Drei unangenehme Fragen an Piero Taramasso (Michelin)

Von Manuel Pecino
Die Michelin-Reifen im Fokus

Die Michelin-Reifen im Fokus

Wie garantiert MotoGP-Reifenlieferant Michelin, dass kein Hersteller und kein Fahrer einen Vorteil hat? Und warum lassen die Reifen im Rennen so stark nach? Zweirad-Manager Piero Taramasso im Kreuzverhör.

«Drei unangenehme Fragen» ist eine neue Rubrik, deren Titel wohl für sich selbst spricht. Als Gesprächspartner wählen wir dabei jeweils Protagonisten aus dem WM-Fahrerlager aus, vom Fahrer über den Techniker bis hin zum Manager.

Den Anfang macht Piero Taramasso, Zweirad-Manager bei Michelin, dem Reifenlieferanten für die MotoGP-Klasse. Der französische Hersteller nimmt in einer Weltmeisterschaft mit Einheitsreifen eine durchaus heikle Rolle ein – immerhin muss Michelin Reifen liefern, die für sechs verschiedene Hersteller und deren Motorräder funktionieren.

1. Wie fühlt sich das aus der Sicht eines Ingenieurs an, wenn nach drei Jahren die meisten Rekorde auf den GP-Strecken immer noch von Bridgestone gehalten werden?

Tarmasso: Für mich ist das kein Problem, weil es für uns nicht die absolute Priorität war, die existierenden Rekorde zu brechen. Als wir in die MotoGP-WM zurückkehrten, war das Erste, das wir uns vorgenommen haben, einen hochwertigen Reifen herzustellen, der für alle Hersteller funktionieren würde. Sicher zu sein, dass er funktioniert für Ducati, für Yamaha, für Honda... Und dass es ein stabiler Reifen war, den alle Fahrer einfach verstehen konnten. Das war die absolute Priorität von Michelin.

Aber die Perfomance eines Reifens wird teilweise auch an der Rundenzeit gemessen...

Ja, da stimme ich zu, weil die Leute, die Fahrer, auf die Rekorde schauen; das ist wichtig. Wir, Michelin, sind in der MotoGP-WM erstens für das Image dabei und zweitens, um unsere Reifen zu entwickeln. Ich muss aber auch sagen, dass wir sieben Jahre lang nicht in der MotoGP-WM waren, also kannst du nicht davon ausgehen, die Rekorde im ersten oder zweiten Jahr zu brechen. Das Level der Motorräder und Strecken ist sehr hoch, du brauchst ein oder zwei Jahre.

Ja, aber die ersten zwei Jahre wären jetzt rum...

Wir können sagen, dass wir ab diesem Jahr in einer Position sind, um die Rekorde zu unterbieten. Jetzt haben wir eine gute Reifenbasis, eine Karkasse, die ein gutes Feedback gibt, die für Grip sorgt, die über die Renndistanz hält.... Jetzt, nach drei Jahren Analyse und Arbeit, gehen wir die reine Performance an, um die Rekorde zu schlagen. Ich glaube, dass wir sie in diesem Jahr brechen werden und im nächsten Jahr alle Rekorde von Michelin gehalten werden.

2. Warum ist Michelin nicht in der Lage einen Reifen herzustellen, der es den Fahrern erlaubt, von der ersten bis zur letzten Runde nur an das Rennfahren zu denken? Ich frage das, weil wir bei mehr als einem Grand Prix gehört haben: «In der ersten Rennhälfte habe ich mich darauf konzentriert, die Reifen für die zweite Hälfte zu schonen, damit ich bis zum Ende gut durchkomme.»

Michelin ist nicht nur in der Lage dazu, diesen Reifen findet man auch bei allen Rennen – und zwar die Mischung, die wir «Hard» nennen. Mit diesem Reifen können die Fahrer vom Anfang bis zum Ende das Maximum geben. Aber was passiert? Die Fahrer treffen immer aggressive Entscheidungen, mit viel Risiko, sie wählen immer die weiche Option, weil man damit in den ersten Runden mehr Potential hat und bessere Rundenzeiten fährt. Aber der Soft-Reifen ist so designt, dass die Performance mit der Zeit nachlässt. Es gibt keinen Soft, der von der ersten bis zur letzten Runde schnell ist. Das ist nicht möglich, rein physikalisch.

Warum haben die Leute aber den Eindruck, den du angesprochen hast? Weil die Fahrer eine risikoreiche Entscheidung treffen, die sie dazu zwingt, die Situation zu managen. Einen Soft-Reifen presst du entweder zu Beginn aus und nimmst dich am Ende zurück – oder du schonst ihn zu Beginn und holst am Ende das Maximum aus dem Reifen heraus.

Ich vermute mal, dass die Aussagen der Fahrer in diesem Sinne für Michelin nicht großartig klingen, weil es so aussieht...

Es sieht so aus, aber es stimmt nicht. Ich habe die technische Erklärung geliefert, die stimmt.

3. Nach welchen Kriterien werden Reifen entwickelt? Mit welchem Gewicht und in welchem Umfang wird jeder Hersteller einbezogen, wenn es um die Beschaffung von Daten geht? Kommen von Ducati – mit sechs Motorrädern auf der Strecke – mehr Informationen als von Suzuki, die nur zwei Fahrer haben? Oder sind vielleicht die Fahrer mit mehr Erfahrung die Referenz?

Der Prozess läuft folgendermaßen ab: Wir designen den Reifen und führen mit unseren eigenen Programmen Computersimulationen durch. Danach machen wir die ersten Tests auf der Strecke mit unseren Fahrern, den Michelin-Test-Fahrern, auf unseren Test-Strecken. Dann haben wir die Testfahrer aus den Test-Teams der Hersteller, wie Pirro, Bradl, Kallio und andere. Wenn sie den Reifen für gut befinden, nur dann, geben wir ihn den 22 MotoGP-Stammfahrern, damit sie ihn testen. Dann hören wir allen zu, den sechs Ducati-Piloten, den vier von Yamaha... Und wir fügen alles zu einer Synthese zusammen. Alle Daten, alle Hersteller und alle Fahrer werden berücksichtigt. Aber am Ende trifft Michelin die Entscheidung. Die Daten von der Strecke sind sehr wichtig, aber es gibt auch andere Dinge. Es geht um den Herstellungsprozess, die Verfügbarkeit von Materialien... So viele Faktoren sind involviert, wenn es darum geht, über einen neuen Reifen zu entscheiden. Es ist nicht nur der Test. Wir wägen alles ab und anhand unserer Daten treffen wir die finale Entscheidung. Michelin ist nicht Ducati und auch nicht Valentino [Rossi]... Es hängt nicht von einem Werk oder einem speziellen Fahrer ab.

Aber ihr versteht – und akzeptiert – dass dieses System immer die Tür für Interpretationen offen lässt, dass A, B oder C einen Vorteil hat, ob es nun ein Hersteller oder ein Fahrer ist?

Das würde stimmen, wenn du alle Fahrer hernehmen und einen mathematischen Durchschnitt machen würdest. Wenn es so gemacht würde, dann hätte Ducati natürlich mehr Gewicht, weil sie mehr Motorräder auf der Strecke haben. Oder wenn bei einem Durchschnitt aus den Fahrern Márquez oder Valentino mehr Gewicht hätten. Aber wir arbeiten nicht so. Wie gesagt, wir hören allen zu und machen eine Datensynthese, die nicht von einem Hersteller abhängt oder davon, ob der Fahrer in der Weltmeisterschaft auf dem ersten oder letzten Platz liegt.

Aber es ist logisch, dass das technische Feedback von manchen Fahrern besser ist als jenes von anderen.

Ja, das stimmt, aber wir müssen Reifen herstellen, die für die Besten genauso funktionieren wie für die Fahrer, die nicht die besten sind. Wir müssen Reifen machen für einen Fahrer, der 70 Kilo wiegt und für einen, der 40 auf die Waage bringt. Das sage ich, um zu zeigen, dass wir am Ende gezwungen sind, alle zu berücksichtigen.

Und die unterschiedlichen Fahrstile? Wie geht ihr damit um, wenn ihr einen neuen Reifen designt und entwickelt?

Es ist nicht einfach. Wir machen das, indem wir die Ergebnisse studieren. Das sind Stunden über Stunden, in denen nachgedacht und die Daten analysiert werden. Wir verwenden nicht nur das Feedback der Fahrer sondern auch die Daten von den Motorrädern. Wir schauen, ob sie sliden oder rutschen und sehen uns die Traktion an... Es ist eine technische Analyse der subjektiven Aussagen der Fahrer. Wir müssen jeweils auch die Streckenbedingungen berücksichtigen und ob der Fahrer auf einer schnellen Runde oder langsam unterwegs war... Wie ihr seht, ist es ein sehr komplexer Job.

Das hat mich überzeugt. Aber am Ende kann es trotzdem passieren, dass ein Reifen bei einem Fahrer besonders gut – oder besonders schlecht – funktioniert.

Ja, das kann passieren, aber wir versuchen wirklich, eine derartige Situation zu vermeiden. Wenn es zum Beispiel einen Reifen gibt, der für Honda oder Ducati besonders gut passt, aber für alle anderen nicht, dann würden wir diesen Reifen nicht produzieren. Auch wenn die Performance besser wäre.

Und woher wisst ihr, ob ein Reifen einem Hersteller oder einem Fahrer einen besonderen Vorteil bringt?

Bevor wir den Reifen herstellen, den wir allen geben, machen wir Prototypen mit drei, vier oder fünf unterschiedlichen Eigenschaften. Wir lassen sie testen und wählen dann den, der für alle am besten funktioniert. Auch wenn der etwas langsamer ist, wie ich erklärt habe.

Das ist das Problem, wenn es nur einen Reifenlieferanten gibt. Wenn es mehrere gäbe, könnte ich einen Reifen für Petrucci, einen für Marc und einen für Valentino machen. Das wäre kein Problem, überhaupt keines.

Dorna verlangt, dass ich einen Reifen habe, der für alle funktioniert. Und die Ergebnisse geben dem Recht: In den ersten drei Rennen gab es drei Sieger auf drei unterschiedlichen Motorrädern. In Jerez zum Beispiel sahen wir auf dem Podium eine Honda, eine Suzuki und eine Yamaha.

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