Suzuki-Jubiläum: Barry Sheene bleibt unvergesslich

Von Günther Wiesinger
Die Suzuki Motor Corporation feiert ihr 100-Jahr-Jubiläum. Und vor 60 Jahren fuhr Suzuki erstmals im GP-Sport mit. In der Königsklasse bleibt Barry Sheene als Suzuki-Aushängeschild unvergesslich.

Vor 60 Jahren hat der japanische Motorradhersteller Suzuki begonnen, die Vorherrschaft der Europäer in den kleinen GP-Klassen anzugreifen. Suzuki kaufte Ende der 1950er-Jahre von MZ unter dubiosen Umständen die kostbare Zweitakt-Technologie von Ing. Walter Kaaden ein und setzte dann zu einem Siegeszug in den WM-Klassen 50 und 125 ccm an. Noch 1970 gewann Dieter Braun mit einer Suzuki die Achtelliter-WM.

Die 500-ccm-WM überließ Suzuki lange den Privatfahrern wie Jack Findlay, der 1973 mit einer Zweizylinder-Suzuki noch WM-Fünfter wurde. Phil Read (MV Agusta 4T), Kim Newcombe (König 500 2T), Giacomo Agostini (MV Agusta 4T) und Werner Giger (Yamaha 352-Twin 2T) landeten vor ihm auf den ersten vier Plätzen.

1974 kreuzte Suzuki erstmals mit einem 500-ccm-Werksteam und einer neuen revolutionären Square-Four-Vierylinder-Maschine auf, die den MV-Agusta-Vietrtaktern bald den Garaus machte.

Der junge Brite Barry Sheene galt als Hoffnungsträger. Er beendete die WM 1974 mit der anfälligen «Suzie» an sechster Stelle. 1976 und 1977 gewann er sie, damit ist er bis heute der erfolgreichste Suzuki-Pilot in der Königsklasse. Denn kein anderer Suzuki-Held hat zwei Titel in der «premier class» gewonnen.

Barry Sheene eroberte nicht weniger als 18 Halbliter-GP-Siege mit Suzuki. Er war ein Playboy, Superstar, Rebell und Revoluzzer, dazu ein aussergewöhnlich guter Motorradrennfahrer, ein Publikumsliebling erster Güte.

Der Brite starb am 10. März 2003 an Speiseröhrenkrebs – mit 51 Jahren. Die Nummer 7 war nach Mike Hailwood und Giacomo Agostini der erste Superstar der GP-Geschichte. Barry kämpfte gegen die gefährliche Strassenkurse und verabscheute die Tourist Trophy – er rebellierte gegen das Establishment.

Vor bald 44 Jahren hat Barry Sheene zum zweiten Mal die 500-ccm-Weltmeisterschaft gewonnen. 1976 hat er für den ersten WM-Triumph in der Königsklasse von Suzuki gesorgt. Es war der grandiose Erfolg eines Rennfahrers, der nicht nur im Motorradsattel für Schlagzeilen sorgte.

Barry Sheene war ein Rebell.

Er kam von ganz unten, er war ein Cockney-Junge, aber er erlernte drei Fremdsprachen (Spanisch, Französisch, Italienisch), was damals aussergewöhnlich war für einen ungebildeten Engländer, und er nützte seine Popularität, um allen gefährlichen Strassenkursen wie in Barcelona/Spanien, Imatra/Finnland, Opatija/Jugoslawien, Spa-Franchamps/Belgien und Brünn/Tschechien den Garaus zu machen. Auch der 22,8 km lange Nürburgring war ihm ein Dorn im Auge.

Sheene sorgte nach dem Salzburgring-GP 1977 für eine Revolution, weil er nach dem Todessturz des Schweizer 350-ccm-Piloten Hans Stadelmann und wegen der schweren Stürze von Cecotto, Fernandez, Braun und Uncini dort für grössere Sturzräume, Rettungshelikopter und andere Sicherheitsvorkehrungen kämpfte.

Barry Sheene war anders. Er wollte sich nicht anpassen.

Er verweigerte nach seinem ersten Auftritt die weitere Teilnahme an den WM-Läufen an der Tourist Trophy, er hielt den 60,8 km langen Mountain Course auf der Insel Man zu Beginn und Mitte der 1970er-Jahre für nicht mehr zeitgemäß. Für ihn hatte das traditionelle Road Racing auf lebensgefährlichen Straßenkursen ausgedient.

Sheene verweigerte 1976 auch die Teilnahme am Grand Prix auf der 22,8-km-Nordschleife auf dem Nürburgring, weil er den WM-Titel schon vorher gewonnen hatte. 1977 fand dieser WM-Lauf schon im Mai statt, also musste er mitfahren – wie auch 1978. Doch der aufmüpfige Brite wurde zum «Gott bei uns», zum Feindbild, der altmodischen und selbstherrlichen FIM-Funktionäre.

Sheene wurde so populär, dass die GP-Veranstalter durch seine Nicht-Teilnahme und sein Fernbleiben heftige Zuschauereinbußen erlitten. Nur deshalb ließen sie sich überreden, neue permanente Rennstrecken zu bauen.

Ich erinnere mich an den Finnland-GP 1976. Barry hatte gerade seinen ersten 500-ccm-WM-Titel gewonnen, auf dem berüchtigten Strassenkurs, der von Bäumen gesäumt wurde und dazu mit einem Bahnübergang sowie einem 220-km/h-Sprunghügel gespickt war. Die russische Grenze war nur 2 km von der GP-Piste entfernt.

«Wenn du hier schwer stürzt, landest du entweder im Krankenhaus oder in russischer Gefangenschaft», ätzte ein Rennfahrer.

Zwei Stunden nach dem Titelgewinn des Briten trank ich auf der Terrasse des Valtion-Hotels in Imatra eine Tasse Kaffee. Sheene schaute aus seinem Hotelzimmer im dritten Stock runter und liess einen Zettel in meine Richtung flattern. «Günther, das Visum für den Brünn-GP. Das brauche ich jetzt nicht mehr», lachte der Suzuki-Star.

Sheene schenkte sich 1976 einfach den folgenden WM-Lauf in Brünn, der Masaryk-Strassenkurs war ihm zu gefährlich. Suzuki ließ ihm freie Hand!

Heute undenkbar.

Es war eine andere Zeit. Nur drei GP-Berichterstatter liessen sich bei allen WM-Läufen blicken: Mick Woollett von Motor Cycle Weekly, John Brown von Motor Cycle News, dazu ich. «Ihr drei seid die einzigen Journalisten, die mich auch um 4 Uhr früh jederzeit anrufen können», sagte Sheene einmal. Manchmal erschien noch Giancarlo Galavotti von der Gazzetta dello Sport bei den Rennen, «motosprint» und andere Fachmagazine existierten noch gar nicht.
Einmal unterschrieb Barry Sheene für mich ein Poster. Statt «For Gunther» schrieb er schelmisch grinsend drunter: «For the Gunt». Und das G liess er wie ein C ausschauen. Sicher ein unbeabsichtigtes schriftstellerisches Missgeschick...

Der Kampf gegen die Strassenkurse

Den unnachgiebigen Kampf gegen die Tourist Trophy nahmen Sheene viele unverbesserliche Traditionalisten in Grossbritannien übel, er scherte sich nicht darum. Und er blieb siegreich – denn 1977 wanderte der British Grand Prix von der Insel Man aufs Festland, der Silverstone Circuit wurde der neue GP-Schauplatz.
Ohne Sheene wäre die Insel Man noch weitere Jahre GP-Strecke geblieben.

Mit dem Schweizer Luigi Brenni fand Barry ab 1978 beim Weltverband FIM einen aufgeschlossenen, modernen Verbündeten. Die GP-Straßenkurse wurden allmählich ausgerottet.

Die legendäre Nummer 7 gewann die 500er-WM 1976 und 1977 auf Suzuki, aber er stellte auch in den kleinen Klassen seinen Mann. 50 ccm, 125 ccm, 250 ccm – überall war er schnell, später auch in der 750-ccm-Zweitakt-Klasse.

1971 fuhr Sheene als Privatfahrer eine ehemalige 125-ccm-Werks-Zweizylinder-Suzuki. Dieter Braun hatte mit so einem Bike 1970 die WM gewonnen. Barry lud die «Suzie» in seinen klapprigen Ford Transit, Papa Frank war der einzige Mechaniker, eine Yamaha 250 hatte auch noch Platz, geschlafen wurde im Vorzelt.

Beim Hockenheim-GP schlich sich Barry jeden Morgen ins Hotel Motodrom und nahm dort ein bekömmliches Frühstück ein. Wenn die Bedienung nachfragte, dachte er sich irgendeine beiebige Zimmernummer aus.

«Ich war arm wie eine Kirchenmaus. Ich hatte in Salzburg eine Woche vor dem deutschen Grand Prix nicht einmal genug Geld, um den Diesel für die Weiterfahrt zum nächsten Rennen zu bezahlen», erzählte mir Barry. Da ging es um 30 oder 40 Mark, schätze ich.
Zum Glück landete er in Salzburg hinter Nieto und Parlotti auf Rang 3, so verdiente er rund 800 Franken Preisgeld, konnte den Tank des Ford Transit füllen und nach Hockenheim fahren. Ein paar Jahre später kaufte er sich stolz den ersten Rolls Royce. Kennzeichen: «4BSR». Das bedeutete: For Barry Sheene Racing.

Den 125-ccm-WM-Lauf auf der Insel Man boykottierte Sheene 1971 ebenso wie Derbi-Werksfahrer Angel Nieto, der den Titel damals mit 87 Punkten vor Sheene (79) gewann. 125-ccm-Titelanwärter Parlotti hingegen verunglückte 1972 auf der Insel Man tödlich.

Die Lausbubenstreiche

Sheene schreckte vor keinem Lausbubenstreich zurück. In Imatra/Finnland wurde das Fahrerlager jedes Jahr auf einem vergammelten Sportplatz untergebracht, mehr als 300 Menschen mussten sich zwei Toiletten und ein paar Duschen teilen. Eines Sonntagabends, es war Mitte der 1970er-Jahre, schüttete Sheene nach dem Rennen einen 20-Liter-Sprit-Kanister über das morsche Holzgebäude und fackelte es ab. Alle kannten den Übeltäter, keiner hatte was dagegen, keiner verriet den berühmten Brandstifter, alle hielten dicht. Ein Jahr später stand ein sauberes, menschenwürdiges, gemauertes Gebäude dort. Der Veranstalter hütete sich, Sheene Vorwürfe zu machen.

Der Suzuki-Star kämpfte auf vielen Fronten gegen das Establishment. Den in Großbritannien immer populärer werdenden Viertakt-Superbikes konnte Sheene nichts abgewinnen. Er wollte sich auch kein SBK-Rennen live an der Rennstrecke anschauen. «Wenn ich Straßenmaschinen sehen will, fahre ich zum Trafalgar Square», ätzte er.

Nach manchen Rennen waren Barrys Aussagen politisch nicht sonderlich korrekt. «Die Suzuki hat ein Handling wie ein altersschwacher Esel», schimpfte er 1979 nach der Niederlage gegen Kenny Roberts beim Silverstone-GP.

1981 fuhr Sheene plötzlich mit seinem Erzrivalen «King Kenny» Roberts, dem 500-ccm-Weltmeiser von 1978, 1979 und 1980, gemeinsam im Yamaha-Werksteam.
Wer entwickelt für Yamaha die neue V4-Maschine, erkundigte ich mich bei Barry.

Seine unvergessliche Antwort: «Kenny Roberts can't even develop a cold. How could he possibly develop a motorcyle?» (Auf Deutsch: «Kenny bringt nicht einmal eine Verkühlung zustande. Wie sollte er eine Motorradentwicklung zustande bringen?»).

Sheene hatte die delikate und anfällige 500-ccm-Zweitakt-Suzuki zum Weltmeister-Bike entwickelt, auf dem Weg dorthin erlebte er viele Kolbenklemmer, Getriebeprobleme und andere technische Gebrechen.

Auch Kenny Roberts war nicht auf den Mund gefallen. Als er in Le Castellet 1981 mit der neuen Square-Four-Yamaha (bei einem Triple-Erfolg von Suzuki) nur auf Platz 5 landete, sagte er zu den japanischen Ingenieuren: «Dieses Bike ist eine Rakete. Aber wir brauchen eine Rennstrecke ohne Kurven dafür.»

Und Roberts auf dem Straßenkurs in Imatra 1981, als bei den neuen Werks-Yamaha von Kenny und Barry die Magnesiummotorgehäuse platzten: «Die Yamaha-Ingenieure sind hoffnungslos. Sie haben in Japan eine Teststrecke ohne Bahnübergang gebaut.»

Barry Sheene wurde in seiner 500-ccm-Ära fast bei allen Rennen von Mutter Iris und Vater Frank begleitet. Als er den Titel 1978 auf dem Nürburgring an Roberts verlor und mit trauriger Miene ins Motorhome zurückkehrte, umarmte ihn Mum Iris liebevoll. «Barry, you are still my champion», tröstete sie ihn.

Die Beziehung mit Stephanie

Im Winter 1976/1977 trat das Fotomodell Stephanie McLean ins Leben von Barry. Die attraktive langbeinige Blondine war «Penthouse Girl of the Year», ihre Mutter stammte aus Polen und sprach perfekt Deutsch. «Steph» hatte keine Ahnung vom Motorradsport, aber sie sah im Fernsehen einen Beitrag über Sheenes Unfall 1976 bei den 200 Meilen von Daytona, als bei Vollgas in der Steilwand der Hinterreifen platzte. Barry erlitt rund 50 Knochenbrüche, ähnlich wie nachher 1982 im freien Silverstone-Training.

«Steph» gefiel das bunte Rennleder von Sheene, es wurde ein gemeinsames Fotoshooting organisiert. Sheene posierte nackt und stülpte seinen Sturzhelm über sein Fortpflanzungsorgan, «Steph» schlüpfte in sein Leder und öffnete den Reissverschluß über der Brust bis in tiefe Regionen.

Danach waren die beiden ein Liebespaar. «Sie hat neugierig hinter den Helm geblickt und konnte nachher nicht mehr ohne mich leben», grinste Barry.

Es wurde geheiratet, das Paar hat zwei Kinder – Freddie und Sidonie.

Es dauerte 35 Jahre, bis erstmals nach Sheene (1981 in Andersdorp/Schweden) wieder ein Brite in der Königsklasse gewann – Cal Crutchlow 2016 in Brünn. «Es ist eine Ehre für mich, in einem Satz mit Barry Sheene erwähnt zu werden», stellte der LCR-Honda-Pilot ehrfürchtig fest.

Auf dem Höhepunkt seiner Popularität erschien in England sogar monatlich ein «Barry Sheene Magazine»; nach drei Exemplaren wurde es wieder eingestellt. Ich übergab diese drei Hefte vor ein paar Jahren in Australien an Barry Sheenes Witwe Stephanie.

Sheene, der 19-fache 500-ccm-GP-Sieger, wanderte bald nach dem Ende seiner Karriere nach Australien aus, weil ihm in England die Steuerfahndung auf den Fersen war. Als Star-Jockey Lester Piggott zu einer Millionenstrafe verknurrt wurde, nahm Barry Reißaus. Er verkaufte sein herrschaftliches 27 Zimmer-«Manor House» südlich von London und siedelte sich an der australischen Gold Coast an.

Barry wurde in Australien als TV-Kommentator bei «Channel Nine» populär; sein Wortschatz, seine beispielhaften Fremdsprachenkenntnisse, seine Schlagfertigkeit und seine Redegewandtheit erwiesen sich auch in diesem Beruf als hilfreich.

Barrys Deutschkenntnisse hingegen ließen zu wünschen übrig. Er konnte nur einen Satz akzentfrei aussprechen. Er begann mit: «Guten Tag, schönes Fräulein, können Sie bitte...»

Den Rest sparen wir uns, er passt nicht in die heutige Zeit.

Auch die 40 bis 60 filterlosen Gitanes, die Barry jeden Tag genussvoll paffte, würden einem Weltmeister, GP-Botschafter und Idol für die Jugend heute im Zeitalter der politischen Korrektheit nicht mehr gut zu Gesicht stehen.

Die berühmte Startnummer 7 kannte da keine Skrupel. Barry ließ bei jedem Vollvisierhelm vorne ein Loch bohren, um auch auf dem Startplatz noch ein paar kräftige Züge aus der geliebten filterlosen Gitanes machen zu können.

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