zurecht, der andere weniger. Es ist ist auch nicht so, dass die Reifen schlechter sind als 2014. Ich glaube, sie sind eher besser. Aber man muss es mit der Abstimmung ziemlich genau treffen.
Die Reifen haben dieselbe Mischung wie im Vorjahr, aber sie werden jetzt in Frankreich statt in England hergestellt, das ist eine komplett neue Fabrik. Die Reifen sind jetzt einfach anders.
Öhlins arbeitet emsig daran, neue Suspension-Teile zu entwickeln. Für Barcelona bekommen wir eine neue TR-Gabel, wie sie in der MotoGP und von Estrella Galicia in der Moto3 eingesetzt werden. Sie hätte schon für Mugello kommen sollen, aber die Zeit hat nicht gereicht.
Wir müssen jetzt etwas Geduld haben und aus dem, was wir haben, das Beste daraus machen.

Das Dynavolt-Team hat schon im November 2012 mit WP Suspension getestet, es kam aber dann nie ein Vertrag zustande. Musst du jetzt irgendwann in Österreich zu Kreuze kriechen und umsteigen?

Ich glaube, dass Öhlins noch einen Schritt nach vorne macht, die geben im Moment echt Vollgas.
Und wenn ich mit WP verhandeln muss, dann ist es halt so. Ich habe da kein Problem damit. Die Missverständnisse von damals habe ich mit Ing. Peko längst geklärt. Wir haben ein super Verhältnis.
Doch für die Saison 2015 ist ein Umstieg mit Sicherheit kein Thema. Wir werden von Öhlins super betreut.

Wie weit werden die Ziele jetzt für die nächsten Rennen runtergeschraubt? Werden einfach konstant Plätze von 10 bis 15 angepeilt, bis Sandro wieder mehr Vertrauen gefasst hat und das Technik-Paket besser geworden ist?

Ich denke, auf gewissen Strecken wird es funktionieren, dass man zwischen 5 und 10 fährt, auf anderen müssen wir uns mit Plätzen zwischen 10 und 15 begnügen.
Aber darum geht es momentan gar nicht. Wichtig ist, dass jetzt eine Konstanz reinkommt und er nimmer so oft runterfällt.
Sandro fällt in letzter Zeit so oft runter, weil er im Moment einfach schneller fährt als er kann.

Du sprichst den Rennsturz in Jerez an, dan?ach folgten in den Tagen danach zwei Teststürze in Aragón, dann passierte der Crash im FP3 in Le Mans, wobei allerdings Nakagami Schuld war?

Ja, Nakagami hat dann einen Strafpunkt gekriegt. Aber im Prinzip interessiert mich das gar nicht. Es ist mir Jacke wie Hose, wer an diesem Sturz Schuld war.
Wir haben uns einfach die Ziele zu hoch gesteckt. Deshalb fährt zu viel Druck mit, und der muss weg.
Sobald Sandro wieder mehr Spass an der Sache findet, geht es auch wieder aufwärts. Dann können wir auch wieder solide arbeiten. Im Moment ist die Situation verfahren. Es liegt auch am Motorrad.
Es ist momentan nicht so einfach wie letztes Jahr.

In Le Mans hast du gesagt: Ich bin mit meinem Latein am Ende. Ist diese Phase der Sprachlosigkeit überwunden?

Ja, ich habe mich dann bald wieder eingefangen. Wir werden beim Set-up auch in Mugello noch etwas probieren. Ich denke, ich habe noch eine gute Idee.

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