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Las Termas: Warum der Start wirklich verzögert wurde

Kolumne von Günther Wiesinger
Nach dem Startabbruch vor dem MotoGP-Rennen in Las Termas wurde von Chaos und Durcheinander gesprochen. Aber ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Lösungen.

Wenn 23 von 24 der weltbesten Fahrer und die ganzen Teams vor einem MotoGP-Rennen die fasche Reifenwahl treffen, handelt es sich um ein außergewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis.

Deshalb war die Kritik der deutschen Eurosport-TV-Reporter an der Dorna am Sonntag vor dem Rennen auf dem Autódromo Termas de Río Hondo fehl am Platz.

Erstens war die Dorna als kommerzieller Rechte-Inhaber die völlig falsche Adresse. Zweitens ging es nicht um die Frage, ob es ein «wet race» oder ein «dry race» sei, es war ja längst als «flag to flag»-Race gekennzeichnet. Wollten die Eurosportler mit ihren fehlgeleiteten Querschüssen nur ihre eigene Ahnungslosigkeit verbergen?

Harry Weber wunderte sich um 20.08 Uhr immer noch, ob der Grand Prix als «wet race» oder «dry race» deklariert werden würde. Aber das war nicht im Geringsten von Belang.

Auf den TV-Schirmen stand längst deutlich und dauernd zu lesen: «race start delayed due to safety conditions».

Es ging der umsichtigen Race Direction einfach darum, einen sicheren Ausweg aus dieser ungewöhnlichen Situation zu finden, als plötzlich nur noch Jack Miller auf seinem Startplatz stand und alle anderen Bikes in die Boxengasse verfrachtet wurden, um sie hastig von Regenreifen auf Slicks umzurüsten.

Üblicherweise hätten also 23 Fahrer aus der Boxengasse lospreschen müssen. Eine gefährliche Lösung, weil dort gedrängelt wird, weil dort das Recht des Stärkeren gilt, weil dort die 280-PS-Raketen nur mit fünf Zentimeter Abstand nebeneinander gestaffelt gewesen wären.

In den ersten Kurven hätte ein Gedränge geherrscht wie beim Motocross mit Massenstart.

Während die Eurosport-TV-Zuschauer von den überforderten Kommentatoren allein gelassen wurden, verstanden die meisten TV-Reporter der ausländischen Sender die Situation im Nu und blieben sachlich.

Weber sprach von einem «va banque»-Spiel, das die Dorna da mache.

Das Gegenteil war richtig.

23 Fahrer aus den Boxengasse losknallen zu lassen, das wäre Harakiri gewesen.

Ungewöhnliche Ereignisse erfordern ungewöhnliche Lösungen. Als 2013 in Phillip Island und 2016 in Las Termas die Hinterreifen die Renndistanz nicht durchhielten, wurde ein Kompromiss gesucht. Es gab jeweils ein «flag-top-flag»-Race, obwohl die bei trockener Witterung eigentlich nicht vorgesehen sind. Ein Sieg der Vernunft.

Ein 10-Runden-Sprintrennen wäre nur die zweitbeste Lösung gewesen.

Während die Beteiligten am Sonntag emsig eine Lösung suchten, wurde bei Eurosport dauernd gegen die Dorna gewettert. Aber diese hat nicht einmal ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Stewards. Die Sporthoheit liegt immer noch in den Händen des Weltverbands FIM, auch wenn die Teamvereinigung IRTA in solchen Fällen mit Personal hilft, das sowieso vor Ort ist. Und natürlich wird die Dorna informiert, weil sie für die TV-Übertragung verantwortlich ist und die Sender weltweit auf dem Laufenden halten muss, damit sie ihr weiteres Programm umbauen und gestalten können.

Eurosport: Halbwahrheiten und Unwahrheiten

Stefan Nebel erinnerte sich grob an ein ähnliches Vorkommnis auf dem Sachsenring. Das Jahr fiel ihm nicht ein, er ersuchte die Zuseher um Hilfe.

Es war 2014 auf dem Sachsenring. Nebel sagte dann, damals sei Stefan Bradl allein auf dem Startplatz gestanden, ebenfalls mit Slicks.

Das entsprach leider nicht der Wahrheit.

Das LCR-Honda-Team hatte Bradl damals mit dem Regen-Set-up auf den Startplatz dirigiert, weil man wusste, dass die Zeit für den Umbau auf ein Trocken-Set-up und den Tausch auf Slicks knapp reichen würde. Es ging aber beim Umbau des Federbeins eine Schraube verloren, deshalb konnte die Gabel nicht mehr rechtzeitig auf das Trocken-Set-up umgebaut werden. Bradl führte und wurde nach sechs Runden von Márquez und Pedrosa überholt, weil die nun zu weich (für Regen) abgestimmte Gabel beim Bremsen dauernd durchschlug.

Bradl stand im Gegensatz zu Miller in Argentinien beim deutschen WM-Lauf 2014 auch nicht allein auf dem Startplatz.

Hinter ihm parkten noch Petrucci, Michael Laverty, Aoyama, Abraham und Edwards.

Da es 2014 nur 22 Stammfahrer gab, jetzt aber 24, brausten damals bei reiner Anarchie 16 Fahrer wie eine wilde Horde aus der Boxengasse weg, in Las Termas wären es 23 (!) Piloten gewesen.

Deshalb unterhielt sich die Race Direction in Las Termas mit den Teammanagern und Fahrern, um eine sinnvollere und weniger gefährliche Lösung zu finden.

Klar, im gelben FIM-Regelbuch mag so eine Variante nicht vorgesehen sein.

Aber mir ist so eine Lösung mit Hausverstand zehnmal lieber als die alte Vorgehensweise zu Zeiten der absoluten FIM-Herrschaft, als ahnungslose, ehrenamtliche Komödianten über die Köpfe der Fahrer hinweg entschieden und ständig Todesfälle in Kauf nahmen.

So wurde zum Beispiel in Spa-Francorchamps 1979 dreimal neu gestartet, obwohl nur zwei Re-Stars erlaubt waren und die Fahrer die Verhältnisse wegen der tiefen Pfützen als zu prekär einstuften.

Bei Eurosport redete man sich am Sonntag richtig in Rage, für eine angemessene Besonnenheit reichte es deshalb nicht mehr.

Harry Weber ratlos: «Jetzt werden in der Boxengasse die Reifen ausgebaut.» Bitte zeichnen! Normal werden die Räder ausgebaut.

Das Interview mit KTM-Teammanager Mike Leitner brachte dann den Beweis, dass gemeinsam eine vernünftige Lösung des Dilemmas gesucht und gefunden worden war.

Dass dies nicht in 30 Sekunden ging, erschien klar. Man musste ja auch Jack Millers geschickten Schachzug honorieren und ihm einen ähnlichen Vorsprung garantieren, als wenn die Gegner aus der Boxengasse losgestürmt wären.

Dann musste unter riesigem Zeitdruck weiter hinten ein neuer Grid (minus Miller) erstellt werden. Das dabei nicht jede Startnummer gleich am richtigen Fleck stand, ist verständlich.

Noch etwas: Ist den Eurosport-Leuten schon einmal aufgefallen, dass Alex Hofmann als professioneller deutscher MotoGP-Berichterstatter im Paddock oft das gelbe FIM-Regelbuch hinten in der Gesäßtasche mitträgt?

Habt ihr dieses informative Büchlein mit dem Titel «FIM World Championship Grand Prix Regulations» schon einmal durchgeblättert?

Dann wäre klar geworden: Als bei Marc Márquez der Motor abstarb, hätte die ganze Startprozedur abgebrochen und eine zusätzliche Warm-up-lap- gefahren werden können. Auf jeden Fall hätte der Repsol-Honda-Pilot für den Start in die Boxengasse verfrachtet werden müssen. Beim Signal «start dealyed» hätte das Rennen um eine weitere Runde gekürzt werden müssen.

Übrigens: FIM-Präsident Vito Ippolito hat gestern von seiner Rechtsabteilung prüfen lassen, ob man Márquez für Argentinien weiter bestrafen könne. Die Antwort fiel negativ aus.

Aber die Race Direction wird ihm vor dem Texas-GP in Austin die Leviten lesen.

Als Marc Márquez mit seinem umfangreichen Moto2-Sündenregister 2013 in die MotoGP-WM kam, erklärte Dorna-Chef Carmelo Ezpeleta: «Wenn er sündigt, bekommt er eine Strafe. Bei weiteren Vergehen noch eine Strafe und noch eine Strafe...»

Wo bleibt die Zivilcourage?

Das MotoGP-Rennen ließ nachher am Sonntag an Spannung und Abwechslung nichts zu wünschen übrig.

Vorübergehend und ausnahmsweise offenbarte sogar Stefan Nebel eine eigene Meinung. Er bezeichnete Marc Márquez nach dem Vorfall mit Rossi als «gaga».

20 Sekunden später berichtigte er sich. «Haken wir den Vorfall mit Marc jetzt ab. Wir reden uns sonst um Kopf und Kragen und werden keinen Job mehr haben», fürchtete er.

Das heißt: Aus lauter Angst um den Arbeitsplatz wurde jede Meinungsäußerung unterdrückt.

Ja, Zivilcourage ist nicht jedermanns Sache.

Wenn sich die «gaga»-Aussage herum spricht, wird es mit den angeblichen Vieraugengesprächen inmitten der Lkw hinter der Box zwischen Nebel und Márquez sowieso vorbei sein.

Mir fallen zu Marc Márquez sehr viele Vokabel ein, aber als «gaga» würde ich ihn nicht bezeichnen und auch keinen anderen Rennfahrer. Auch nicht unter Zeitdruck, weil sich dieser Begriff nicht in meinem Wortschatz befindet.

Mir ist auch rätselhaft, warum man bei Eurosport dauernd Worte wie «drizzle», «clinch», «battle», «range» und so weiter hört, als existierten keine deutschen Worte dafür. Und warum muss man die Moto2 dauernd «Moto Two» nennen? Wetten, die Italiener sagen «Moto due» und pfeifen auf die englische Aussprache?

Nennt die Formel 1 jemals auf einem deutschen Sender jemand «Formula One»?

Aber bei Eurosport wird sogar der Vorname des Spaniers Isaac Viñales und das deutsche Intact-Team Englisch ausgesprochen.

Harry Weber bezeichnet dafür die «Sighting lap» auch im dritten Jahr noch als Aufwärmrunde. Es handelt sich dabei jedoch um die Besichtigungsrunde. Die Aufwärmrunde wird auf Englisch überraschenderweise Warm-up lap genannt.

Dafür würde ich auf das Wort «Gegenkonter» verzichten. Da handelt es sich nämlich um einen Pleonasmus, um eine überflüssige Häufung sinngleicher Ausdrücke. Darunter fällt auch Hinterradreifen (statt Hinterreifen) und Fußpedal.

Und plötzlich erfährt man exklusiv bei Eurosport: Jack Miller ist der Stiefvater von Cal Crutchlows Tochter Willow. Wie soll das gehen?

Ein Experte wie Nebel sollte zudem wissen, dass Moto2-Sieger Mattia Pasini nicht Mitglied der VR46 Riders Academy ist. Dort werden keine 32-jährigen Haudegen ausgebildet.

Ich halte es zudem für unappetitlich, nicht nur beim Abendessen, wenn ich widerliche Details über den vor Aufregung transpirierenden Harry Weber höre: «Mir rinnt der Schweiß bis in die Kniekehlen.»

Dann erklärte Boxengasse-Reporter Jan Stecker: «Das Dynavolt Intact GP-Team hat heute mit den Rängen 2 und 10 die Teamwertung gewonnen.»

Aber in der Moto2-WM existiert leider keine.

Vorher wurde berichtet: «Sobald die Ampel auf Rot geht, geht’s los.»

Merke: Wer bei Rot losfährt, wird in der Motorrad-WM auf keinen grünen Zweig kommen. Und wer beim Fahren im roten Bereich dreht, bekommt am grünen Tisch innerhalb von 40 Minuten drei Strafen.

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