Ducati: Jorge Lorenzo und der Stoner-Faktor

Kolumne von Michael Scott
Casey Stoner steht Ducati als Testfahrer und Berater für Neuzugang Jorge Lorenzo zur Seite. Doch der schnelle Australier hat noch viel weitreichenderen Einfluss auf die Roten.

Es braucht Zeit, um jemanden wirklich kennenzulernen. Dinge, die einen zunächst anziehen, stellen sich nach einiger Zeit womöglich als störend heraus. Ein Lächeln vielleicht, das zu einfach zu erhaschen ist. Oder ein oberflächliches, übereifriges Lachen. Macken und Falten können hingegen reizvoller werden. Nennen wir es Charakter. Außer du bist ein Perfektionist. Wie Jorge Lorenzo.

Dies dient übrigens alles dazu, um eine frühe Einschätzung des interessantesten Fahrerwechsels 2017 nach dem ersten Test in Sepang zu geben.

Viñales’ Wechsel zu Yamaha ist reizvoll. Er ist der strahlendste der strahlenden Jungs und könnte mit Leichtigkeit den Titel gewinnen. Einige Beobachter, ich bin einer von ihnen, glauben, dass er es sein wird, der Márquez ernsthaft herausfordert und ihn von einer Dominanz wie einst bei Mick Doohan abhält. Iannones Wechsel zu Suzuki ist auch ein Highlight. Ein verrückter Sturzpilot auf der ungewöhnlichen Ducati, der einiges zu beweisen hat, nachem er dort ausrangiert wurde. Nun hat er ein schönes Bike, um genau das zu tun. Es ist kein Zufall, dass er in Sepang glänzte, als Schnellster am zweiten Tag und Zweiter der kombinierten Zeitenliste.

Und es wird großartig zu sehen sein, wie schnell sich die Moto2-Jungs anpassen können: Zarco, Rins, Folger und Sam Lowes. Alle sind sie GP-Sieger. Für mich – nennt mich ruhig einen Snob – werden es die Aristokraten sein, die ich genauer beobachte. Jorge und die Herzöge.

Lorenzo schart nicht die Fanmassen wie manch anderer Top-Fahrer um sich. Sein Charakter ist zu kühl und berechnend. Die Menschen springen eher auf die offene Spontanität eines Rossis an. Obwohl diese oft genau so berechnend ist. Auf gewisse Weise ist Lorenzo daher der offenere Charakter.

Jorge ist streng, wie auch sein Lebensstil. Das macht ihn zu einer interessanten Fallstudie, wenn auch nicht zu einem aufregenden Begleiter. Doch Jorges Fahrstil war schon immer faszinierend – über fünf Titel und 65 Rennsiege in drei Klassen hinweg.

Seine Geschichte ist einen Rückblick wert. Seit frühster Kinheit von einem obsessiven Vater, der nun eine Junioren Racing School mit strenger Disziplin betreibt, zu einem potenziellen Champion trainiert, kam Jorge in den GP-Sport, sobald er alt genug dafür war. Beim Spanien-GP 2002 verpasste er sogar den ersten Trainingstag, da er erst noch das Mindestalter von 15 Jahren erreichen musste.

Auf der Derbi siegte er im darauffolgenden Jahr zum ersten Mal, drei weitere Siege folgten. Dann stieg er in die 250-ccm-Klasse auf, wo er in drei Jahren 17 Siege feierte. Abgesehen von einem Honda-Jahr 2005 stand er immer in enger Verbindung zu Gigi Dall’Igna von Aprilia, der nun Boss und Superhirn von Ducati Corse ist.

Gemäß seinem Spitznamen «außen herum» aufgrund seiner gewagten Überholmanöver war Lorenzos damaliger Ruf angsteinflößend, was ihm auch eine Sperre für ein Rennen wegen gefährlicher Fahrweise einbrachte. Er hat uns oft daran erinnert, dass er seine Lektion gelernt hat und wurde ein scharfer Kritiker ähnlicher Praktiken.

Damals war er wild und rücksichtslos. In den letzten zehn Jahren war er dann samtweich und zurückhaltend. Aber immer unglaublich schnell.

Die Vornehmheit der Herzöge liegt in einem ähnlichen Bereich: unglaublicher Speed. Doch die Desmosedici hatte noch nie einen vollendeten Charakter. Im letzten Jahr kam sie dem jedoch näher als je zuvor. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Lorenzo bereits dazu entschlossen, seine bis dahin sehr fruchtbare Beziehung mit der vielseitigen Yamaha zu beenden und bei Ducati lieber gefährlich zu leben.

Seine armselige letzte Saison auf der M1 schien fast wie eine Vorbereitung auf seinen Wechsel. Plötzlich funktionierte weich wie Seide nicht mehr. Vor allem im Regen. Jorge war ein anderer Fahrer als in der Vergangenheit. Es machte ihn zum Gespött. Sehr unfair, aber so war es.

Also kommen wir zu Sepang und dem ersten Test 2017. Jorge nun in rotem Leder, das gefährliche Abenteuer begann. Nicht besonders gut. Casey Stoner war vor Ort. Ducatis letzter Weltmeister und bis 2016 Ducatis letzter Rennsieger. Stoner ist eingerostet, was Rennen betrifft und glücklich mit seinem Rücktritt. Doch er war am ersten Tag der Schnellste von allen. Und noch bedeutender: viel schneller als Jorge.

Diese Situation hätte den gesamten Test beherrschen können. Doch Lorenzo gelang eine deutliche Steigerung über die drei Tage. Er konnte seine Zeit um fast 1,6 sec verbessern und von Platz 17 auf 10 nach vorne rücken.

Noch wichtiger war es, da er das erste Mal auf der neusten Version der 2017er-Ducati und erst das zweite Mal überhaupt auf einer Ducati saß. Er erklärte, wie er seinen Fahrstil nun an den Charakter diese Maschine anpasst, die sich so stark von der ausgereiften Yamaha unterscheidet. Er bemühte sich um aggressiveres Bremsen und eine aggressivere Gasannahme statt um herausragenden Kurvenspeed. Und er hat sichtbar erste Erfolge erzielt.

Obwohl er noch weit von seinem Limit entfernt war, sagte er: «Wir sind bereits schnell. Wenn wir an den gewünschten Punkt kommen, dann werden wir sehr, sehr schnell sein.»

Eine Kampfansage. Ich erwarte von Jorge zumindest teilweise, dass er uns alle in diesem Jahr überraschen wird. Aber lasst uns erst abwarten, ob schneller als Casey Stoner sein kann.

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