Das Aprilia-Trauerspiel: Motorschäden & wenig Punkte

Von Günther Wiesinger
Aleix Espargaró ist jetzt WM-Achtzehnter

Aleix Espargaró ist jetzt WM-Achtzehnter

Beim Aprilia-MotoGP-Werksteam sind wenig Fortschritte zu sehen. Die Ergebnisse haben sich gegenüber 2016 verschlechtert, die Standfestigkeit der Aprilia RS-GP lässt zu wünschen übrig.

Die Situation ist nicht so schlimm. wie sie von Aleix Espargaró dargestellt wird. Der spanische Aprilia-Werkspilot erklärte am Sonntag nach dem Motorschaden beim Catalunya-GP, er habe bei den letzten drei Grands Prix vier 1000-ccm-V4-Motoren der Aprilia RS-GP 17 zerstört.

Das wäre ein Worst-Case-Szenario, denn bei solchen Rückschlägen wäre das erlaubte Motorenkontengent wohl bis Saisonmitte aufgebraucht.

«Wir haben nur zwei Motorschäden gehabt, das ist schon schlimm genug», beschwichtigten Aprilia-Elektronik-Chef Paolo Bonora (er ist der Erfinder der hauseigenen APX-ECU) und Espargaró-Crew-Chief Marcus Eschenbacher gegenüber SPEDWEEK.com. «Ein Motor ging in Le Mans kaputt, einer jetzt im Rennen von Barcelona. In Mugello handelte es sich nicht um einen Motorschaden, dort hat uns das Getriebe im Stich gelassen. Dazu kommt ein Motorschaden bei den Wintertests. Aber dieser betrifft unsere Allocation mit den neuen Motoren pro Fahrer und Saison nicht.»

Aber bei Aprilia herrscht Alarmstufe rot. Als Neueinsteiger und «concession team» dürfen zwar im Gegensatz zu Honda, Yamaha, Ducati und Suzuki neun statt sieben Motoren verbraucht werden, aber bei Laufzeiten von 2500 bis 3000 km dürfen nicht mehr viele weitere Motorschäden passieren.

Für jeden zusätzlichen Motor muss der Fahrer einmal aus der Boxengasse starten.

Aprilia-Racing-Manager Romano Albesiano stellte am Montag klar: «Wir haben ein Problem mit dem pneumatischen Ventil, das die Motorschäden herbeiführt. Dieses Problem hatten wir im Vorjahr nicht.»

Aber jetzt hat der Aprilia-Motor mehr Power und eine höhere Drehzahl. Vielleicht ist auch die Qualitätskontrolle nicht auf dem letzten Stand, vielleicht konnten nicht genügend Ausdauertests auf dem Prüfstand gefahren werden – weil die Zeit davonlief und dringend bessere Resultate benötigt werden.

Beim Barcelona-GP ließ sich sogar Aprilia-Geschäftsführer Leo Mercanti blicken. Er machte keinen fröhlichen Eindruck und ließ gegenüber einigen Gesprächspartner durchblicken, Piaggio-Group-Chef Roberto Colaninno erwarte für die vielen investieren Millionen im dritten Jahr endlich Spitzenresultate.

Aprilia gibt keine Budgetzahlen preis, man weiß aber von KTM-Firmenchef Stefan Pierer: «Man braucht für die MotoGP 30 Millionen Euro im Jahr.»

Spätestens nach sieben Grands Prix zeichnet sich ab, dass Aprilia Racing 2016 über eine deutlich schlagkräftigere Fahrerpaarung verfügte.

Álvaro Bautista und Stefan Bradl kassierten 2016 bei den ersten sieben Rennen je 29 Punkte ein, Aleix Espargaró in diesem Jahr 17, Lowes 2.

Und Albesiano erklärte vor dem Saisonstart 2016: «Da die neue Maschine erst mit erheblicher Verspätung fertig wurde, müssen wir die ersten drei Grand Prix als Testfahrten betrachten. Und es wird bis zur Saisonmitte dauern, bis wir die neue Einheits-ECU von Magneti-Marelli verstehen.»

Ein Blick auf die Performance des nach zwei Jahren braver Entwicklungsarbeit entlassenen Bautista muss den Aprilia-Verantwortlichen Kopfweh verursachen. Der Spanier brauste mit der letztjährigen Ducati aus dem Pull & Bear-Team von Jorge «Aspar» Martinez in Mugello und Barcelona auf die Plätze 5 und 7.

Bradl und Bautista schlossen die WM 2016 auf den Rängen 12 und 16 ab. Aleix Espargaró ist jetzt WM-Achtzehnter.

Die Höchststrafe für das Aprilia-Werksteam, das 54 WM-Titel gewonnen hat, aber alle in der Ära Jan Witteveen und Gigi Dall’Igna. Nur der Superbike-WM-Titel durch Sylvain Guintoli 2014 fiel in die Phase nach dem Weggang von Gigi Dall’Igna, der im Oktober 2013 als General Manager zu Ducati Corse wechselte. Aber es handelte sich um das von ihm entwickelte Motorrad.

Heute liegt Eugene Laverty in der Superbike-WM nur an zehnter Position, hinter Privatfahrern von MV Agusta (Camier) und BMW (Torres); Laverty war als Titelanwärter in die Saison gestartet.

Aprilia: Angst vor Blamage gegen KTM

?Dass Aprilia erfolgreiche und wettbewerbsfähige Rennmaschinen bauen kann, bestreitet niemand. Aber die Motoren leisteten vor einem Jahr nur 245 PS, wie Marcus Eschenbacher damals nach einem Prüfstandtest erschüttert berichtete, Ducati verfügte über 30 bis 40 PS mehr. Deshalb ging Aprilia auf dem schnellen Red Bull Ring mit dem steilen Bergaufstück vor Turn 3 gnadenlos unter.

Warum sich Albesiano jetzt ausgerechnet auf den Spielberg-GP freut, bleibt uns rätselhaft. Im Juli 2016 ließ er dort beim großen MotoGP-Test sogar die Zeitnahme-Transponder abbauen, um sich gegenüber Neuling KTM nicht zu blamieren. Kein einziges Aprilia-Teammitglied zeigte für diese Maßnahme Verständnis. Nach der Saison ging Stefan Bradls Crew-Chief Diego Gubellini zu Marc VDS (nach 20 Jahren bei Gresini), Bradls Chefmechaniker Andrea Bonassoli wechselte zu Yamaha in die SBK, MotoGP-Projektleiter Marco Bertolatti – er galt als Aprilia-Urgestein – unterschrieb für fünf Jahre bei KTM Factory Racing.

?Ein personeller Aderlass, der offenbar nicht leicht zu verkraften ist.

Klar, es gibt Lichtblicke wie den sechsten Rang in Katar 2017 oder den fünften Startplatz in Barcelona. Aber Bradl war im Vorjahr in Las Termas auch Siebter, Bautista sogar zweimal, und Bradl fuhr 2017 beim Australien-GP vom achten Startplatz los.

Außerdem: Aleix Espargaró, neben dem Circuit de Barcelona-Catalunya aufgewachsen, wächst auf seiner Hausstrecke immer über sich hinaus. Dort hat er auf der Suzuki schon in deren GSX-RR-Premierensaison 2015 die Pole-Position erzielt.

Nach Platz 6 auf dem Losail Circuit im März lobte Aleix Espargaró: «Die Aprilia ist ein Sonntags-Motorrad.»

Nach den jüngsten Quali-Ergebnissen scheint daraus inzwischen ein Samstag-Motorrad geworden zu sein.

Aprilia in der MotoGP: Im Schatten von Ducati

Es wäre schön für die Fans, wenn Aprilia bald wieder in den Top-Ten ins Ziel kommen würde. Aber in Barcelona wurde Sam Lowes von sechs Ducati besiegt.

?Obwohl Ducati seit 2003 pausenlos in der MotoGP-WM mitmischt, machen die Roten aus Borgo Panigale größere Fortschritte als das 2015 zurückgekehrte Werk aus Noale.

Im Vorjahr schafften Álvaro Bautista und Stefan Bradl beim Barcelona-GP die Ränge 8 und 12, mit 42,9 und 55 Sekunden Rückstand. Diesmal verlor Sam Lowes als bester Aprilia-Fahrer 55,4 Sekunden auf den Sieger.

?Es handelte sich um Andrea Dovizoso. «Dovi» steuerte die Ducati 2016 beim Catalunya-GP auf den siebten Rang, damit war er bester Desmosedici-Pilot – mit 41,6 Sekunden Rückstand auf den Sieger Rossi.

Fazit: Ducati hat sich in zwölf Monaten um 41,6 Sekunden gesteigert – mit demselben Fahrer, der 31 Jahre alt, also fahrerischlängst keine riesigen Fortschritte mehr macht.

Die Rache von Marco Melandri bei Ducati

Aprilia Racing hat bei den Personalentscheidungen in den letzten drei Jahren nicht immer eine glückliche Hand bewiesen. Für 2015 wurde Marco Melandri für die MotoGP-WM zwangsverpflichtet, er wollte aber lieber die Superbike-WM gewinnen, 2014 war er bei Aprilia gegen Guintoli ausgespielt worden. Er betrieb dann bei Aprilia 2015 Arbeitsverweigerung und wurde im Sommer durch Bradl ersetzt. Dass Lowes 2017 nicht stärker sein würde als Bautista und Bradl, konnte man sich ausmalen.

Dass Melandri heute auf der Ducati Panigale mit 35 Jahren in der Superbike-WM den Aprilia regelmässig gnadenlos um die Ohren fährt, ist auch keine Übertreibung. 

Und vielleicht wäre es sinnvoll, einmal ein Testteam zu installieren, das seinen Namen verdient. Ducati leistet sich Casey Stoner und Michele Pirro, KTM testete 2016 mit Kallio, Abraham, de Puniet und Lüthi, Aprilia Racing mit Mike di Meglio, der sich bald als völlig unbrauchbar herausstellte.

Bei Aprilia existiert also viel Spielraum für Verbesserungen, das lässt sich nicht leugnen, wenn man die Situation ehrlich analysiert.

Ob die Geduld von Colaninno ausreicht, wird sich zeigen.

Viele Fehler darf sich die Mannschaft von Romano Albesiano nicht mehr erlauben.

In den Pressemitteilungen wird unterdessen eine beispiellose Schönfärberei betrieben. Kein Wunder: Albesiano behauptete schon beim ersten Sepang-Test 2015 und beim Sachsenring-GP 2016: «Unser Motorrad hat keine Schwachstellen.»

Aprilia Racing ist trotzdem bisher den Beweis schuldig geblieben, dass der ehemalige Chefkonstrukteur Gigi Dall’Igna keine Lücke hinterlassen hat.

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