Alex und Marc Márquez: Wer ist besser?
In diesem Jahr Jahr tauchte ein neuer Márquez auf. In seiner ersten kompletten GP-Saison in der Moto3 schaffte Alex Márquez in den ersten acht Rennen zwei vierte und vier fünfte Plätze. Er schnitt also um einiges besser ab als Bruder Marc bei seinen ersten 125-ccm-WM-Rennen, auch Marc ritt damals eine Werks-KTM. Aber: Marc stand beim sechsten Rennen erstmals auf dem Podium.
Wie schaffte es diese einfache Arbeiterklassen-Familie in die oberen Reihen der Weltmeisterschaft? Hier ist die Hintergrundgeschichte, in den Worten des Vaters, des grossen Sohnes und des jüngeren Bruders.
Während ich mit dem Vater Juliá (das ist Katalanisch für Julián) spreche, wird klar, woher beide Söhne ihre guten Manieren haben und wahrscheinlich auch ihr aussergewöhnliches Talent auf dem Motorrad. Márquez senior lenkt im Beruf einen schweren Kran und ist (was er widerwillig zugibt, wenn man ihn unter Druck setzt) «sehr bekannt» als der Typ, den man für die empfindlichen Jobs ruft. «Jeder kann mit so einem Kran umgehen, aber tatsächlich damit zu arbeiten, ist etwas anderes.» Momentan, wegen des Rückgangs im Baugeschäft, ist Papa Márquez arbeitslos.
Juliá war immer ein Motorradfahrer, aber kein Fan von Strassenrennen. «Obwohl ich einmal nach Holland gefahren bin, um die Dutch-TT zu sehen. Manchmal ging ich zu den Trainings, aber ich hatte nie genug Geld, um mir Karten für die tatsächlichen Rennen zu leisten. Dafür arbeitete ich als Streckenposten bei Motocross-Rennen. Beide Jungs arbeiteten mit mir als Fahnenheber. Dann, als Marc fünf war, sagte er: Ich will ein Motorrad. Und das Leben änderte sich. Es war alles Marcs Begeisterung und ganz alleine seine Idee.»
Papa Márquez: «Strassenrennen waren zu teuer»
Marc fuhr Motocross sowie Dirt-Track und Minimoto auf einer 50-ccm-Conti. «Aber Strassenrennen waren nie ein Thema, weil es zu teuer war», erzählt Papa Márquez.
Bis Marcs Talent auf einer Minimoto-Rennstrecke von Guim Roda, der damals Fahrer- und Teammanager war und heute das Kawasaki SBK-Team leitet, erkannt wurde. Marc war gerade acht Jahre alt. Das Kind, das Guim Roda beobachtete, wusste, wie man sich auf der Rennstrecke verhielt. Er würde einer von den Grossen werden. Roda gab ihm einen Vertrag; bald zog Marc internationale Aufmerksamkeit auf sich. «Als Marc elf Jahre alt war, fuhr er bereits eine Honda RS 125-Rennmaschine», erinnert sich Juliá. «Wir mussten den Tank viel kürzer machen, damit er die Fussrasten erreichen konnte.»
Marc befand sich auf dem Weg nach oben, aber während der ursprüngliche Mentor Roda Joan Lascorz als Schützling aufnahm, begab sich Marc in die Obhut Alzamoras im RACC-National-Team. Die Partnerschaft trug grosse Früchte.
Juliá sagt: «Es gibt viele Leute in Spanien, die eine Ahnung vom Rennsport haben und die Marcs Mentor hätten sein können. Aber Marc und Alzamora passen sehr gut zusammen. Doch dank seines Talents hätte es Marc wohl überall schaffen können.»
Als Marc anfing Rennen zu fahren, hatten die Eltern gemischte Gefühle: Angst und Stolz. «Damals hörte der Motorsport auf ein Hobby zu sein und wurde...», Juliá macht die spanische Handbewegung für Nervosität. «Mit seinem geringen Gewicht war Marc ziemlich schnell auf der RS 125. Es war beängstigend für die Familie.»
Es wurde viel schlimmer. «Als Marc in die Moto2 aufstieg, war das ziemlich ernst, aber dann die MotoGP... Es veranlasste mich zum Nachdenken. Diese Dinger sind wirklich schnell. Marc heute zuzuschauen ist angenehm, aber auch bitter. Es ist nicht so sehr Angst wie Respekt vor der Geschwindigkeit. Und du willst nie, dass jemand verletzt wird.»
Und der Respekt verdoppelt sich jetzt, seit bei der zweite Sohn Alex in der Moto3 fährt.
Aber auf eine Art ist es auch einfacher. Als Alex noch in der Spanischen Meisterschaft fuhr, musste der Papa an mehreren Schauplätzen aufkreuzen. Immerhin sind die Brüder jetzt am gleichen Ort versammelt. Entweder Juliá oder Marcs Mutter Roser sind immer dabei; sie essen zusammen und wohnen gemeinsam im Paddock-Motorhome.
Papa Juliá: Jetzt auch nach Übersee
«Als ich arbeitete, konnte ich nie zu Rennen ausserhalb Europas reisen», erzählt Papa Márquez. «Aber nach den Vorfällen in Australien und Malaysia 2011 (eine grosse Kollision auf Phillip Island, wonach Marc auf den letzten Startplatz verbannt wurde, dann ein Unfall in Sepang, nachdem er alles doppelt sah, was ihn den ersten Moto2-Titel kostete) entschieden meine Frau und ich, dass immer einer von uns beiden dabei sein muss.»
Juliá bleibt ruhig im Hintergrund und hat es immer den Profis das Coaching überlassen. Das Gegenteil des Motocross-Vaters.
Juliá Marquez: «Als Marc das erste Mal fuhr, sagte ich zu ihm: ‹Das ist dein Spielzeug. Spiel damit.› Wenn ich Eltern an der Rennstrecke sehe, die ihre Kinder pushen oder sie anschreien, sage ich zu ihnen: ‹Du steigst auf. Du fährst das Motorrad. Dein Kind wird es nicht schaffen, wenn du es dazu zwingst.› Es passiert vielen Kindern, dass sie zum Rennsport gedrängt werden. Wenn sie 15 Jahre alt sind, wollen sie nichts mehr damit zu tun haben.»
Welchen Ratschlag gibt der Vater den Sprösslingen Marc und Alex? «Den Ratschlag, den ein Vater seinen Söhnen gibt – sich wie gebildete Menschen zu verhalten, freundlich zu sein, angenehm; aber fürs Rennen gebe ich ihnen keine Tipps. Das einzige, was ich dazu sagen kann, ist: ‹Seid vorsichtig. Es könnte regnen.›»
Eine letzte Frage an Juliá, die heikelste. «Marc sagt, dass Alex schneller ist als er. Was glaubst du?»
«Ich sage zu Alex, dass er schneller ist als Marc in seinem Alter war. Aber wie wird es sein, wenn er so alt ist wie Marc? Marc wurde schneller erwachsen als Alex. Alex ist immer noch unreif. Er ist auch viel grösser. Wir müssen abwarten», meint der Senior.
Ist Alex schneller?
Alex, in seiner ersten kompletten WM-Saison, nach dem Gewinn des Spanischen Moto3-Meistertitels, sieht aus wie eine grössere Version seines älteren Bruders. Und es gibt Anzeichen, dass er die nächste grosse Überraschung sein wird. Er sieht seinem älteren Bruder sehr ähnlich, aber er ist grösser als Marc mit 17 war. Ist er auch schneller?
Alex lacht. «In der Supermoto, ja. Als Marc 17 war, sah ich seine Zeiten und ich war ein bisschen schneller. Aber hier ist es anders», meint Alex.
Alex wäre vielleicht nicht zum Rennsport gekommen, wenn Marc es ihm nicht vorgemacht hätte. «Er hat mich mit der Leidenschaft zum Rennsport angesteckt. Als ich klein war, sagte ich zu meinem Vater, dass ich der Mechaniker meines Bruders werden wollte.» Alex begann Motorrad zu fahren, als er fünf Jahre alt war, Strassenrennen mit acht und nach einer Weile des Go-Kartfahrens gewann er letztes Jahr die Spanische Moto3-Serie.
Die Brüder haben zusammen trainiert – Supermoto, Motocross, Flat-Track – von Anfang an. Heute werden sie dabei vom Moto2-GP-Sieger Esteve Rabat begleitet. Rennfahren oder nur spielen? «Nein, nein. Rennfahren», betont Alex. «Ich versuche Marc zu schlagen, aber es ist schwierig, weil er eine unglaubliche Kontrolle über das Motorrad hat. Für mich ist er ein Lehrer.»
Alex: «Marc ist ein harter Kerl»
Alex schätzt Marcs unglaubliche Fähigkeiten. «Er ist ein harter Kerl. Marc ist immer bereit, anzugreifen. Er entscheidet sich sehr schnell und zweifelt nicht.» Für sich selbst: «Ich versuche mich im Zweikampf zu verbessern. Aber die Erfahrung wächst von Rennen zu Rennen. Du lernst, wie man jemanden überholen kann.»
Ganz klar, seinen Weg zum grossen Erfolg hat Marc gepflastert. «Auf gewiesse Art ist es einfacher, weil die Leute dich wahrnehmen. Auf der anderen Seite gibt es auch mehr Druck», weiss Alex Márquez. «Sie erwarten mehr von dir, als von einem normalen Fahrer. Ich muss versuchen, etwas Gutes zu erbringen, um meinen eigenen Platz in der Weltmeisterschaft zu sichern.»
Das Interview mit Alex wird in einem kleinen Büro durchgeführt, das sich hinter seinem Estrella Galicia-Teamtruck befindet. Der Rest ist besetzt von einem KTM-Reserve-Motor auf einem Ständer. Es gibt Platz, um alles andere (das Motorrad inklusive) in die angrenzende Box zu bringen. Bei Marc Márquez, dem jungen Talent von Repsol-Honda, sieht es ein wenig anders aus. Er ist nun einer der Grossen und deshalb haben wir den einen Teil der Hospitality nur für uns und dazu Lakaien um uns, die alles erledigen.
Ein Wunderknabe durch harte Arbeit. Das ist Marc Márquez. Er hat sich seine Rolle durch seinen bahnbrechenden ersten Rennen erkämpft, indem er sein zweites MotoGP-Rennen gewonnen hat, bei acht von neun Rennen auf dem Podest stand, dreimal siegte und drei Mal von der Pole-Position aus startete. Im Alter von 20 Jahren hat er mit jedem dieser Verdienste die Rekorde von Freddie Spencer aus dem Jahr 1983 gebrochen, von dem er wenig weiss. «Freddie fuhr Rennen, bevor ich geboren wurde. Für mich ist es schon wichtig, Rekorde zu brechen, aber nicht mit allen Mitteln. Es bedeutet, dass du auf dem richtigen Weg bist. Aber dann wird es schwieriger», sagt Marc.
Marc Márquez fiel beim Jerez-GP 2013 unangenehm auf, es gab den berühmten Zusammenstoss mit Jorge Lorenzo. Bei einem Fahrer-Briefing wetterte Weltmeister Lorenzo später, dass Fahrer für solche Kollisionen bestraft werden sollten.
Marc Márquez hingegen zeigte sich ziemlich reuelos. «Ich weiss, dass Jorge damals wütend war, aber das ist okay für mich.»
Lachend gesteht Marc eine Schwäche, die womöglich manche Fahrer mit ihm teilen. Wenn er ein anderes Motorrad vor sich sieht, spürt er einen unwiderstehlichen Drang, es zu überholen. Die gnadenlosen Tage in der Moto2 haben ihn viel gelehrt. «Ich habe gelernt, immer 100 Prozent zu geben, weil es sonst in der Moto2 so schwierig ist, herauszustechen. Er war hart genug, die vielen Strafen zu kassieren wegen des gefährlichen Fahrens in der Moto2.»
Grenzwertiges Fahren war Teil seiner Taktik. Marc Márquez gibt zu, dass er gnadenlos sein musste. «In der MotoGP noch viel mehr. Wenn du überholen willst, brauchst du viel Selbstvertrauen und du musst dir deines Könnens bewusst sein. Wenn nicht... Das Motorrad ist ein wenig schwerer, die Geschwindigkeit ist höher. Deshalb ist es schwierig. Aber wenn du dich gut vorbereitest, kannst du damit umgehen.»
Zu Marcs bisherigen Opfern gehören alle Topfahrer. Nach dem Rennen in Le Mans, bei dem er sieben weitere feine Überholmanöver zeigte, wurde der Honda-Star gefragt, wie er dies geschafft habe, ohne weitere Strafen hinnehmen zu müssen. «Weil es nicht die letzte Runde war», grinste er.
Die Ankunft von Bruder Alex im GP-Paddock ist sehr willkommen. Die Familie steht sich nahe, da keiner der Söhne bereits zu Hause ausgezogen ist. Marc gibt die unheilvolle Wahrheit zu. «Ob Alex schneller ist, weiss ich nicht, aber er hat die Spanische Meisterschaft gewonnen, die ich nie gewonnen habe. Also ist er schnell... In der Supermoto und im Motocross ist er schneller, als ich in seinem Alter war.»
Und gibt es Ratschläge? «Zu Hause ja», verrät Marc. «Da sage ich: Probiere diese Linie zu fahren, probiere einen anderen Gang... Zu einem anderen Fahrer sage ich das nie. Auf der Rennstrecke ist es anders. Ich probiere ihm am Abend zu helfen, aber man ist an der Rennstrecke, um seinen Job zu machen. Dort ist es besser, wenn Emilio mit ihm spricht.»
Seinen Job zu machen, ist eine packende Aufgabe, für die Fans wie auch für den Fahrer. Marc Márquez sagt, dass er immer noch lernt, aber die Geschwindigkeit seines Lernenprozesses war bisher phänomenal: Sich den griffigeren Reifen anzupassen, den stärkeren Bremsen, dem höheren Gewicht, den doppelten PS, aber auch der komplett ungewohnten Elektronik.
Ein weiteres Beispiel: Marc Márquez hatte mit der Honda-MotoGP-Maschine nur wenige Runden im Nassen in Jerez geübt. Beim Le-Mans-GP fuhr er das erste Mal ein Rennen im Nassen. Beim Start drehte das Hinterrad stark durch, er donnerte einmal neben die Strecke und erlebte ein paar Beinahe-Unfälle, bis er sich sicher war, wie er mit der Maschine umzugehen hatte. Dann, in der achten Runde, drehte er die schnellste Rundes des Rennens.
Probier’ das zu schlagen, Bruderherz.