Suzuki-Ausstieg: Eine wechselhafte GP-Geschichte
Die Suzuki Motor Corporation zog sich per Saisonende 2022 aus der MotoGP-WM zurück. Wenn wir einen Blick auf das Suzuki-Engagement in der 500-ccm-Weltmeisterschaft und in der MotoGP-Viertakt-Ära (sie begann 2002) werfen, dann ergibt sich das Bild von wechselhaften und wankelmütigen Aktivitäten des drittgrößten japanischen Motorrad-Herstellers.
Der erste von 97 GP-Siegen in der Königsklasse gelang jedenfalls dem Australier Jack Findlay 1971 beim Ulster-GP. Er gewann dort vor seinem niederländischen Markenkollegen Rob Bron. Hinter diesem Duo trafen damals Motorräder wie Seeley, Norton und Husqvarna ein. Es bahnte sich der Beginn der Zweitakt-Siegesserie auch in der 500er WM an, nachdem die Zweitakter in den Klassen 50, 125 und 250 ccm längst das Kommando übernommen hatten. In der 350-ccm-Klasse leistete das legendäre MV Agusta-Werk mit dem famosen Giacomo Agostini auf den ruhmreichen Viertakten aus Gallarate noch heftigen Widerstand.
Ein echter Werkseinsatz war das Engagement von Jack Findlay beileibe nicht, aber er galt als Wegbereiter für spätere 500-ccm-Erfolge, genauso wie der Neuseeländer Keith Turner und Rob Bron, die die 500er-WM 1981 hinter «Ago nazionale» auf den WM-Rängen 2 und 3 beendete; Findlay wurde WM-Fünfter.
1972 landete in der 500er-WM keine Suzuki in den Top-Ten, Findlay steuerte eine Jada auf den achten Rang. 1973 rückte er mit seiner «Suzie» wieder auf den fünften WM-Rang vor, inzwischen sorgten auch die Yamaha-Privatfahrer mit den aufgebohrten TZ 350-Zweizylinder-Maschinen für mächtige Erfolge, dazu eroberte Kim Newcombe mit dem deutschen Königs-500-Bootsmotor den zweiten WM-Rang hinter Agostini und MV. Findlay triumphierte 1973 auf der Suzuki bei der Tourist Trophy auf der Insel Man, wo MV Agusta wegen des gefährlichen Straßenkurs nicht mehr antrat und auch etliche andere GP-Stars fehlten – zum Beispiel das Yamaha-500-Werksteam mit den Vierzylinder-Piloten Jarno Saarinen und Teuvo «Tepi» Länsivuori.
1973 bildeten Saarinen und Hideo Kanaya das Yamaha-Werksteam. Jarno siegte in Le Castellet und auf dem Salzburgring, verunglückte aber beim Monza-GP im 250-ccm-Rennen am 20. Mai tödlich.
1974 beteiligte sich Suzuki erstmals mit der neuen 500-ccm-Vierzylinder mit dem Square-Four-Triebwerk (die Zylinder waren quadratisch angeordnet) an der Halbliter-WM. Der aufstrebende Barry Sheene galt als neues Aushängeschild. Haudegen Findlay bekam ebenfalls eine neue Square Four, quasi als Belohnung für seine Verdienste mit dem meist unterlegenen 500-ccm-Twin. Findlay gewann mit 42 Jahren 1977 noch den Salzburgring-GP, als die Werksfahrer alle streikten.
Die Zweitakt-Four erwies sich jedoch als ungeheuer anfällig, Findlay und Sheene brachten sie in der WM 1974 auf die Ränge 5 und 6.
Doch gegen die Werksfahrer von MV Agusta (Read und Bonera) sowie Yamaha (Agostini und Länsivuori) schaute kein einziger Podestplatz heraus. Aber mit vier vierten Plätze (3x Findlay, 1x Sheene) ließ Suzuki bereits aufhorchen.
1975 steuerten Neuzugang Länsivuori, Sheene und Newbold ihre Suzuki auf den WM-Ränge 4, 6 und 9.
Suzuki: 1976 Durchbruch mit Sheene
Inzwischen betrieb Suzuki längst ein richtiges Werksteam, aber der echte Durchbruch kam 1976 mit Barry Sheene, der im britischen Suzuki-Team mit Sponsor Heron die WM mit 72 Punkten vor Länsivuori (48 Punkte) überlegen gewann. Mit Hennen, Lucchinelli, Newbold und Coulon landete weitere Suzuki-Asse auf den Rängen 2 bis 6. Dann folgte Ago als WM-Siebter; er bestritt mit der MV Agusta nur drei Rennen, sonst setzte er eine private Zweitakt-Suzuki ein. Ago gelang aber beim Nürburgring-GP 1976 mit der MV der letzte GP-Triumph der legendären italienischen Marke.
1977 setzten sich Sheene und Suzuki neuerlich gegen Yamaha (jetzt mit Cecotto und Baker) durch, Hennen und Parrish steuerten zwei weitere Heron-Suzuki-Werksmaschinen in der WM auf die Positionen 3 und 5.
Nach dieser Suzuki-Siegesserie rüstete Erzrivale Yamaha für 1978 gewaltig auf. Fünf Werksfahrer wurden eingesetzt, aus Amerika wurde der neue Superstar Kenny Roberts nach Europa geholt. Die Yamaha-Werksmaschinen wurden den Landesimporteuren überlassen. King Kenny trat in Gelb/Schwarz für Yamaha USA an, als einziger Fahrer mit Goodyear-Reifen; Yamaha France trat mit Patrick Pons und Christian Sarron auf den blauen Gauloises-Maschinen an, Johnny Cecotto für Venemotos, der Japaner Takazumi Katayama für die Europa-Niederlassung Yamaha Motor Europe N.V. in Amsterdam, Sponsor war Saromé, ein belgischer Feuerzeughersteller.
Sheene war enttäuscht, weil Suzuki dem Wettrüsten von Yamaha nichts entgegensetzte. Yamaha tauschte damals innerhalb kürzester Zeit den Reihenvierzylinder gegen die Square-Four-Version und dann 1981 gegen den V4-Motor, um Roberts das beste Paket zu liefern.
Suzuki blieb dem Square-Four-Konzept ewig treu. Das 1979-Modell hieß intern XR22. Inzwischen verkauften sich die RG-500-Production-Racer wie die warmen Semmeln an die Privatfahrer in aller Welt, auch für die nationalen Meisterschaften.
Suzuki verlor die 500er-WM 1978, 1979 und 1980 dreimal gegen Yamaha und Roberts; auch die neuen Suzuki-Kräfte wie Mamola, Lucchinelli, Uncini und Graziano Rossi konnten das nicht verhindern.
Suzuki nach 1979: Sheene hatte die Nase voll
Barry Sheene warf beim Suzuki-Werksteam nach der Saison 1979 enttäuscht den Krempel hin. Er gründete mit Sponsor Akai ein Privatteam und setzte einen TZ-500-Production Racer von Yamaha ein; so bildete er die Voraussetzung für seine überraschende Aufnahme ins Yamaha-Werksteam als Teamkollege von Roberts 1981.
Erst 1981 schlug Suzuki in der 500er-WM mit Marco Lucchinelli im privaten Life-Helmets-Team wieder zu. Danach gewann Franco Uncini bei Gallina-Suzuki 1982, während Yamaha mit den neuen V4-Motoren und den Magnesium-Gehäusen etliche Ausfälle produzierte. Ein Werksteam existierte bei Suzuki in all diesen Jahren nicht mehr.
Danach begann die Zweitakt-Ära von Honda. Freddie Spencer führte die 500-ccm-Dreizylinder 1983 und 1985 zum WM-Triumph, 1984 siegte Eddie Lawson auf Yamaha – wie auch 1986 und 1988, danach 1989 auf der Rothmans-Honda, auf der auch Wayne Gardner 1987 Weltmeister wurde. Mick Doohan räumte gleich fünf Titel in Serie für Honda ab – von 1994 bis 1998, dann siegte Alex Crivillé 1999.
Suzuki bereitete unterdessen ein Comeback mit einer neuen 500-ccm-Zweitakt-V4-Maschine vor. Kevin Schwantz aus Texas war der neue Hoffnungsträger. Mit dem 8. Platz 1987 in Monza und Rang 9 in Le Mans gab es die ersten Lichtblicke, während in der WM Honda und Yamaha die Top-Ten-Plätze unter sich ausmachten.
Schwantz mauserte sich bald durch seine beherzte Fahrweise zum Publikumsliebling. Doch der überragende neue Yamaha-Star Wayne Rainey verhinderte durch seine Erfolge und drei Titel in Serie 1990, 1991 und 1992 den Durchbruch von «Revin’ Kevin».
Erst als sich Rainey in Misano 1993 schwer verletzte und seine Karriere nach einer Querschnittslähmung beenden musste, gewann Suzuki elf Jahre nach Uncini wieder eine 500er-WM.
Kenny Roberts Junior wiederholte den Erfolg im Jahr 2000. Doch 2002 begann die neue MotoGP-Viertakt-Ära. Suzuki entschied sich wieder für ein V4-Konzept, obwohl bei ihren Superbikes der Reihenmotor große Erfolge feierte. Die Japaner brachten das neue MotoGP-Bike 2002 mit dem Codenamen XREO auf die Rennstrecke. Es dauerte jedoch bis 2007, ehe Chris Vermeulen im Regen von Le Mans den ersten MotoGP-Sieg mit der Suzuki GSV-R sicherstellte.
Suzuki pausierte dann 2012, 2013 und 2014 und kehrte 2015 mit der neuen Reihenmotor-GSX-RR in die MotoGP-WM zurück.
Seither haben Maverick Viñales (2016 in Silverstone), Alex Rins (2019 in Texas und Silverstone, 2020 in Aragón, 2022 auf Phillip Island und in Valencia) sowie Joan Mir (Valencia 2020) für die restlichen der insgesamt acht MotoGP-Siege von Suzuki gesorgt.
Bis auf Weiteres spielt der Rennsport in der Strategie des Herstellers aus Hamamatsu nun keine Rolle mehr, auch das werkseitige EWC-Engagement wurde beendet.
Ein Blick auf die GP-Geschichte von Suzuki zeigt: Bei den WM-Aktivitäten wurden immer wieder schöpferische Pausen eingelegt.
Diese Pausen vertrieben oft die besten Ingenieure, der Wankelmut hielt namhafte Sponsoren fern, dem ganzen Auftritt fehlte irgendwie der internationale Glanz, den Fahrern das Charisma.
Warum trotzdem im November 2021 bei der Dorna ein neuer Fünf-Jahres-Vertrag unterschrieben worden war, weiß der Kuckuck.
Aber es passt irgendwie zum langjährigen Hin und Her des Suzuki-Managements, dem auch in der Superbike- und Motocross-WM nur der Rückzug (nach 2010 und nach 2017) einfiel.
Die Suzuki-Weltmeister in der Motorrad-WM:
Joan Mir (MotoGP: 2020)
Kenny Roberts Jr. (500 ccm: 2000)
Kevin Schwantz (500 ccm: 1993)
Franco Uncini (500 ccm: 1982)
Marco Lucchinelli (500 ccm: 1981)
Barry Sheene (500 ccm: 1976, 1977)
Dieter Braun (125 ccm: 1970)
Hans-Georg Anscheidt (50 ccm: 1966, 1967, 1968)
Hugh Anderson (125 ccm: 1963, 1965; 50 ccm: 1963, 1964)
Ernst Degner (50 ccm: 1962).
Anzahl GP-Siege von Suzuki: 162
50ccm: 30
125ccm: 35
500ccm/MotoGP: 97
Anzahl Podestplätze von Suzuki: 502
50ccm: 84
125ccm: 93
250ccm: 7
500ccm/MotoGP: 318
Suzuki-Fahrer mit den meisten Siegen:
1. Kevin Schwantz: 25 (25x 500ccm)
1. Hugh Anderson: 25 (17x 125ccm, 8x 50ccm)
3. Barry Sheene: 21 (18x 500ccm, 3x 125ccm)
4. Ernst Degner: 10 (3x 125ccm, 7x 50ccm)
5. Kenny Roberts Jr: 8 (8x 500ccm)
Suzuki-Fahrer mit den meisten Podestplätzen:
1. Kevin Schwantz: 51 (51x 500 ccm)
2. Hugh Anderson: 47 (25x 125 ccm, 22x 50 ccm)
3. Barry Sheene: 41 (31x 500 ccm, 10x 125 ccm)
4. Ernst Degner: 23 (8x 125 ccm, 15x 50 ccm)
5. Randy Mamola: 21 (21x 500 ccm)
6. Kenny Roberts Jr: 20 (20x 500 ccm/MotoGP)
7. Hans-Georg Anscheidt: 18 (4x 125 ccm, 14x 50 ccm)
8. Marco Lucchinelli: 17 (17x 500 ccm)
8. Alex Rins: 17 (17x MotoGP)
10. Joan Mir: 13 (13x MotoGP)
Meilensteine von Suzuki:
Erster Podestplatz: Ernst Degner 1962, 50ccm, Isle of Man
100. Podestplatz: Hugh Anderson 1965, 125ccm, Finnland
200. Podestplatz: Teuvo Länsivuori 1975, 500ccm, Deutschland
300. Podestplatz: Marco Lucchinelli 1980m 500ccm, Spanien
400. Podestplatz: Kevin Schwantz 1993, 500ccm, Spanien
500. Podestplatz: Alex Rins 2022, MotoGP, Amerika