CarXpert-Team: Berufsverbot für Domi Aegerter?

Kolumne von Günther Wiesinger
Assen 2016: Domi Aegerter gratuliert Tom Lüthi zur Pole-Position

Assen 2016: Domi Aegerter gratuliert Tom Lüthi zur Pole-Position

Der fristlose Entlassung von Domi Aegerter bei CarXpert war nicht die feine englische Art. Darf der Schweizer jetzt in seiner neu gewonnen Freizeit wenigstens die Suter MMX2 testen?

Ich kann mich an keinen vergleichbaren Fall erinnern. Ein GP-Fahrer verkündet am Mittwoch um 16.30 Uhr seinen Wechsel in ein anderes Team – und wird am nächsten Vormittag trotz gültigen Vertrags und ohne Angabe von handfesten und nachvollziehbaren Gründen für die letzten vier Saisonrennen suspendiert.

Was war vorgefallen, bevor es im renommierten Schweizer CarXpert Interwetten-Team zu diesem Eklat mit dem Rausschmiss von Domi Aegerter kam?

Monatelang hatte das Team dem Sachsenring-GP-Sieger von 2014 die Rückkehr von Kalex zu Suter wie eine Karotte vor die Nase gehalten.

Bei einem Vertragsgespräch letzte Woche nach dem Aragón-GP wurde Aegerter plötzlich vor vollendete Tatsachen gestellt. Er müsse 2017 weiter mit der ungeliebten Kalex fahren, wurde ihm mitgeteilt.

Als Aegerter aufstand und Richtung Tür ging, wurde er gefragt: «Fährst du also nächstes Jahr bei uns?»

Aegerter entgegnete: «Es wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben.»

Diese entrüstete und im Affekt getroffene Aussage betrachteten Teammanager Fred Corminboeuf und Teambesitzer und Hauptsponsor Olivier Métraux offenbar als mündliche Zusage.

Doch am vergangenen Wochenende wurde mit Hilfe von Suter Racing nach anderen Möglichkeiten Ausschau gehalten. Und tatsächlich ergab sich die Chance bei Leopard Racing, wo Miguel Oliveira ersetzt werden muss und wo der zweite Platz neben Danny Kent nicht endgültig vergeben war.

Am Mittwoch (5. Oktober) wurde der Vertrag mit Kiefer und Leopard besiegelt. Die CarXpert-Manager wurden am falschen Fuss erwischt, Aegerter und sein Manager Robert Siegrist posaunten die Nachricht schnellstmöglich und triumphierend in die Welt hinaus, nachdem sie von SPEEDWEEK.com um 15.30 Uhr exklusiv verkündet worden war.

Am nächsten Tag wurde Domi Aegerter von den letzten vier Grand Prix freigestellt; das kommt einer fristlosen Entlassung gleich.

Scheinheilige Begründung: Vertrauensbruch.

Hier zeigt sich wieder einmal, dass die Fahrer eine Interessensvertretung brauchen. Die Teams (IRTA) haben eine, die Hersteller (MSMA) haben eine, nur die Fahrer nicht.

So können die Teams ihre Fahrer ohne Angabe von Gründen willkürlich und nach Gutdünken tauschen und entlassen.

Das geschah zum Beispiel im Sommer 2015 bei LaGlisse, wo Isaac Viñales durch Lorenzo Dalla Porta ersetzt wurde. Niklas Ajo musste dann bei RBA-KTM für Viñales Platz machen. Und als Stefan Bradl im Sommer 2015 von Forward Yamaha zu Aprilia wechselte, musste er sich zuerst eine Freigabe von Forward beschaffen, ehe er bei Aprilia unterschreiben konnte. Dabei saß der Teambesitzer Cuzari in Untersuchungshaft und niemand wusste, ob das Team noch einmal ein Rennen bestreiten kann, von den allseits bekannten Zahlungsrückständen gar nicht zu reden.

In Europa geniesst jeder Mensch das Recht auf freie Wahl des Abeitsplatzes. Aber ein GP-Team darf in diesem System von Dorna, IRTA und FIM beim geplanten Arbeitsplatzwechsel eines Piloten trotz eines aufrechten Vertrags quasi ein Berufsverbot für einen Weltklassefahrer wie Aegerter aussprechen.

Aegerter hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Er hat nur versucht, seine Moto2-Karriere zu retten, indem er sich für 2017 das seiner Meinung nach bestmögliche Material beschafft – die Suter MMX2.

Das Team, für das er quasi seit 2010 in der Moto2-WM fährt, auch wenn es anfangs mit dem Métraux-Geld von CIP-Chef Alain Bronec betrieben wurde, wollte ihm diese Chance nicht geben. Also nahm Aegerter Reissaus.

Eines ist klar: Die Fans, die Öffentlichkeit und die Medien stehen auf der Seite des Sportlers.

Und: Zum Streiten gehören immer zwei. Schweigt einer, ist der Zank vorbei.

Das CarXpert-Team hat vor zwei Jahren ein Joint Venture mit dem Interwetten-Team von Dani Epp gemacht und das Team für 2015 und 2016 von zwei auf drei Fahrer vergrössert. So kam Tom Lüthi ins Team, man sprach von einem Dream Team.

Daraus ist jetzt ein Albtraum geworden.

Denn für die zwei Plätze neben Tom Lüthi wird sich kein Topfahrer für das Schweizer Moto2-Team finden.

Fred Corminboeuf erklärte, allein gestern hätten sich sechs oder sieben Fahrer gemeldet. Aber darunter befinden sich Neulinge wie der finnische Supersport-WM-Rookie Niki Tuuli.

Der 16-jährige Spanier Iker Lecuona hat Aegerter bereits in Silverstone und Misano ersetzt, er fährt jetzt auch in Motegi, Phillip Island, Sepang und Valencia. Und er wird 2017 den Moto2-Platz von Aegerter übernehmen.

Fred Corminboef hält Lacuona für den neuen Marc Márquez. Mit dieser Ansicht steht er im Fahrerlager freilich weitgehend allein da.

Dem finnischen Weltmeister-Macher Aki Ajo ist Lecuona bisher nie aufgefallen, obwohl Ajo auch Teams in der CEV Repsol-Meisterschaft betreibt.

Oder hat Corminboeuf als Talentscout ein besseres Auge als die spanischen Weltmeister und Teambesitzer Emilio Alzamora, Sito Pons und Jorge Martinez?

Das kann schon sein. Denn Tom Lüthi hat er auch entdeckt – allerdings erst mit 28 Jahren.

Und sein hoffnungsvoller Schützling Robin Mulhauser hat in zwei Moto2-Jahren genau einen WM-Punkt erobert.

Das CarXpert-Team steht bei dieser Schlammschlacht als grosser Verlierer da. Die Schweizer Co-Sponsoren sind verärgert, sie wollen nicht Raffin oder Tuuli und Lecuona statt Aegerter, der zweimal WM-Fünfter war und sich in der Schweiz grosser Beliebtheit erfreut.

Domi hat bis zum Katar-GP 2014 nicht weniger als 32 WM-Rennen in Serie in den Punkterängen beendet – Weltrekord. Auf Suter, wohlgemerkt.

Dass Firmenchef Eskil Suter nach dem Eklat von letzter Woche seine Connections zu Kiefer und Leopard spielen liess, um einen Moto2-Platz für seinen Schützling Aegerter zu finden, ist klar.

Schön langsam wird sich auch der erfolgreiche Geschäftsmann Olivier Métraux Gedanken über die Tauglichkeit seines Teammanagers Fred Corminbeouf machen müssen.

Der hatte fast zwei Jahre lang davon fantasiert, er werde demnächst das MotoGP-Werksteam für Kawasaki bilden und Domi Aegerter mehrmals ein Claiming-Rule-Bike von Avintia testen lassen, dass mit Kawasaki Japan null zu tun hatte. Im vergangenen April träumte Corminboeuf, der als Fitness-Trainer von Aegerter in die WM kam, noch von einem CarXpert-MotoGP-Team für 2017 mit Lüthi oder Aegerter; er wollte eine neunte Ducati besorgen.

Und vor wenigen Wochen fragte er bei der IRTA um einen vierten Moto2-Startplatz an. Dabei wirkt das Team schon mit drei Piloten überfordert.

Dominique Aegerter hat schon viele Rückschläge verkraftet, er wird auch diesen meistern.

Er kommt ins Kiefer-Team, das mit Stefan Bradl und Danny Kent schon zwei WM-Titel gewonnen hat. Das CarXpert-Team war in der WM noch nie unter den ersten drei.

Und eigentlich müsste Domi Aegerter jetzt wenigstens die Möglichkeit bekommen, für Suter noch einige Testfahrten zu absolvieren.

Wenn ihn sein schlecht beratenes altes Team auch daran hindert, dann käme das einem Berufsverbot gleich. Es wäre ein Willkürakt, der seinesgleichen sucht.

«Dass ich die letzten Rennen nicht fahren kann, ist für mich eine Riesenenttäuschung», sagt Aegerter. «Aber wichtig ist, dass ich wieder zu meinem Suter-Schätzeli zurückkehren kann.»

Eines ist klar: Mit etwas gutem Willen hätte das CarXpert-Team für Aegerter eine Suter beschaffen können. Als dies nicht passierte, sah Domi keine Zukunft mehr bei der Schweizer Truppe. Denn er  will nicht weiter im Schatten von Tom Lüthi stehen, der schon vor einem Jahr seinen Crew-Chief Gilles Bigot bekam.

Dass Geschäftsbeziehungen auseinander gehen, das gehört zum Alltag. Nach so vielen gemeinsamen Jahren hätten das Team und Aegerter die Trennung sicher professioneller und weniger emotional gestalten können.

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