Marc Márquez: Erwarte nicht das Erwartete

Kolumne von Michael Scott
Weltmeister Marc Márquez

Weltmeister Marc Márquez

In Japan sicherte sich Marc Márquez überraschend seinen dritten MotoGP-Titel. Um vom MotoGP-Überflieger auch in Zukunft noch überrascht werden zu können, müssen wir den Satz «Erwarte das Unerwartete» neu auslegen.

Es wird einem geraten, immer das Unerwartete zu erwarten. Niemand hat wirklich erwartet, dass Marc Márquez seinen dritten MotoGP-Titel bereits in Motegi sichern wird. Bei einem Sieg konnte Márquez nur bereits in Japan Weltmeister werden, wenn Rossi nicht über Platz 15 hinauskommt (wenn er 14. geworden wäre und alle weiteren Rennen gewonnen hätte, während Márquez keine Punkte mehr sammelt, dann wären sie bei Punkten und Siegen gleichauf gewesen, aber Rossi hätte mehr zweite Plätze gehabt) und Lorenzo es nicht auf das Podest schafft.

Nur eines dieser Dinge geschah. Márquez gewann das Rennen überlegen. Und seine beiden Rivalen stürzten. Game over. Egal, ob das jemand erwartet hatte oder nicht.

Erwartet das Unerwartete. Dieser Satz kann aber auch umgekehrt betrachtet werden. Das muss er bei einem Talent wie Márquez auch. Wie es aussieht, dürfen wir, wenn wir unser Interesse in den nächsten Jahren weiter aufrechterhalten, das Erwartete nicht mehr erwarten.

Wir müssen erwarten, dass er nicht gewinnt, damit wir überrascht sein können, wenn er es tut.

Márquez kam 2013 als unerfahrener Jugendlicher mit zwei überlegenen Titelgewinnen in den kleineren Klassen zu den großen Jungs. Sein 21. Geburtstag lag noch fast ein Jahr vor ihm, doch er war bereits zu schnell für die anderen. Er preschte mit einer Sieg-oder-Sturz-Mentalität zu zwei Titeln. 2015 lief es anders, er zahlte den Preis und verlor den Titel an den konstanteren Lorenzo. Es war ein hoher Preis, sagt Márquez in Motegi, um eine wertvolle Lektion zu lernen. Stets zu punkten, ist ein verlässlicherer Weg, um Weltmeisterschaften zu gewinnen, als Sieg oder Sturz.

In dieser Hinsicht war 2016 die Saison eines... nicht eines anderen Fahrers, aber sicher einer stark veränderten Version desselben Fahrers.

Er hat noch immer seine speziellen Gaben – alle erinnern an den Fahrer, den er in allen «der Jüngste aller Zeiten»-Listen abgelöst hat: Fast Freddie Spencer. Sie können kurz und bündig zusammengefasst werden: Er kann stürzen, ohne herunterzufallen. Nicht jedes Mal, aber immerhin. Und das ist die Technik, die er einsetzt, um das Limit mit großartiger Präzision auszuloten.

Bis jetzt hat er das fast immer gemacht, wenn er auf die Strecke ging. 2016 veränderte er, um es mit einem seine Lieblingssätze zu sagen, «meine Mentalität». Er pushte in den Trainings ans und über das Limit, immer darauf vorbereitet zu stürzen, aber nahm sich dann in den Rennen etwas zurück. Er war «darauf vorbereitet auch einen zweiten Platz zu akzeptieren.»

Es sind die Anlässe, bei denen er das Limit fand, es überschritt und nicht zu Boden ging, die ihn als einen besonderen Fahrer auszeichnen. Er hat in diesem Jahr erneut einige unglaubliche «Saves» [Rettung eines scheinbar unvermeidlichen Sturzes] gezeigt – zum Beispiel in Assen, als er eigentlich schon halb einen spektakulären Sturz hinlegte, aber dann doch wieder die Kontrolle erlangte. Dieser «Save» war so heftig, dass sogar schon der Airbag in seinem Leder ausgelöst hatte.

Ein weiterer «Save» gelang ihm in Brünn. Das Vorderrad rutschte weg, er lag eigentlich schon am Boden und rutschte in Richtung Kiesbett. Mit seinem Ellbogen und Knie konnte er die Maschine aber wieder nach oben drücken. Das war nicht das erste Mal auf dieser Strecke und auch nicht das größte Wunder, das er meiner Meinung nach vollbracht hat. Der Slide war lang, «aber der Winkel der Maschine lag bei 67,5 Grad», erklärte er. «2014 waren es mehr als 68 Grad.»

Ich fragte Rossi später an diesem Tag, ob er diesen Sturz hätte abfangen können. Er war voller amüsierter Bewunderung. Márquez gelang das wegen seiner Position auf dem Bike und seinem Talent, sagte er. «Ich bin dort langsamer, ich verliere die Front nicht», sagte Rossi über sich selbst. Langsamer zu fahren, funktioniert aber nicht, wenn Márquez in der Nähe ist. Schon gar nicht bei der gereiften Version.

Bis zu seinem Titelgewinn hat Márquez fünf Rennen gewonnen, was eindrucksvoll genug ist. Lorenzo gewann bisher drei, Rossi zwei. Und das alles auf einem Bike, das immer noch Mängel hat und zu Beginn des Jahres sicher im Hintertreffen war. Die Probleme bei der Beschleunigung waren deutlich sichtbar.

Noch beeindruckender: Er ist der einzige Fahrer in dieser Klasse, der bei allen bisherigen Rennen dieser Saison punkten konnte. Sogar nach seinem einzigen Rennsturz in Le Mans erreichte er das Ziel auf Platz 13. Es war eines von nur vier Rennen, bei denen er nicht auf dem Podest stand.

Die Flamme seines Vorgängers in der «junge Genies»-Kategorie, der unglaublich talentierte Spencer, leuchtete sehr hell, brannte aber schnell aus. Im Rückblick gab es vielleicht Warnhinweise, dass das vielleicht passiert. Freddie tauchte mehrmals nicht zu Tests und solchen Dingen auf. Es schien, als hätte er alles, außer einer ausreichenden Obsession. Ein bisschen zu menschlich vielleicht.

Márquez hat bisher keine solche Zeichen gezeigt. Es sieht so aus, dass Rossis Zeit als Nachfolger von Hailwood als «Greatest of all Time» kurz ausfallen könnte. Doch ich sollte versuchen, das nicht zu erwarten.

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