Fazit Rallye Italien: Fünf von sieben

Kolumne von Christian Schön
Das Siegerteam Ott Tänak (rechts) und Beifahrer Martin Järveoja beim traditionellen Bad im Hafen von Alghero

Das Siegerteam Ott Tänak (rechts) und Beifahrer Martin Järveoja beim traditionellen Bad im Hafen von Alghero

Mit Ott Tänak steigt die Anzahl der Laufsieger weiter an. Gut möglich, dass in der jetzt beginnenden zweiten Saisonhälfte noch mehr hinzu kommen

Glaubt man Malcolm Wilson, ist Sébastien Ogier nicht nur der beste Rallyefahrer der Gegenwart. Der Boss des Ford-Teams M-Sport sagt dem viermaligen Weltmeister sogar beinahe magische Kräfte nach. Fähigkeiten, die Ott Tänak erst ermöglicht hätten, die Rallye Italien zu gewinnen. «Ott hat sich in den letzten 18 Monaten stark verändert. Einen großen Anteil daran hat auch Sébastien. Er treibt alle im Team zu Höchstleistungen, auch die anderen Fahrer und Beifahrer», sagte Wilson nach dem ersten WM-Sieg des Esten.

Die ersten sieben Läufe der Saison 2017 sahen damit fünf unterschiedliche Sieger von vier Marken – so abwechslungsreich war die WM seit 2002 nicht mehr.

Ob mit oder ohne Einfluss von Magie. Tänak ist tatsächlich ein Beispiel dafür, dass man jungen Fahrer Entwicklungszeit zugestehen sollte. Tänak fährt seit 2011 für M-Sport, der damals 24-Jährige galt als eines der größten Talente seiner Generation. Doch statt Siegen lieferte er einen Unfall nach dem anderen ab, wurde von Malcolm Wilson 2012 in die zweite Liga WRC2 ins Kundenteam von Reifenhersteller DMack abgeschoben.

Das folgende Jahr musste Tänak sogar komplett auf die WM verzichten. 2015 kehrte er mit M-Sport in die Topklasse zurück. Die Resultate waren erneut eher mittelmäßig, wieder stand seine Karriere vor dem Ende.

Bis DMack noch einmal die Rettungsleine warf und 2016 weitere Einsätze bei M-Sport bezahlte, jetzt im Ford Fiesta WRC. Was Tänak mit den gegenüber Beinahe-Monopolist Michelin nicht zu 100 Prozent konkurrenzfähigen chinesisch-britischen Reifen anstellte, war aller Ehren wert. Zweimal stand er kurz vor dem ersten Sieg, einmal machte ihm ausgerechnet ein Reifenschaden, einmal ein gewisser Sébastien Ogier einen Strich durch die Rechnung.

2016 scheint der Knoten geplatzt. Bei bisher sieben Rallyes stand Tänak vier Mal auf dem Podium, ist nach dem Sieg auf Sardinien Tabellendritter hinter Ogier und Thierry Neuville (Hyundai). «Ich sehe keinen Grund, warum ich nicht mit Ogier um den Titel kämpfen sollte», sagt Tänak selbstbewusst.

Was für den ruhigen Esten beinahe schon einem Gefühlsausbruch gleichkommt. Auf die in solchen Situationen gerne gestellte – komplett dämliche – Frage, wie er sich nach seinem ersten WM-Sieg denn so fühle, antwortete der 29-Jährige ungerührt, er fühle überhaupt nichts Besonderes. «Ich habe einen Job erledigt, mehr nicht.»

Offensichtlich sind die Esten so. Markko Märtin, der letzte Este, der eine WM-Rallye gewann (2004), gratulierte seinem ehemaligen Schützling jedenfalls auch nicht gerade überschwänglich. «Er hatte gerade keine Zeit zu reden, weil er auf dem Weg zum Frisör war», verriet Tänak und musste dann doch ein wenig grinsen.

Das Lachen endgültig vergangenen ist dagegen Kris Meeke. Nachdem er bei der Rallye Sardinien zum fünften Mal in der laufenden Saison einen möglichen Sieg ins Unterholz geworfen hatte, zog Citroën-Teamchef Yves Matton endlich die Konsequenz. Beim bevorstehenden WM-Lauf in Polen übernimmt Andreas Mikkelsen den C3 WRC des Nordiren. «Kris soll in Ruhe seine Batterien aufladen, um mit frischer Energie zur Rallye Finnland zu kommen», begründete Matton.

Beim genauen Hinsehen macht diese Maßnahme sogar Sinn. Der damalige VW-Pilot Mikkelsen feierte 2016 in Polen den Sieg (übrigens vor Ott Tänak). Meeke dagegen war 2016 in Polen nicht am Start, als Citroën nur ein begrenztes WM-Programm bestritt. Im Jahr davor hatte er sich schon im Shakedown überschlagen. Wenn Meeke also bei einer Rallye von vorneherein schlechte Chancen hätte, dann in Polen. Die Rallye Finnland hat er dagegen 2016 gewonnen, sie bietet sich also perfekt für ein «Comeback» an.

Matton macht damit außerdem seine Ankündigung wahr, Mikkelsens Einsatz bei der Rallye Italien nicht als einmalige Angelegenheit zu betrachten. Der Gaststart des Norwegers endete zwar mit dem besten Ergebnis aller Citroën-Piloten, war mit Rang acht aber nicht gerade eine Offenbarung. Mikkelsen, als WM-Dritter 2016 ein ausgewiesener Angaser und mit ordentlich Testkilometern im 2017er Polo auch mit der neuen WRC-Generation vertraut, war erstaunlich langsam unterwegs. Auf vielen Prüfungen bildete er das Schlusslicht der WRC-Armada.

Dass der C3 WRC schnell ist, steht außer Frage. Das aber offenbar nur in einem so schmalen Fenster, dass gleichzeitig das Risiko eines Abflugs überproportional ansteigt. Mikkelsen war clever genug, am unteren Ende dieses Fensters zu bleiben. «Ich komme zum Beispiel noch nicht mit der Kupplung zurecht, habe einige Male den Motor abgewürgt», gab er erstaunliche Einblicke in das Leben als Fahranfänger.

Techniker der Konkurrenz halten es für möglich, dass der C3 WRC eher ein Rundstrecken- als ein Rallyeauto ist. Tatsächlich wurde er maßgeblich von Ingenieuren entwickelt, die bei Citroën zuvor für den mehrmaligen Tourenwagen-Weltmeister C-Elysée verantwortlich waren.

Deutlich einfacher für WRC-Einsteiger zu fahren scheint der Toyota Yaris WRC. Jedenfalls lieferte Esapekka Lappi, 2016 Weltmeister in der Kategorie WRC2, eine blitzsaubere Leistung ab. Auf ganzen sechs von 19 Wertungsprüfungen ließ sich der 23 Jahre alte Finne die Bestzeit notieren, mehr schaffte keiner.

Zugegeben, Lappi profitierte auf sardischem Schotter zeitweise von seiner hohen Startposition. Aber für die abschließende Power-Stage hatten sich die namhaften Konkurrenten Großes vorgenommen. Lappi schnappte ihnen rotzfrech den Sieg vor der Nase weg – mit Ankündigung. Als ein Reporter den Finnen vor dem WP-Start fragte, ob es ein Risiko wäre, fünf Euro auf seinen Sieg zu setzen, antwortete dieser trocken: «Setz’ lieber gleich 20 Euro.»

Müßig darüber zu spekulieren, ob Tänak auch gewonnen hätte, wenn man sich bei Hyundai nicht selbst im Weg gestanden hätte. Hayden Paddon flog in Führung liegend ab. Punkte sammelte der Neuseeländers nur bei den Fans, weil er als einziger der Toppiloten nicht über die Sichtbehinderung durch in der Luft stehenden Staub jammerte. Teamkollege Thierry Neuville verscherzte sich dagegen einige Sympathien – auch beim Team –, weil er sich lauthals über - real existierende - Bremsprobleme beklagte.

Die erste Halbzeit der Saison 2017 ist rum. Titelverteidiger Sébastien Ogier, auch bei Abzug eines Zeitverlusts wegen Reifenschadens bei der Rallye Italien erstaunlich farblos, liegt wieder einmal an der Tabellenspitze (141 Punkte). Hoffnungen, den Ford-Piloten noch einzuholen, können sich eigentlich nur noch Thierry Neuville (123), Ott Tänak (108) und Toyota-Fahrer Jari-Matti Latvala (107) machen. In der Teamwertung hat M-Sport (234) den Vorsprung gegenüber Hyundai (194) noch einmal ausgebaut.

In der zweiten Jahreshälfte stehen einige Rallyes an, bei denen die Startposition eins für Ogier keinen Nachteil darstellt. Zum Beispiel der Asphalt-Lauf in Deutschland. M-Sport-Boss Wilson hat seinem Superstar dazu ein brandneues, in Details verbessertes Auto versprochen. Wohl wissend, dass wahrscheinlich so schnell nicht wieder die Gelegenheit kommen wird, den offiziellen Werksteams gleich zwei Weltmeistertitel wegzuschnappen. Ob das reichen wird, Ogier auch für 2018 zu halten, muss sich zeigen.

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