Pit Beirer (KTM): «Supergute Standortbestimmung»

Von Günther Wiesinger
In der imposanten neuen Rennabteilung von «KTM Factory Racing» wurde in Munderfing das MotoGP-Projekt im neuen Design vorgestellt. Renndirektor Pit Beirer im Interview.

Insgesamt 271 Weltmeistertitel hat der ruhmreiche österreichische Motorradhersteller KTM mit dem Slogan «Ready to Race» bereits gewonnen, dazu im Januar zum 16. Mal hintereinander die Gesamtwertung bei der Dakar-Rallye.

Als Pit Beirer vor der Saison 2004 zuerst als Communications & Sponsorship Manager zu KTM kam, waren es 79.

Damals bestritt übrigens sogar ein gewisser Casey Stoner für KTM die 125-ccm-Weltmeisterschaft.

Seit 2004 hat KTM 192 weitere WM-Titel errungen, das ergibt 14,7 WM-Titel pro Jahr im Schnitt in der Ära Pit Beirer.

Die treibende Kraft hinter diesen erstaunlichen Erfolgen ist natürlich Stefan Pierer, CEO der KTM Group, der das Unternehmen 1992 nach der Insolvenz übernommen hat, auch Heinz Kinigadner, Motocross-Weltmeister 1984 und 1985 auf KTM, war ein Mann der ersten Stunde.

In der Zweitakt-Zeit (125 und 250 ccm) zwischen 2003 und 2009 hat KTM keinen Fahrer-WM-Titel gewonnen, obwohl Asse wie Arnaud Vincent, Roberto Locatelli, Casey Stoner, Mika Kallio, Julián Simón, Gabor Talmacsi, Tomoyoshi Koyama, Randy Krummenacher, Stefan Bradl, Michi Ranseder, Steve Bonsey und ein gewisser Marc Márquez (im Jahr 2008 und 2009) die 125er-WM für KTM unterwegs waren, 2009 landete er auf dem achten WM-Rang. Dann zog sich KTM wegen der Wirtschaftskrise aus dem GP-Sport zurück.

Mit Fahrern wie Anthony West, Hiroshi Aoyama, Manuel Poggiali, Mika Kallio und Julián Simón wurde von 2005 bis Ende 2008 mit durchaus vielversprechenden Piloten agiert.

Aber Stoner, Bradl, Simón, Talmacsi, Márquez und Aoyama gewannen die WM-Titel traurigerweise später bei der Konkurrenz.
Erst als bei KTM unter der Regie von Motorsport-Direktor Pit Beirer eine eigene Rennabteilung aufgebaut und 2012 die Rückkehr zum GP-Sport mit einem Moto3-Werksteam verkündet wurde, stellten sich auch im Road Racing die großen Erfolge ein.

In der Moto3-WM hat KTM in fünf Jahren viermal die Konstrukteurs-WM gewonnen und mit Cortese (2012), Viñales (2013) und Binder (2016) dreimal die Fahrer-WM.

Jetzt bläst KTM richtig zum Angriff: 2017 wird nicht nur erstmals in Zusammenarbeit mit Teamchef Aki Ajo ein Red Bull KTM-Moto2-Werksteam (Fahrer: Binder und Oliveira) mit eigenem Chassis (und Honda-Einheitsmotoren) eingesetzt, es wird auch der sehnsüchtig erwartete MotoGP-Einstieg Wirklichkeit.

Dieses Projekt stellt nicht nur wegen des stattlichen Jahresbudgets von 30 Millionen Euro alles in den Schatten, es verdient auch wegen der riesigen Konkurrenz Respekt – KTM nimmt es in der Königsklasse mit Honda, Yamaha, Suzuki, Ducati und Aprilia auf, der «Crème de la Crème» des Motorradrennsports.

Vorläufig wurde der Teilnahme-Vertrag mit MotoGP-Promoter für fünf Jahre unterzeichnet. Aber der KTM-Vorstandsvorsitzende Stefan Pierer sagt klipp und klar: «Wir sind nicht wegen des Olympischen Gedankens dabei; wir wollen nicht nur mitfahren, sondern innerhalb von drei Jahren um Podestplätze fighten. Da ist Suzuki unsere Benchmark. Wir sind ehrgeizig. Aber wir haben auch Geld, wenn es sein muss. Wir haben zehn Jahre gebraucht, um die US-Supercross Championship zu gewinnen. Wir werden auch in der MotoGP zehn Jahre dabei bleiben, wenn es erforderlich ist.»

Das für Sonntagabend geplante Foto-Shooting mit dem MotoGP-Team musste auf Montag 8 Uhr früh verschoben werden.

«Unsere beiden Werksfahrer Pol Espargaró und Bradley Smith sind beim Heimflug aus Australien 7,5 Stunden in Dubai hängen geblieben, sie trafen erst kurz vor Mitternacht hier im Innviertel in ihrem Hotel ein», erklärte KTM-Motorsport-Direktor Pit Beirer. «Wr haben deshalb am Sonntag nur die Bilder mit dem Moto3 und Moto2-Team gemacht, die MotoGP-Fotos haben wir Montagfrüh und 8 Uhr gemacht.»

Pit Beirer beantwortete dann im Gespräch mit SPEEDWEEK.com ein paar aktuelle Fragen zum MotoGP-Projekt.

Pit, die Rückstände des Red Bull KTM-Werksteams bei den MotoGP-Tests werden geringer. 1,3 Sekunden betrug der Abstand auf Platz 1 in Australien. Das ist respektabel. Ist die Erleichterung groß? Eine Blamage ist nicht mehr zu befürchten?

Naja, zurücklehnen werden wir uns noch lange nicht. Aber es ist jetzt eine gewisse Erleichterung zu spüren, weil wir in den letzten Wochen und Monaten sehr viele Dinge angetrieben haben.
Wenn man dann merkt, dass die Schritte, die die Fahrer wollen und die die Techniker umsetzen wollen, wenn das allmählich zu besseren Rundenzeiten führt, und um das geht es ja, dann ist das natürlich erfreulich.
Es ist eine Linie erkennbar, seit wir mit 2,5 Sekunden Rückstand irgendwann mal losmarschiert sind. Wir waren dann bei 1,7 Sekunden, jetzt bei 1,3 Sekunden. Das ist für uns eine gute Zwischenbasis.

Pol Espargaró hat in Australien erklärt, man müsse jetzt den Motor zähmen, er bezeichnete ihn als wildes Biest und meinte, da liege die meiste Zeit verborgen. Es ist schwierig, die Balance zwischen maximaler Motorleistung, Fahrbarkeit und Traktion zu finden?

Für uns war unser Projekt bisher sehr erfolgreich, weil wir auf einem sehr starken und standfesten Motor aufbauen konnten. Dadurch entstand sehr viel Ruhe. Jetzt haben wir viel beim Chassis, beim Fahrwerk und an der Elektronik gearbeitet. Jetzt wird der Motor der nächste Schritt sein, wodurch wir uns verbessern können.
Aber einen sehr starken Motor ein bisschen zu bändigen ist wahrscheinlich einfacher, als über Nacht Leistung suchen zu müssen.
Es sind alles logische Schritte. Denn jeder Parameter, der verbessert wird, verlangt wieder den nächsten Schritt, irgendwo befindet sich ein neues schwächstes Glied in der Kette.
Wir werden uns noch öfter mit dem Chassis, mit der Elektronik und mit dem Motor beschäftigen.
Aber Pol Espargaró hat Recht. Unsere Zusammenfassung nach diesen zwei Tests ist klar – wir werden jetzt am Motor weiterarbeiten.

Pol Espargaró hat berichtet, seine Idealzeit in den vier Sektoren wäre 0,4 Sekunden schneller gewesen. Solche Aussagen hört man auch von anderen Fahrern. Es zählt nur die wirklich erzielte Rundenzeit?

Die Fakten stehen immer auf dem Papier.
Wenn jeder seine idealen Sektorenzeiten zusammenzählen würde, was ich da im Rennsport schon alles gehört habe, dann kämen wahrscheinlich Rundenzeiten unter Null heraus.
Wir sind jetzt einmal happy mit dem Zwischenstand, den wir erreicht haben. Das ist eine supergute Standortbestimmung.
Und wenn sich Pol Espargaró seine perfekten Rundenzeiten noch für den Katar-GP aufhebt, bin ich auch zufrieden.

Um wie viel lässt sich der Rückstand durch einen optimal gezähmten Motor in Katar im Bestfall verringern? Zwei, drei, vier Zehntel?

Naja, das wäre der Wahnsinn... Wenn Pol die ideale Rundenzeit gelingt und der modifizierte Motor vier Zehntel bringen würde, dann gewinnen wir ja acht Zehntel, dann wären wir ja fast dabei. (Er schmunzelt).
Nein, wir werden keine Vier-Zehntelsekunden-Schritte machen. Das ist mühsame Kleinarbeit. Wir sind um jede Zehntelsekunde froh.
Wir müssen zuerst einmal schauen, ob wir die 1,3 Sekunden Rückstand auf anderen Strecken überhaupt halten können. Das ist jetzt keine Einbahnstraße. Wir müssen auch mit Rückschlägen rechnen.
Wir haben nach dem Australien-Test ein neues Aufgabenheft und werden versuchen, bis zum Katar-Test am 10. März den nächsten Schritt zu machen.

Bradley Smith ist vorläufig ein Sorgenkind. Er braucht immer bis zum dritten Tag, um in Fahrt zu kommen. Dann sind rund 24 Stunden Testzeit vorbei. Bei einem Grand Prix kommt aber nach ca. drei Stunden schon das Qualifying.

Wenn er bei den Rennen auch immer am dritten Tag seine Bestleistung abruft, dann habe ich große Hoffnungen, dass diese Taktik zu WM-Punkten führen wird. (Er lacht).
Bei Bradley muss man schon sagen: Wir haben ihn nach einer schweren Knieverletzung stark angeschlagen übernommen. Er ist nach wie vor noch nicht fit. Deshalb braucht er länger, bis er in einen zügigeren Rhythmus kommt.
Außerdem muss man ja sagen, unsere Fahrer müssen ja ein wahnsinniges Programm abspulen. Die können nicht nur fahren, sie kriegen alle drei Runden wieder ein neues Teil ans Motorrad geschraubt und müssen dazu ihr Urteil abgeben.
Somit können sie sich nicht so perfekt aufs Fahren konzentrieren und auf Zeitenjagd gehen. Pol und Bradley haben bei uns keinen einfachen Job. Sie haben eine große Herausforderung angenommen.
Aber Pol haut sich halt rein und drückt gleich mal in der fünften Runde eine schnelle Rundenzeit raus. Der Bradley möchte sich alles genau vorbereiten und aufbauen. Er verfolgt einen Plan.
Wir denken uns auch nach zwei Tagen: Jetzt wäre es Zeit, dass er mal eine schnell Runde fährt. Aber er hat sich wie in Sepang auch in Phillip Island am dritten Tag wieder an die Zeiten von Pol herangearbeitet.
Unterm Strich schaut’s ganz ordentlich aus. Aber ich geb’ dir völlig Recht. Bei den Grands Prix haben wir nicht die Zeit, so lange rumzuspielen. Wenn du bei einem Grand Prix erfolgreich sein willst, müssen die Fahrer im ersten Training angreifen. Aber das weiß Bradley. Er hat darüber in Australien auch mit Teammanager Mike Leitner intensiv geredet.
Ich denke, mit zunehmender Körperfitness wird das einfacher für ihn.

Im Namen der deutschen KTM-Fans und Folger-Anhänger drängt sich die Frage auf: Hätte man sich über die Verpflichtung von Jonas Folger mehr Gedanken machen sollen?

(Er seufzt). Wir haben uns ja Gedanken gemacht über ihn, sind jedoch dann nicht zusammen gekommen. Aber das ist alles gut so.
Wir freuen uns, wenn es in der MotoGP einen deutschsprachigen Fahrer in der Spitze gibt. Hut ab, was er Jonas jetzt in der kurzen Zeit in der MotoGP abgespult hat.
Ja, ein deutschsprachiger Fahrer an der Spitze, ein deutschsprachiges Werk im Teilnehmerfeld, da ist doch für jeden etwas Nettes dabei.

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