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Yonny Hernandez: «Von Kolumbien in die Königsklasse»

Von Enrico Borghi
Wie schaffte Yonny Hernandez den Sprung von Kolumbien nach Europa und letztendlich in die Königsklasse des Motorradsports? Der 26-Jährige berichtet über seinen Weg zum Erfolg.

Yonny Hernandez gehörte einst zur Kategorie «Fahrer mit dem Koffer». So werden Piloten genannt, die nur dank eines Koffers voll Geld ihren Sitz in der MotoGP-Klasse sichern können.

Der Kolumbianer, der 2013 den verletzten Ben Spies bei Pramac Ducati ersetzte, hat sich jedoch für 2015 einen Fixplatz bei Ducati gesichert und das dank seiner Leistung, nicht nur wegen eines Sponsors. Er hat sich seinen Platz verdient.

«Ein Zwei-Jahres-Vertrag mit Ducati mag ja für einen Italiener oder Spanier nichts Aussergewöhnliches sein, aber für mich als Kolumbianer bedeutet es sehr viel», sagte der 26-jährige Südamerikaner. «Dank Ducati lebe ich jetzt einen Traum. Ein anderer Traum ging schon mit der Verlängerung für 2014 in Erfüllung. Deshalb möchte ich euch eine Geschichte erzählen, die nur wenige kennen. Es geschah vor mehr als einem Jahr.»

Worum dreht sich diese Geschichte?

Es ging um die Vertragserneuerung für 2014. Das Team Pramac hatte mir dies im Oktober 2013 zugesichert, bis dann war ich nur Ersatzfahrer für Ben Spies. Es war ein hin und her, denn Ducati hatte noch andere Fahrer im Visier, die meinen Platz hätten einnehmen können. Daheim in Kolumbien war die Anspannung sehr gross. So gross, dass meine Mutter etwas unternahm, was ihr hier in Europa kaum verstehen werdet, aber zeigt, was Südamerika bedeutet.

Komm schon, erzähl.

Meine Mutter hat in unserem Quartier in Medellin etwa hundert Leute versammelt. Sie beteten, fasteten und baten um Versöhnung.

Ist das ein Scherz?

Nein, so war es wirklich. [lacht] Hundert Menschen haben gebetet und gefastet, dass Ducati mich auswählen soll - und Ducati hat mich ausgewählt.

Und wie lange dauerte dieses Bet- und Fastenopfer?

20 Tage. Ich scherze nicht, 20 Tage. [lacht] Es hiess sogar, dass 200 Personen versammelt waren. Und sie liessen nicht locker, bis die Nachricht eintraf, dass der Vertrag unterschrieben sei. Solche Dinge geschehen bei uns. In Italien seid ihr ja auch religiös, aber ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was Religion in Südamerika bedeuten kann. In meiner Familie sind viele katholisch und meine Mutter, die diese Kette der Solidarität in Bewegung setzte, ist eine Naturgewalt. Sie hat es mir zuerst verschwiegen und erst gesagt, als ihr erzählte, dass Ducati mich genommen hat. Es ist unglaublich, ich weiss, aber man darf schon sagen, dass die ganze Beterei ein gutes Ende nahm.

Yonny Hernandez ist schon ein Exot im Fahrerlager, aber es gibt kein Zweifel, er hat das Potenzial, um sich in der Königsklasse zu behaupten. 2015 wird er die GP14.2 fahren, das Motorrad mit dem am Ende der Saison Andrea Dovizioso und Andrea Iannone unterwegs waren. «Meine Vergangenheit und sportlicher Ursprung ist kein Vergleich zu dem, was in Europa möglich ist. Der Weg von Südamerika in die MotoGP-WM ist mehr als steil. In Europa kann man sich gar nicht vorstellen, was es bedeutet, ein kolumbianisches Städtchen zu verlassen und in der Königklasse des Motorradsports zu landen.»

Wie hast du das geschafft?

Das habe ich meiner Familie zu verdanken. Der erste Schritt war der Umzug nach Madrid. Ich war 14. Von Kolumbien aus wäre ich ohne Zwischenstopp in Spanien nie in der MotoGP-WM gelandet.

Du hast Spanien als ersten Schritt gewählt, was auch zeigt, dass du ein aufgeweckter Bursche bist.

Für viele südamerikanische Länder ist Spanien eben ein Bezugspunkt. Vielleicht wegen der Sprache oder der Kultur, jedenfalls ist Spanien das Land, wo wir uns wohlfühlen. Dort habe ich 2008 mit Supermotard angefangen. Ich war in einem Team, das die Spanische wie auch die Weltmeisterschaft bestritt. Motocross fuhr ich in Kolumbien schon seit Jahren, aber es war für mich eher um Spass zu haben. Auch heute trainiere ich noch viel. Supermotard war aber der Wendepunkt, denn ich wollte unbedingt Profi-Rennfahrer werden.

Wie ging es weiter?

Am Ende dieser Saison war ich Dritter, konnte aber um den Titel mitfahren. Also war es eine gute Wahl, denn in der Supermotard traf ich einige Leute, die mir rieten, es mit Strassenrennen zu versuchen. Viele sagten, ich hätte Talent und soll es wagen. Ich lernte Jaime Laglisse vom Team Calvo kennen. Er hat es möglich gemacht, dass ich mein erstes Strassenrennen bestreiten konnte.

Auf welchem Niveau war dieses Rennen?

Es war ein nationales Rennen, aber nicht die CEV. Wir fuhren in Jarama, ausserhalb von Madrid, wo ich lebte. Ich fuhr eine Supersport 600, meine erste Rennmaschine, mein erstes Rennen – und mein erster Sieg.

Kompliment!

Ich hatte mich bei den Debütanten eingeschrieben, aber im Zeittraining hätte meine Rundenzeit bei den Experten für den zweiten Platz gereicht. So sagte ich mir, besser nicht zu viel Zeit verlieren und sofort in die CEV wechseln. Was ich dann auch geschah. Der spanische Suzuki-Importeur hat mir beim Einstieg geholfen. Sie hatten ein Team in der Superstock-Klasse, ich habe unterschrieben. Bereits im ersten Rennen bin ich auf dem Podest gelandet, immer noch auf einer 600er.

Es war ein schwieriges Jahr, weil ich nichts kannte, trotzdem landete ich in sieben Rennen vier Mal auf dem Podest, immer sehr nahe am Ersten dran. Es war also trotzdem ein schönes Debüt. Zu dem Zeitpunkt bot mir Raul Romero, der Chef vom Team Avintia, einen Platz in seinem Moto2-Team an. Das war 2010, mein erstes Jahr in der Moto2.

Dann bist du aber recht schnell in der MotoGP-Klasse gelandet.

2012 war ich noch mit Avintia in der MotoGP, ein Jahr später war ich bei PBM mit der ART unterwegs. Und wieder ein Jahr später sass ich auf der Ducati. Also eine echte MotoGP-Maschine. Ben Spies hatte sich verletzt und das Pramac-Team brauchte einen Ersatz. Wir einigten uns, dass ich die Saison zu Ende fahre, mit einer Option für 2014. Ich hatte zwar keine Sicherheit für die Zukunft, aber meine Welt hatte sich bereits geändert.

Du hattest aber bereits einen grossen Sprung gemacht.

Ich habe das Glück, aus einer wohlhabenden Familie zu stammen, mit starken Werten. Meine Familie war der Grundstein, sie haben mir beigebracht, wie ich mein Leben in dieser Welt meistern kann. Sie haben mir geholfen, mein Ziel zu erreichen.

Du kommst aus Medellin, eine Stadt, die nicht als Kurort bekannt geworden ist.

In den 70er und 80er Jahren war es ein sehr gefährlicher Ort, aber seit einigen Jahren hat sich die Situation komplett verändert. Jetzt lebt es sicht gut. Wir leben nicht mehr in der Zeit der Drogen und einen Guerilla habe ich noch nie gesehen.

Guerilla?

Abgesehen von allgemeiner Kriminalität, abgesehen von den Drogen, gibt es Kolumbien auch die Guerilla. Aber die hat sich im Süden des Landes verbreitet, im Dschungel. Das ist jedoch eine militärische, eine politische Angelegenheit und hat mit dem Drogenproblem nichts zu tun.

Hattest du schon Probleme?

Ich nicht, aber ich wusste, dass gewisse Dinge in bestimmten Viertel passierten oder auch im Land. Aber wir lebten in einer Gegend, wo wir das nicht zu Gesicht bekamen. Wo ich verkehrte, sahen wir keine Drogen. Man bemerkte nichts davon, ausser es gab eine Eskalation der Gewalt. Ich glaube, es ist ähnlich wie bei euch in Italien mit der Mafia. Aber vielleicht hatten wir einfach nur Glück, dass in unserer Familie nie etwas passiert ist. Auch in meiner Stadt gibt es Probleme, ganz klar, trotzdem fehlt sie mir.

Hast du Heimweh?

Ja, denn abgesehen davon, dass ich meine Stadt liebe, ich bin in Europa sehr viel alleine gewesen. Meine Familie war weit weg und ich habe sie oftmals vermisst. Klar, jetzt habe ich Freunde in Madrid, aber lange war ich einsam.

Was macht deine Familie beruflich?

Mein Vater ist Tierzüchter und besitzt viel Land. In Südamerika heisst viel Landbesitz etwas, dass sich ein Europäer gar nicht vorstellen kann. Viel Land bedeutet eine immense Fläche. Das heisst frei und wild lebend. Meine Mutter hingegen hat in Medellin ein Sportartikelgeschäft, vor allem Schuhe.

Dann bist du also in der Stadt aufgewachsen?

Ja, aber Medellin ist nicht so gross. Nicht wie Bogotà, das riesig und chaotisch ist. Medellin liegt nicht an der Karibik, es ist hoch gelegen und hat deshalb ein angenehmes Klima, es ist nie so extrem heiss.

Aber in Kolumbien gibt es Motorsport ja nicht wirklich.

Es gibt keinen Motorradsport, abgesehen vom Motocross. Ich selber habe auf einer Minicross, einer Yamaha PW, angefangen, die mir mein Vater geschenkt hatte. In Kolumbien gibt es nur eine einzige Rennstrecke, die ist aber klein und ungeeignet. Bei uns liebt man den Fussball und neuerdings auch den Radsport. Juan Pablo Montoya ist zwar eine Persönlichkeit geworden, aber wir reden hier von Formel 1 und Indy.

Dann ist das Motorrad als Sportgerät nicht sonderlich geschätzt?

Nicht wirklich. Manche reden zwar darüber, aber gross im Gespräch ist es nicht.

Wie lief es dir damals im Motocross?

Mit meiner 85er Yamaha habe ich viel gewonnen, aber auch in der grösseren Kategorie war ich erfolgreich. Es war aber in einer Amateurliga, wo auch Supermotard gefahren wurde. Die Veranstaltungen waren dilettantisch durchgeführt. Manchmal auch lustig, denn einmal habe ich gefragt, wo das nächste Rennen stattfinde und man antwortete mir, man wisse es noch nicht, würde mich aber informieren.

So ist es sicher nicht einfach, eine Basis für eine zukünftige Karriere zu schaffen.

In Kolumbien ist es unmöglich, Sponsoren zu finden, vor allem für die MotoGP-WM, die Lichtjahre vom Volk entfernt ist, was die Popularität betrifft. Schon eine Diskussion über eine mögliche Unterstützung erwies sich als sehr schwierig. Das war immer hart für mich, denn ich war überzeugt, die Qualitäten zu haben, die es brauchte, um Profi zu werden. Mir blieb nichts anderes übrig, als das Land zu verlassen.

Aber was für einen Sponsor hast du dann gefunden?

Die Regierung, das Ministerium für Sport, hat mir geholfen, bei Pramac Fuss zu fassen. Denn es gibt keine privaten Firmen, die an meinem Sport interessiert sind.

Dir gelingt es nicht, etwas MotoGP-Begeisterung nach Südamerika zu bringen?

Das wird Zeit brauchen, bis eine Motorradkultur gewachsen ist. In Europa kann ein Dreijähriger auf einer Minimoto beginnen. Ich war hingegen 14, als ich anfing. Ein Junge in Europa hat immer jemanden zu Seite, der sich auskennt und hilft. Ich war immer alleine, mir hat niemand was beibringen können.

Wie hast du es trotzdem geschafft?

Ich habe mich auf meinen Instinkt verlassen und bin immer noch sehr instinktiv. Aber in der MotoGP-Klasse reicht das nicht mehr. Mein nächster Schritt wird sein, mich auf den Fahrstil, das Mentale und die Technik generell zu konzentrieren. Daran zu arbeiten. Vor der Zeit mit Pramac hatte ich keine Ahnung von der Abstimmung und das ist sicher mein grösster Nachteil.

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