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Exklusiv: Weshalb Tom Sykes monatelang hinterherfuhr

Von Ivo Schützbach
Erst kurz vor Saisonmitte gelang Kawasaki-Werksfahrer Tom Sykes der erste Sieg in der Superbike-WM 2015. Sein Crew-Chief Marcel Duinker spricht erstmals über die Hintergründe der Leidenstour.

Am 13. Juli 2014 gewann Tom Sykes in Laguna Seca, danach war der Weltmeister von 2013 auf der obersten Podeststufe bis 24. Mai 2015 abstinent, erst bei seinem Heimrennen in Donington Park konnte er den Fluch mit einem Doppelsieg brechen.

Vergangenen Winter wurde das technische Reglement der Superbike-WM geändert, die Werks-Kawasaki passte unter den neuen Voraussetzungen weit weniger zum speziellen Fahrstil von Sykes als in den drei Jahren zuvor. Dass das Motorrad nach wie vor der Maßstab ist, beweist Sykes’ Teamkollege Jonathan Rea, der die Weltmeisterschaft vor den Rennen in Portimao am kommenden Sonntag mit erstaunlichen 101 Punkten Vorsprung anführt.

Seit Saisonbeginn sprach Sykes von Limitierungen an seinem Motorrad die verhinderten, dass er um Siege kämpft. «Einige haben mich deshalb vorschnell abgeschrieben», ist dem 29-Jährigen bewusst.

Gegenüber SPEEDWEEK.com versicherte Sykes stets, dass er gewinnen würde, sobald sie alle Probleme gelöst haben. Der erfolgreichste aktive Superbike-WM-Pilot hielt Wort, sein Crew-Chief Marcel Duinker erklärte im Exklusiv-Interview die Hintergründe.

Wegen der neuen technischen Vorschriften musste Tom seinen Fahrstil anpassen, seit Aragón Anfang April ging es stetig bergauf. Zwei zweiten Plätzen in Imola folgten zwei Siege in England. Von was für Limitierungen spricht er?

Die letzten drei Jahre entwickelten wir unser Motorrad mit seinem Fahrstil zu einem Siegerpaket. Seit Winter 2011/2012 arbeiten wir zusammen, im Jahr zuvor war er 13. der Meisterschaft. Für 2012 formten wir ein neues Team um ihn und verstanden sehr schnell, was dem Motorrad fehlt. Zu Saisonende hatten wir ein Siegerbike, er verlor die Meisterschaft nur um einen halben Punkt gegen Max Biaggi.

In den folgenden Jahren verbesserten wir uns, auch Tom konnte 2013 zulegen. 2014 wurde er noch einmal schneller. Tom hat seinen Fahrstil in eine sehr spezielle Richtung entwickelt und das Motorrad dazu. Jeder Fahrer im Paddock wunderte sich darüber, wie er so fahren konnte. Die anderen Fahrer und Teams bauten Kameras an den Rennstrecken auf um zu analysieren, wie er den Kurveneingang fährt. Andere Hersteller haben versucht Teile der Kawasaki zu kopieren, damit auch ihre Piloten so fahren können.

Sykes gilt als einer der besten Spätbremser der Welt. Was macht er beim Einbiegen anders?

Das Motorrad muss dir erlauben so spät zu bremsen, es muss diesen Fahrstil unterstützen. Wichtig ist, dass dies Toms natürlicher Fahrstil ist.

Wir haben das Motorrad so entwickelt, dass er seinen Fahrstil weiterentwickeln konnte und damit immer schneller wurde. 2012, 2013 und 2014 waren Sykes und Kawasaki die schnellste Kombination.

Sykes bremst extrem hart und spät und tief in die Kurven hinein. Dann macht er schnellst möglich Richtung, richtet das Bike wieder auf und gibt Gas. Er verkürzt die Kurven quasi. Auf einigen Rennstrecken kannst du in der Bremszone sehen, dass sich Fahrer hinter ihm bereits beim Bremsen aufrichten, während Tom sich noch hinter dem Windschild versteckt.

Seit der Regeländerung letzten Winter funktioniert dieser Fahrstil nicht mehr?

Heute ist weniger Tuning erlaubt, es gibt weniger Freiheiten in der Entwicklung ?des Chassis’ und speziell des Motors. Das mit dem Chassis hatten wir relativ schnell im Griff, das war kein größeres Problem. Da ging es nur um geringere Toleranzen und damit verbunden weniger Einstellmöglichkeiten. Der Motorcharakter hingegen hat sehr großen Einfluss auf seinen Fahrstil. Der Motor muss dich in der Brems- und Beschleunigungsphase unterstützen. Tom kann heute nicht mehr so bremsen, wie er es die letzten Jahre tat. Das hängt mit der Motorbremse zusammen. In der Beschleunigung fehlt es dem Motor an Performance. Alle Hersteller haben damit zu kämpfen, aber Tom trifft das mit seinem Fahrstil besonders hart.

Kein anderer Fahrer hat sein Motorrad derart extrem auf spätes Bremsen abgestimmt wie Tom. Wenn du aus dem technischen Paket nur eine Kleinigkeit entfernst, dann fehlen die pro Runde 1 oder 2/10 Sekunden. Das macht den Unterschied zwischen einem Sieg und einem dritten Platz aus, wir reden von 3 sec über die Renndistanz. Pro Kurve sind das nur ein paar Tausendstelsekunden.

Kritiker meinten, er müsse seinen Fahrstil den Gegebenheiten anpassen.

So etwas ist möglich. Wenn aber ein Fahrer seinen Stil von jetzt auf nachher umstellt, wird er automatisch langsamer. Das ist, wie wenn du in einer Fremdsprache sprichst. Diese wirst du auch nie wie deine Muttersprache reden. Oder wenn du deinen Laufstil änderst, tun dir nach 15 Minuten die Knie und Knöchel weh. Deshalb braucht es Zeit, um den Stil anzupassen.

Habt ihr mehr am Motorrad geändert oder Tom mehr an sich oder ging das Hand in Hand?

Wir müssen uns an das technische Reglement halten, also konnten wir dort keine großen Fortschritte erzielen. Also mussten wir um die Probleme herumarbeiten. Das ist aber nie dasselbe, wie ein Problem zu lösen. Wir haben die Chassisabstimmung dahingegen optimiert, dass er die Probleme so gut wie möglich umgehen kann.

Auf Phillip Island und in Thailand war leicht zu erkennen, dass er sich auf dem Motorrad nicht wohl fühlt. In Aragón haben wir einen Schritt gemacht, in Assen ebenfalls und in Imola einen großen. In Donington hat er zweimal gewonnen. Aragón war das erste Rennen, in dem er wieder kämpfen konnte, diesen Weg verfolgten wir weiter.

Wie umgeht er die Probleme? Mit Hilfe der Elektronik?

Die Elektronik spielt in diesem Zusammenhang fast keine Rolle. Unsere Elektronik ist auf sehr hohem Niveau, von 2014 auf 2015 hatten wir keine Einbußen. Mit der Elektronik stellt man sich auf die Umstände ein, man bietet dem Fahrer Unterstützung, wenn sich die Umstände ändern. Zum Beispiel, wenn sich die Traktion während des Rennens ändert, verursacht durch nachlassende Reifen oder verändertes Wetter.

Für uns ging es um die Haltbarkeit der Reifen, was mit seinem Fahrstil zusammenhängt. Wir mussten das Chassis und den Motor so hinbekommen, dass Tom wieder seinen natürlichen Stil fahren kann.

An einem Chassis lassen sich heute ungefähr 25 Parameter anders einstellen, das ergibt jede Menge Kombinationen: Motorrad höher, niedriger, kürzer, dazu die Federelemente. Jede Änderung hat Auswirkungen, wie sich das Motorrad verhält.

Immer wenn es uns an Traktion am Vorderrad fehlte, schlossen die Leute daraus, dass er seinen Hinterreifen verheizt. Uns fehlte es aber nicht an Traktion am Hinterrad, wir hatten ein Problem mit der Front. Er konnte die Kurven nicht anfahren wie er wollte, automatisch versuchte er das zu kompensieren und verbrauchte deshalb den Hinterreifen.

Wie findet man bei 25 Verstellmöglichkeiten die richtige Kombination heraus? Durch versuchen?

Tom ist technisch sehr versiert, sein Verständnis ist auf einem sehr hohen Niveau. In meiner Karriere arbeitete ich mit keinem anderen Fahrer, der so gut war. Wäre er das nicht, könnte er niemals so gute Resultate holen. Wenn du ein siegfähiges Motorrad entwickeln willst, brauchst du einen Fahrer, der seine Einschränkungen auf der Strecke versteht.

Es ist natürlich nicht Toms Aufgabe die Probleme zu lösen, das ist mein Job. Aber er schildert mir seine Gefühle. Ich bin keiner, der ein Motorrad frei Schnauze abstimmt, ich bin sehr konservativ. Gute Dinge behalten wir, Sachen mit einem Fragezeichen lassen wir.

Änderungen können wir nach fünf Runden, nach zwei Trainings oder nach fünf Monaten vornehmen, das ist keine Frage der Zeit. Man muss verstehen, wo man Einschränkungen hat, dann ändert man Dinge. Basieren Änderungen auf Vermutungen, verrennt man sich zwangsläufig.

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