Versuch und Irrtum: Wie Ducati die Titel-Formel fand

Von Manuel Pecino,

Für Gigi Dall’Igna schloss sich mit dem MotoGP-Titelgewinn durch Pecco Bagnaia ein Kreis. Der Mastermind hinter den Ducati-Erfolgen hatte sich zuvor lange in Geduld üben und einige Fehlschläge hinnehmen müssen.

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Gigi Dall'Igna hat neun Jahr gebraucht, um seine offene Rechnung mit dem Motorradrennsport zu begleichen: Nach den Titelgewinnen in den Klassen 125 ccm, 250 ccm und der Superbike-WM mit Aprilia war er mit einem einzigen Ziel zu Ducati gekommen – den Kreis mit dem Gewinn der MotoGP-WM zu schließen.

Beim Valencia-GP 2022 war es endlich soweit, Pecco Bagnaia sorgte für die Erlösung. Dem vorangegangen waren acht Jahre frustrierender Versuche, in denen viele andere längst das Handtuch geworfen hätten. Nicht so Gigi Dall’Igna, der ganz nach dem Motto «Lernen durch Versuch und Irrtum» so lange Schritte machte, bis er die Siegesformel gefunden hatte.

Ein Blick auf die Chronologie der Geschehnisse, die Ducati und Gigi Dall’Igna zum «Heiligen Gral» geführt haben.

2014: Dall’Igna wechselte von Aprilia zu Ducati, um die Rennabteilung («Reparto Corse») in Borgo Panigale zu übernehmen. Er trat dort nach dem Fiasko mit Valentino Rossi die Nachfolge von Filippo Preziosi an, einer fast schon mythischen Figur im Hause Ducati.

In dieser ersten Saison setzte Ducati die Hinterlassenschaften des Vorgängers ein, während Dall’Igna das Jahr nutzte, um sich mit der Rennabteilung vertraut zu machen, mit deren Arbeitsweise und Mitarbeitern. Gleichzeitig begann er, das zu definieren, was Gigis erste Desmosedici sein würde.

2015: Dall’Igna brachte «sein Bike» auf die Strecke. Es ist die Saison der Evolution. Andrea Dovizioso und Andrea Iannone erreichten total neun Podestplätze, ein Sieg blieb ihnen aber noch verwehrt.

2016: Dall’Ignas Desmosedici gewann ihre ersten zwei Rennen mit zwei unterschiedlichen Fahrern. Der italienische Ingenieur-Fuchs verstand, dass er über die Möglichkeiten verfügte, um den Angriff auf die MotoGP-Krone zu starten, den einzigen Titel, der ihm noch fehlte. Diese Zuversicht brachte er gegenüber dem Ducati-Management zum Ausdruck und bat darum, einen Siegfahrer unter Vertrag zu nehmen.

Der Auserwählte war Jorge Lorenzo, für den Ducati in zwei Jahren die astronomische Summe von 25 Millionen Euro ausgab. Eigentlich hätte er die Box mit Andrea Iannone teilen sollen, aber es wurde keine Einigung erzielt und «The Maniac» wechselte zu Suzuki. Dafür wurde Andrea Doviziosos Vertrag verlängert, allerdings mit einer drakonischen Gagenkürzung: Er verdiente nur noch ein Zehntel seines neuen Teamkollegen.

2017 war es dann ausgerechnet der «gedemütigte» Dovizioso, der Dall’Ignas Saison mit sechs Siegen rettete und die Wettbewerbsfähigkeit der Desmosedici zu seiner eigenen Genugtuung unter Beweis stellte. Superstar Lorenzo dagegen erlebte eine frustrierende Saison, während er den mühsamen Prozess durchlebte, sich an das neue Motorrad anzupassen.

2018: Dovizioso gewann vier Grand Prix, Lorenzo drei. Dall’Ignas Bike konnte also bereits mit zwei Fahrern mit sehr unterschiedlichen Fahrstilen gewinnen. Aber: Ducati vergraulte Lorenzo – rückblickend gesehen – voreilig. Dall’Igna musste seine Fahrerstrategie also überdenken.

2019: Das teaminterne Duell, bei dem zwei Fahrer gegeneinander um dasselbe Ziel kämpften, machte einer neuen Herangehensweise Platz – der «freundschaftlichen Box». Dovizioso, der nun zur Referenz im Team aufgestiegen war, bekam mit Danilo Petrucci einen angenehmen Stallgenossen zur Seite gestellt. Die Absicht dahinter: Dovizioso sollte seine Energien auf den Titelkampf fokussieren, anstatt sich an der teaminternen Rivalität aufzureiben.

«Dovi» gelangen in dieser Saison allerdings nur noch zwei Siege und Dall’Igna verlor den Glauben daran, dass er der Fahrer sei, der ihm die lange herbeigesehnte MotoGP-Krone bescheren würde. Das Verhältnis zwischen den beiden verschlechterte sich zusehends.

2020: Ein Übergangsjahr, in dem Dall’Ignas Verhältnis zu seinen damaligen Fahrern im totalen Konflikt endete. Als Ingenieur war er der Überzeugung, Dovizioso und Petrucci ein Sieger-Bike in die Hand gegeben zu haben. Die mangelnden Erfolgserlebnisse wurden demnach einzig den Fahrern zugeschrieben. Es war also wieder an der Zeit, die Strategie zu überdenken.

2021: Ohne das nötige Budget für einen «Top-Fahrer» begab sich Ducati auf der Suche nach einem Siegfahrer in den eigenen Reihen. Auf die zwei Routiniers folgten im Werksteam zwei Fahrer, die im Kundenteam von Pramac aufgebaut worden waren: Pecco Bagnaia und Jack Miller. Das Wagnis wurde belohnt, beide gewannen Rennen. Bagnaia beendete die Saison gar als Vizeweltmeister und schnellster Fahrer in der Klasse – mit vier Siegen in den letzten sechs Grand Prix. Dall’Igna erkannte, dass die Erntezeit gekommen war.

2022: Dall’Igna spielte einen Trumpf aus. Nach den fehlgeschlagenen Versuchen mit einem Superstar oder der freundschaftlichen Atmosphäre rund um einen Referenz-Fahrer erfand er die «Ducati-Walze»: Er brachte so viele Motorräder wie möglich in die Startaufstellung und holte alle verfügbaren jungen Italiener zu Ducati.

Sein Motorrad gilt als die absolute Referenz in der Klasse. Sieben der acht Ducati-Piloten standen in dieser Saison auf der Pole-Position. Saisonübergreifend sind es mittlerweile 26 Rennen, in denen immer mindestens eine Desmosedici unter den Top-3 landete…

Jetzt war die Zeit reif, um die Rechnung zu begleichen: In Valencia bescherte Pecco Bagnaia Gigi Dall’Igna seinen langersehnten Fahrertitel in der Königsklasse MotoGP.

MotoGP-Ergebnis, Valencia (6.11.):

1. Rins, Suzuki, 27 Rdn in 41:22,250 min
2. Brad Binder, KTM, + 0,396 sec
3. Martin, Ducati, + 1,059
4. Quartararo, Yamaha, + 1,911
5. Oliveira, KTM, + 7,122
6. Mir, Suzuki, + 7,735
7. Marini, Ducati, + 8,524
8. Bastianini, Ducati, + 12,038
9. Bagnaia, Ducati, + 14,441
10. Morbidelli, Yamaha, + 14,676
11. Bezzecchi, Ducati, + 17,655
12. Raúl Fernández, KTM, + 24,870
13. Gardner, KTM, + 26,546
14. Nakagami, Honda, + 26,610
15. Di Giannantonio, Ducati, + 31,819
16. Crutchlow, Yamaha, + 1:28,870 min
17. Alex Márquez, Honda, + 1 Runde
– Miller, Ducati, + 5 Runden
– Zarco, Ducati, + 12 Runden
– Viñales, Aprilia, + 12 Runden
– Marc Márquez, Honda, + 18 Runden
– Pol Espargaró, Honda, + 23 Runden
– Darryn Binder, Yamaha, + 23 Runden
– Aleix Espargaró, Aprilia, + 24 Runden

MotoGP-WM-Endstand (nach 20 Rennen):

1.Bagnaia 265. 2. Quartararo 248 Punkte. 3. Bastianini 219. 4. Aleix Espargaró 212. 5. Miller 189. 6. Brad Binder 188. 7. Rins 173. 8. Zarco 166. 9. Martin 152. 10. Oliveira 149. 11. Viñales 122. 12. Marini 120. 13. Marc Márquez 113. 14. Bezzecchi 111. 15. Mir 87. 16. Pol Espargaró 56. 17. Alex Márquez 50. 18. Nakagami 48. 19. Morbidelli 42. 20. Di Giannantonio 24. 21. Dovizioso 15. 22. Raúl Fernández 14. 23. Remy Gardner 13. 24. Darryn Binder 12. 25. Crutchlow 10. 26. Bradl 2.

Konstrukteurs-WM:

1. Ducati 448 Punkte. 2. Yamaha 256. 3. Aprilia 248. 4. KTM 240. 5. Suzuki 199. 6. Honda 155.

Team-WM:

1. Ducati Lenovo Team 454 Punkte. 2. Red Bull KTM Factory 337. 3. Aprilia Racing 334. 4. Prima Pramac Racing 318. 5. Monster Energy Yamaha 290. 6. Suzuki Ecstar 260. 7. Gresini Racing 243. 8. Mooney VR46 Racing 231. 9. Repsol Honda 171. 10. LCR Honda 98. 11. WithU Yamaha RNF 37. 12. Tech3 KTM Factory 27.