Ralf Waldmann: Leistet die Ducati wirklich 295 PS?

Von Günther Wiesinger
Eurosport-Presenter Jan Stecker, Lucio Cecchinello und Experte Ralf Waldmann

Eurosport-Presenter Jan Stecker, Lucio Cecchinello und Experte Ralf Waldmann

Eurosport-Experte Ralf Waldmann liess beim Jerez-GP aufhorchen. Er meldete für die Werks-Ducati eine Power von 295 PS. Damit hat «Waldi» im Übereifer etwas übers Ziel hinaus geschossen.

Ralf «Waldi» Waldmann hat in diesem Jahr bereits bei drei Grand Prix bei Eurosport als Experte fungiert. Der 20-fache GP-Sieger wirkt authentisch, unterhaltsam, er bemüht sich um News, er kennt im Paddock Gott und die Welt. Dabei kommt ihm seine Beliebtheit zugute und sein Bekanntheitsgrad, der auf 20 GP-Siege (125 und 250 ccm), seine beiden Vize-WM-Titel (250 ccm/1996 und 1997 hinter Max Biaggi) und seine ungebrochene Leidenschaft für den Motorradsport zurückzuführen ist.

Der ehemalige Feuerwehrmann und gelernte Klempner (sorry: Gas- und Wasser-Installateur) aus Ennepetal redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, man spürt, wie gern sich Waldi wieder im GP-Paddock aufhält, er hat vor dem TV-Mikrofon seine Berufung gefunden.

Jobs als Mechaniker für den Moto3-WM-Fahrer Gabriel Ramos aus Venezuela waren eigentlich unter seiner Würde. Aber war damals dankbar, dass ihn das Kiefer-Team anheuerte und er auf diese Weise Kontakt zum GP-Sport halten konnte.

Natürlich bemüht sich Ralf Waldmann redlich, seine Fans mit Hintergrund-Informationen zu versorgen und sein Wissen zu vermitteln; er interessiert sich für die Technik und will sein Wissen gerne weitergeben.

Aber im GP-Paddock muss man als Reporter ständig aufpassen, dass einem kein Bär aufgebunden wird. Man muss wissen, wer vertrauenswürdig ist, wer nur als Dampfplauderer agiert und wer nur Halbwissen weitergibt.

Und da ist «Waldi» beim Jerez-GP in ein kleines Fettnäpfchen getappt.

Waldi verriet beim GP von Spanien am vorletzten Wochenende den aufgeregt lauschenden Eurosport-Zuschauern, die Ducati Desmosedici-Motoren würden 295 PS leisten.

Wow, entfuhr es da so manchem MotoGP-Fan. Manche staunten ungläubig, manche nahmen diese eindrucksvollen Zahlen für bare Münze. Also forschten wir ein bisschen nach.

Als SPEEDWEEK.com beim Superbike-WM-Lauf in Imola am Wochenende die beiden Ducati-Manager Gigi Dall'Igna und Paolo Ciabatti mit diesen monströsen PS-Zahlen konfrontierten, brachen sie beide gleichzeitig in schallendes Gelächter aus.

KTM-Chef Stefan Pierer spricht von 270 PS

Nun ja, die Motorradwerke hüten ihre PS-Zahlen wie Drei-Sterne-Köche ihre besten Kochrezepte. Deshalb haben sich viele Berichterstatter das Nachfragen abgewöhnt.

Bei der Angabe von technischen Daten liest man womöglich: mehr als 220 PS. Vielleicht auch mal: ca. 250 PS.

Allgemein herrscht die Meinung vor, ein konkurrenz- und siegfähiges 1000-ccm-Vierzylinder-MotoGP-Triebwerk müssen mindestens 260 PS oder 270 PS leisten, je nach Strecke.

Der einzige Spitzenmanager, der in den letzten Jahren eine konkrete PS-Zahl ausgeplaudert hat, war KTM-Konzernchef Stefan Pierer, der gegenüber SPEEDWEEK.com beim Valencia-GP 2015 für den neuen KTM-RC16-V4-Motor eine Leistungsausbeute von 270 PS meldete.

Dass die Ducati-MotoGP-Motoren nicht zuletzt dank der exklusiven desmodromischen Ventilsteuerung die brachialste und infernalischte Power abgeben, ist unbestritten.

Schon im ersten Ducati-MotoGP-Jahr 2003 erreichten die Italiener mit ihren drehzahlfesten Raketen bei den 990-ccm-Maschinen Top-Speed-Werte von rund 345 km/h, was dann zur Hubraumreduktion auf 800 ccm für die Saison 2007 (bis Ende 2011) führte.

2004 sagte mit Ducati-Werksfahrer Troy Bayliss beim Saisonauftakt in Welcom/Südafrika ernüchtert: «Wir fahren haben nicht nach zusätzlicher Power gefragt, trotzdem haben wir 30 PS mehr als im Vorjahr. Ich habe das Gefühl, dieses Bike wurde aus dem Weltraum eingeflogen.»

Auch Gigi Dall'Igna, seit Oktober 2013 General Manager bei Ducati Corse, setzt die Tradition der extrem leistungsstarken Motoren fort.
Zumindest auf diesem Gebiet führt er das Vermächtnis seines Vorgängers Ing. Filippo Preziosi fort.

Inzwischen ahnt Ralf Waldmann, dass er mit den 295 PS ein Stück über das Ziel hinaus geschossen hat.

Der TV-Experte hat sich jetzt vorgenommen, nicht mehr jedem Informanten zu trauen. Die wirklichen Experten geben nämlich sehr selten wahre Geheimnisse preis.

Wobei TV-Newcomer Ralf Waldmann einen enormen Vorteil geniesst: Wenn er mit seinem treuherzigen Blick ohne Mikrofon durch die Boxen spaziert, ist sich nicht jeder Entscheidungsträger bewusst, dass er einem neugierigen TV-Mann gegenübersteht.

«Ich habe einen MotoGP-Techniker gefragt, der selber manchmal auf dem Prüfstand arbeitet», schildert Waldmann. «Er sagte mir, die Ducati leiste 290 bis 295 PS, die Yamaha dürfe so bei 260 PS liegen, die Aprilia bei 245 PS. Ich habe die 290 oder 295 auch für ein bisschen übertrieben gehalten. Mir wurde aber versichert, im Qualifying mit unlimitiertem Sprit würde Ducati mit bis zu 295 PS fahren. Das wurde behauptet. Ob es stimmt, das steht auf einem anderen Blatt Papier...»

Ein Blick auf die Top-Speed-Werte der schnellen Piste in Texas zeigt: Rossi fuhr dort im Qualifying 338,5 km/h, Lorenzo 334,2 km/h, die Werks-Ducati von Iannone und Dovizioso schafften auf der rund 1 km langen Gegengeraden 342,3 und 342,8 km/h.

Bei 35 Mehr-PS wären die Speed-Unterschiede wohl grösser als 4 und 8 km/h.

Man darf ja nicht vergessen: Ducati muss 2016 in den Rennen wie im Vorjahr 22 Liter verwenden, Honda und Yamaha ebenfalls, die Japaner hatten aber 2015 nur 20 Liter zur Verfügung. Ausserdem bekamen Honda und Yamaha für diese Saison neu sieben statt fünf Motoren, Ducati nach Verlust der Open-Class-Vorteile kriegt nur noch sieben statt zwölf. Es konnte also nicht nach Belieben weiter getunt werden.

«Ich kann mir vorstellen, dass die Ducati-Motoren bis zu 280 PS leisten», lässt sich Stefan Bradl entlocken.

Dass die erste Leistungsstufe der Aprilia-Werksmotoren nur 245 PS zuwege bringt, mag gut hinkommen. Es kann aber auch leicht untertrieben sein; es wird streckenspezifisch auch auf die Stärke der elektronischen «power reduction» und den Grip ankommen. Aber bei Zahlen von 245 bis 250 PS wird dem gewissenhaft recherchierenden «Waldi» niemand ernsthaft widersprechen.

Stefan Bradl kam in Texas im Q1 über 328,2 km/h nicht hinaus, Teamkollege Alvaró Bautista schaffte immerhin 334,4.

«Ja, ja, ich habe mich mit der Ducati-PS-Zahlen ein bisschen ins Bockshorn jagen lassen», schmunzelte Waldi im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Ich habe diese 295 PS auch für utopisch gehalten...»

Ob Ducati mit den vermutlich 280 PS auf dem richtigen Weg ist, wird sich zeigen. Mit der harten neuen Hinterreifen-Konstruktion von Michelin, die seit dem Samstag-Training in Texas im Einsatz ist, steht Ducati vor einer gewaltigen Herausforderung. Der «Wheelspin» am Hinterrad hat beängstgende Ausmaße angenommen. «Hiner den Ducati höre ich sehr deutlich, wenn die Traction Control eingreift», schilderte Bradl nach dem Jerez-GP.

Diese Symptome werden die Fahrkunst der Ducati-Fahrer auch in Le Mans auf eine harte Probe stellen.

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