Ein Hoffnungsschimmer bei der KTM AG

Die Freuden des Leidens

Kolumne von Justin Hynes
Private «Dakaristas» im Fahrerlager

Private «Dakaristas» im Fahrerlager

Justin Hynes über die Märchenstunde im Fahrerlager und den Vergleich zwischen Favorit Sainz und einem irischen Teilnehmer: Beide haben mit den Tücken der Strecke zu kämpfen.

Bei 600 Teilnehmern an der Rallye Dakar kommen schon eine ganze Menge an Geschichten zusammen, die im Fahrerlager erzählt werden wollen. Die Einwohner von Valparaiso informieren uns, dass der bösartige, böige Wind, der überall Staubteufel aufwirbelt, sich um halbsechs am Abend beruhigen wird. Bis dahin herrscht unter den Teilnehmern Märchenstunde.

In einer Ecke des Camps befindet sich das von Red Bull unterstützte VW-Team, das gerade die drei ersten Positionen im Feld besetzt. Das Camp selbst ist Motorsport auf seiner höchsten Entwicklungsstufe. Im wirbelnden Staub ist es schwer zu beurteilen, was genau den High-Edge-Charakter ausmacht, denn die einzigen Instrumente, die ich erkennen kann, sind ein Vorschlaghammer und eine abmontierte Dachhalterung. Doch im Verborgenen der Zelte spürt man die Gegenwart einer Multimillionen Dollar-Organisation. Keine Variable bleibt hier unbeachtet.

«Es ist einfach unglaublich, hier dabei zu sein. Jedes Jahr aufs Neue», staunt Carlos Sainz, «es ist verdammt schwer, sich ein Bild zu machen, von all den Vorbereitungen, die notwendig sind, um hier erfolgreich unterwegs zu sein. Tausende Stunden im Windkanal und am Dynamo und fünf Tage intensives Höhentraining in den Alpen.» Ganz zu schweigen von den 50 Tonnen Ersatzmaterial und der Lastwagenflotte, von denen jeder einzelne allein 22 Tonnen wiegt. Nichts wird hier dem Zufall überlassen.

Bei den meisten anderen Teams regiert eher die Einstellung «Trial-Error». Das gilt auch für das irische Team, das ich in einem Anflug von Vaterlandsstolz besuche. Einer von den beiden ist gerade auf der Suche nach Sandwiches und Souvenirs. Der andere, Philip Noone aus Dublin, sitzt vor dem kleinen Wohnwagen des Teams und drückt einen Beutel mit Eiswürfeln gegen die Knöchel seiner linken Hand, während der einzige Mechaniker weit und breit an Noones Maschine schraubt: «Hab ich mir geholt, als mir einer dieser vertrockneten Büsche gegen die Hand peitschte. Wenn dir das bei uns in Europa passiert, bricht der Zweig, hier brichst du dir eher die Hand daran, so zäh ist das Holz dieser Büsche und am Abend kannst du dir dann die Dornen mit einer Pinzette entfernen. Aber eigentlich war das die andere Hand. Auf die drücke ich Eis, weil sie sich beim Kuppeln so verkrampft hat.»

Noone ist zum ersten Mal auf der Dakar dabei, bezahlt sein Team aus eigener Tasche, 55.000 Euro am Tag. Aber wer zählt schon Scheine, wenn es um die Verwirklichung eines Traumes geht. «Seit ich ein kleiner BMXler in einer irischen Pfütze war, träumte ich davon, an der Dakar teilzunehmen. Dass sie mich nach Südamerika führen würde, hätte ich allerdings damals nicht gedacht. Ich musste es einfach tun!»

Auf meine Frage, wie sein Traum denn nun bisher verlaufen sei, sagt Noone: «Bisher war es ein freudvolles Leiden», und er wechselt den Eissack auf die andere Hand. «Aber es ist eine steile Lernkurve. Da musst du deinen Grips schon beisammen haben.» Auf die äußeren Bedingungen hat er sich nicht in den Alpen, sondern im Fitness-Center daheim vorbereitet. Um sich für die Wettbewerbsumstände einzustimmen, hat Noone gerade mal bei einer internationalen Enduro-Meisterschaft teilgenommen. «Aber, das bereitet dich natürlich nicht ausreichend auf die Qualen hier vor», gibt er lächelnd zu.

Zu diesen Qualen gehört eine Nacht knapp am Gefrierpunkt in der endlosen Weite der Wüste, in der Noone eine seiner Gangschaltungen auswechseln musste. Nach mühseliger, mit klammen Fingern verrichteter Montage, kam er gerade eine Düne weiter, bevor die Maschine wieder den Geist aufgab. «Ich war zu erschöpft, um verzweifelt zu sein, rollte mich auf meiner Thermofolie neben der Maschine ein und schlief dem Tageslicht entgegen. Als ich am Vormittag das Etappenziel erreichte, teilte man mir mit, dass ich zwar zu spät sei, aber mit dem nächsten Feld aufbrechen dürfe, da die vorhergehende Etappe wegen Sturm gestoppt werden musste. Ich hatte also das Glück eines Iren.»

So unterschiedlich können die eigenen Ansprüche der «Dakaristas» sein: Während Sainz sich gerade über die wiedererlangte Führung freut, möchte es Patrick Noone einfach nur bis über die Ziellinie schaffen. Noone: «Gestern hab ich Vollgas gegeben, um bei den Top 100 dabei zu sein. Weiter zurück sollte man keinesfalls fallen. Die ganze Kolonne an Begleitwagen und Fotografen-Jeeps zermördert die Fahrbahn, es staubt kilometerhoch in den Himmel und es bleiben Fahrrinnen, in denen ich meine Maschine parken könnte. Das kannst du nur vermeiden, in dem du einigermaßen vorne dabei bleibst.»

Trotz der Diskrepanz an Zielsetzungen bleibt die Rallye Dakar sowohl für den Vollblut-Amateur Noone, als auch für Profipilot Sainz eines: Die größte Herausforderung im Motorsport. Der eine, technologisch hochgerüstet, auf der Jagd nach seinem ersten Dakar-Sieg, der andere zäh am Lenker seiner halbkaputten Maschine und an einem Kindheitstraum klebend. Noone: «Trotz allem: Ich würde auf der Stelle noch mal starten.»
 
Anmerkung der Redaktion: Die Kolumne von Justin Hynes ist zeitlos, auch wenn sie die Wirklichkeit überholt hat: Weder Sainz noch Noone sind noch im Rennen.

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