9. Sieger im 9. Rennen: Wer Geschichte schreiben kann

Kolumne von Matthew Birt
Andrea Dovizioso: Schreibt er in Aragón Geschichte?

Andrea Dovizioso: Schreibt er in Aragón Geschichte?

MotoGP-Reporter Matthew Birt ist seit mehr als 21 Jahren im WM-Zirkus unterwegs und kennt sich entsprechend gut in der Welt der Motorrad-Profis aus. In seiner Kolumne blickt er auf den anstehenden 14. WM-Lauf in Aragón.

Meine grosse Leidenschaft neben der MotoGP ist der Fussball. Vor allem dem englischen Klub Leicester City gehört mein Herz.Ich unterstütze diese Mannschaft schon seit Kindesbeinen und war schon nach meinem ersten Besuch, den ich 1982 zusammen mit meinem Vater erlebte, ein glühender Anhänger dieses Vereins.

Und ich durfte miterleben, wie diese Mannschaft im vergangenen Jahr Geschichte schrieb, und zwar eine, die selbst Hollywood als zu weit hergeholt bezeichnen würde. Denn obwohl die Buchmacher den Klub zum hoffnungslosen Fall abstempelten und mit einer Quote von 5000/1 auf den Titelgewinn rechneten, schaffte die Truppe das Unmögliche und entschied den Titelkampf in der Premier League für sich.

Das bringt mich auf die MotoGP.

Denn die Quoten, dass auch im neunten aufeinanderfolgenden Rennen ein neuer Sieger vom obersten Podesttreppchen strahlt, dürften ähnlich bescheiden ausfallen wie jene von Leicester City im vergangenen Jahr. Trotzdem würde ich nichts lieber als genau das erleben. Es ist allerdings wahrscheinlicher, dass ich im nächsten Jahr Jorge Lorenzos Ducati-Teamkollege werde, als dass wir in Aragón wieder einen neuen Sieger erleben werden.

Träumen darf aber wohl erlaubt sein, lasst uns deshalb auf die möglichen Kandidaten für das kleine Wunder blicken:

Der offensichtlichste Anwärter für einen Sieg ist Andrea Dovizioso und das sage ich vor allem mit Blick auf die Tatsache, dass er der einzige verbleibende MotoGP-Pilot ist, der in der grössten Klasse schon Siege eingefahren hat. Sein einziger GP-Triumph vom Rennen in Donington anno 2009 liegt schon Ewigkeiten zurück, ausserdem ist ein Sieg in 155 GP-Einsätzen – herausgefahren auf nasser Piste – nun wirklich kein Garant für einen weiteren Triumph im nächsten Rennen. Seine beste Chance hat er wohl im Regen, denn auch in Assen, Deutschland und Brünn führte er das Feld im Nassen an.

Die diesjährige Ducati Desmosedici GP wurde von Andrea Iannone in Österreich zum Sieg gepeitscht, doch auf schnellen und körperlich anstrengenden Strecken war das Geschoss aus Bologna immer schwer in den Griff zu bekommen.

Die ersten drei Sektoren des MotorLand Aragón umfassen 15 Kurven, in denen viele Richtungswechsel nötig sind. Und sowohl Dovizioso als auch Iannone hatten sich in Silverstone darüber beklagt, dass es der Desmosedici im Vergleich zu den Rivalen an Feingefühl und Wendigkeit fehlt. Dovizioso hat sich diesen Problemen in Misano gewidmet und erklärte, dass dieses Problem beim Umlegen viele Sorgen mit sich bringt. denn man muss das Bike vielmehr um die Kurven hieven als es zu bewegen. Das Ganze wird durch den immer schlechteren Grip verschärft. Und auch der Fahrer wird stärker beansprucht, weil er kämpfen muss, um die Ducati zu kontrollieren.

Ducati hat in Aragón seit Casey Stoners Sieg bei der GP-Premiere von 2010 auch nie mehr gewonnen.

Was ist mit Aleix Espargaró? Bei Suzuki sitzt er auf einer weiteren MotoGP-Maschine, die in diesem Jahr ihre lange Sieges-Durststrecke beenden konnte. In den vergangenen sieben Rennen konnte er jedoch nur einmal in die Top-10 vorstossen und insgesamt nur elf Punkte sammeln – fünf Mal kam er nicht ins Ziel. Trotzdem ist Aragón ein gutes Pflaster für den älteren der beiden Espargaró-Brüder, denn sein bisher einziges MotoGP-Podest errang er 2014 auf eben dieser Strecke nach einem Duell, das sich über das ganze Rennen erstreckte.

In Aragón war auch sein jüngerer Bruder Pol schon erfolgreich unterwegs, auch wenn er noch auf seinen ersten MotoGP-Podestplatz warten muss. 2010 und 2011 konnte er aber in der 125-ccm-Klasse sowie in der Moto2 im MotorLand siegen.

Von den restlichen Kandidaten haben es bisher nur vier aufs Treppchen geschafft: Scott Redding, Danilo Petrucci, Alvaro Bautista und Stefan Bradl.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass Redding und Petrucci auf nasse oder wechselhafte Bedingungen angewiesen sind, um eine Chance auf den grossen Coup zu haben. Redding hat seine beiden Podestplätze beim Flag-to-Flag-Rennen in Misano im vergangenen Jahr und beim diesjährigen Regen-Chaos von Assen eingefahren. Auch in den Regen-Rennen von Deutschland und Brünn war er lange Zeit auf Podest-Kurs unterwegs. Wie Redding siegte auch Petrucci im Nassen: Vor einem Jahr entschied er das vom starken Regen bestimmte Rennen in Silverstone für sich.

Das letzte Mal, als Bautista auf dem Podium Cava schlürfen durfte, war 2014 in Le Mans. Und auch wenn die Aprilia-GP der MotoGP-Spitzengruppe näher kommt, sehe ich keinen Überraschungscoup vom Spanier kommen. Die Aprilia konnte bisher weder im Nassen noch auf trockener Piste einen Top-6-Platz erzielen, und Bautistas zwölfter Startplatz ist die Qualifying-Bestleistung seit Colin Edwards Einsatz in Valencia anno 2003!

Stefan Bradl stand bisher nur einmal in der MotoGP-Klasse auf dem Podest, und zwar 2013 in Laguna Seca. An diesem Wochenende holte er auch seine einzige Pole-Position in der Königsklasse. Was man da herauslesen kann? Bradl liebt Laguna Seca. Wenn wir das Rennen in Aragón also nicht aus unerfindlichen Gründen nach Kalifornien verschieben, rate ich davon ab, das Erbe der eigenen Kinder auf einen Sieg des Bayer zu setzen. Aber wurde das nicht auch über Leicester City gesagt?

Man muss die Statistikbücher schon bis 2012 zurückblättern, um den letzten Punkte-Rang von Héctor Barberá in Aragón zu finden. Noch schlechter stehen die Karten für seinen Avintia-Ducati-Teamkollegen Loris Baz, der in Mugello aussetzen musste, nachdem er in Silverstone einen harten Crash erlitten hatte. Seine Rennteilnahme ist noch nicht einmal sicher.

Ich würde meine Tastatur verspeisen, sollte Alex Lowes dieses Rennen als Ersatzmann für Bradley Smith gewinnen. Das ist in keiner Weise respektlos zu verstehen, aber ich glaube, selbst Alex würde mir zustimmen, dass damit David gegen Goliath gewinnen würde.

Tito Rabat hat in den vergangenen drei Jahren in der Moto2 jeweils immer einen der beiden vordersten Plätze belegt und den Lauf in der mittleren Klasse im vergangenen Jahr für sich entschieden. In seiner brutalen ersten MotoGP-Saison ist er aber bisher nicht über den neunten Platz hinausgekommen.

Eugene Laverty ist ein weiterer Fahrer, der wohl Schützenhilfe vom Regen nötig hätte, um sich mit einem historischen Ergebnis in Richtung Superbike-WM zu verabschieden. Er war in diesem Jahr zwar schon in allen Bedingungen stark unterwegs, ein Regen-Chaos würde ihm aber den Vorteil verschaffen, aufs Ganze gehen zu können, weil er nichts zu verlieren hat.

Yonny Hernandez hatte in Assen seine 15 Minuten Ruhm, als er in Führung lag – bis er von der Strecke rutschte. Er hat seit dem vergangenen Aragón-Rennen keinen Top-10-Platz mehr erreicht. Ein Sieg des Kolumbianers käme etwa dem legendären Wimbledon-Triumph von Boris Becker gleich.

Und was ist mit Nicky Hayden? Der MotoGP-Weltmeister von 2006 ersetzt den verletzten Jack Miller im Marc-VDS-Team. Der mittlerweile 35-Jährige Amerikaner stand bei der GP-Premiere von Aragón in der Saison 2010 als Dritter sogar auf dem Treppchen. Doch er stellt sich einer schwierigen Aufgabe, denn er kennt weder die neuen Michelin-Reifen noch die neue Elektronik. Auch kommt er in ein Feld, in dem die Talentdichte unglaublich hoch ist.

Das Wunderschöne am Sport und auch an der MotoGP ist doch, dass man nie weiss, was als nächstes kommt. Ich erhole mich immer noch vom Schock, dass Leicester City den Gesamtsieg in der Premier League geholt hat – und das ist bereits fünf Monate her. Sollte am kommenden Wochenende ein neunter Sieger im neunten Rennen über die Ziellinie kommen, dann glaube ich auch wieder an Elfen und Meerjungfrauen!

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