Motegi: Im Land des Lächelns
Valentino Rossi in Motegi: Die Japaner lieben ihn
Dieses Jahr stand der Grand Prix von Japan auf dem in Honda-Besitz stehenden Twin Ring in Motegi unter keinem guten Stern. Die geplante Austragung im Frühjahr war dem Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull in Island zum Opfer gefallen. Teams und Material hätten unmöglich rechtzeitig ins Land der aufgehenden Sonne geflogen werden können. Die Absage war wegen des Flugverbots unumgänglich.
Die Verschiebung auf das erste Wochenende im Oktober war unglücklich, weil nur eine Woche danach die Formel 1 in Suzuka ihren Auftritt hat. Die von der globalen Wirtschaftskrise stark gebeutelte, motorsportbegeisterte Bevölkerung kann es sich kaum leisten, gleich an zwei Wochenenden hintereinander teure Tickets zu kaufen. Resultat: Am Rennsonntag bestaunten in Motegi nur 40'113 Japanerinnen und Japaner das finale Duell zwischen den beiden Yamaha-Stars Valentino Rossi und Jorge Lorenzo.
Bereits die Anreise an die Rennstrecke hat es für Europäer in sich. Vom Flughafen Tokyo Narita aus ist – nach zwölf Stunden Flugzeit, Zeitdifferenz sieben Stunden – ein Labyrinth aus rund 150 km Haupt-, Land- und Autostrassen im Linksverkehr zu bewältigen. Die Navigationsgeräte sind konsequent nur mit japanischen Schriftzeichen und Tastaturen versehen. Es bleibt nicht anderes übrig, als dem immer lächelnden und tausend Bücklinge machenden Angestellten der Autovermietung zu vertrauen, dass er das Ding richtig programmiert hat. Wer unterwegs selber am Gerät herumfingert, begeht geographischen Selbstmord und wird frühestens bei der Siegerehrung an der Rennstrecke eintreffen.
Motegi liegt im Landesinnern, in einer hügeligen Landschaft, wo man eher ein Heer von bis an die Zähne bewaffneten Samurai erwartet als eine Rennstrecke internationalen Formats. Doch plötzlich taucht hinter einem verschlafenen Kaff ein mit «Twin Ring Motegi» beschriftetes Tor auf. Nicht mit Samurai-Schwertern, sondern mit weissen Handschuhen und weissen Overalls bewaffnete, lächelnde Rentner weisen uns ins VIP-Parking ein.
Vor dem Fahrerlager warten wie jedes Jahr ab Freitagmorgen morgen acht Uhr Dutzende, später Hunderte von lächelnden Rossi-Fans auf ihren Liebling, stundenlang, an ihrer Hand oft Kinder ab drei Jahren in perfekt gemachten Rossi-Lederkombis (inklusive Knieschleifern). Tauchen Lorenzo, Stoner oder Capirossi auf, werden auch sie höflichst um Autogramme gebeten. Aber nur wenn sich der Grande Maestro blicken lässt, wird geschrien und gedrückt und werden tausend Bücklinge gemacht.
Ob im Paddock, auf den Zuschauerrängen oder den Zufahrtsstrassen: herumliegenden Müll gibt es nicht. Die Sauberkeit der japanischen Bevölkerung ist auch in Motegi sprichwörtlich. Die einzige Schweinerei hinterlassen jedes Jahr wir, die aus aller Welt angereisten Journalisten nach getaner Arbeit im Presseraum.
Ein befreundeter japanischer Kollege fährt uns in der Nacht nach den Rennen ins Hotel. Unterwegs entdecke ich an einer Tankstelle das offizielle Plakat für den Motegi-GP. Darauf wird mit Hiroshi Aoyama und dem tödlich verunglückten Shoya Tomizawa Werbung gemacht. Ist das nicht etwas makaber, in einem Land, das im letzten Jahrzehnt bereits Daijiro Kato und Norifumi Abe verloren hat? Hätte man nicht neue Plakate drucken müssen? «Nein, das ist eine Ehre für ihn und seine Familie», sagt mein Freund lächelnd.
Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: «Weisst du übrigens, dass Norick Abe vielleicht noch leben würde, wenn er seinen Strassenunfall in Tokyo nicht am Sonntagabend, sondern am Montag gehabt hätte? Als er ins Spital eingeliefert wurde, war er bei Bewusstsein und klagte über sehr starke Schmerzen im Oberkörper. Zwei Stunden später war er tot. Er hätte sofort operiert werden müssen, dann hätte er eine Chance gehabt. Doch am Wochenende machen fast alle Ärzte in Tokyo Ferien. Das ist so Tradition.»