Tod eines Kämpfers: 1985 starb Manfred Winkelhock
Unzählige Geschichten und Anekdoten ranken sich um den begnadeten Racer aus Waiblingen. Was er den Fans zwischen 1976 und 1985 auf oder neben der Piste geboten hat, gehörte mit zum Besten, was es in dieser Zeit zu sehen gab. Am 11. August vor 40 Jahren verunglückte Manfred beim Sportwagen-WM-Lauf in Mosport/Kanada schwer und starb einen Tag später. Er wurde nur 33 Jahre alt.
Als Stefan Bellof nach zwei wilden Formel-Ford-Jahren 1981 die internationale Rennsport-Bühne als infernalisch schneller Formel-3-Pilot betrat, galt Manfred Winkelhock schon längst als etablierter Formel 2-Kämpfer und stand gerade vor seiner ersten Formel 1-Saison bei ATS.
Dass sich beide zwei beziehungsweise drei Jahre später als direkte Konkurrenten im Sportwagen und als deutsche Speerspitze in der Formel 1 treffen würden, war um diese Zeit noch nicht absehbar, aber Manfred hatte es schon in Bellofs wildem Formel 3-Jahr 1981 irgendwie geahnt.
Irgendwann zog er mich zur Seite und wollte alles über Stefan wissen.
Ich habe Manfred damals gesagt, dass mit Stefan wohl gerade sein künftiger Hauptkonkurrent heranwächst. Dass es dann auch so kam, hat dem Rennsport gut getan. Aber dass beide dann innerhalb von drei Wochen 1985 im Sportwagen ihr Leben lassen mussten, gehörte zu den schlimmsten Ereignissen der deutschen Motorsport-Geschichte.
In den Jahren nach Manfreds Debüt im VW-Scirocco-Cup 1976 (hier unterlag er nur knapp Willi Bergmeister) erfreute er das Publikum mit grandiosen Auftritten als BMW-Junior in der Deutschen Rennsport-Meisterschaft (DRM) und danach der Formel 2-EM. Wenn er den BMW 320 oder auch später den fauchenden Ford Turbo-Capri halb fliegend, halb fahrend, manchmal nur mit einem Rad am Boden um die Nordschleife jagte, blieb den Zuschauern vor Schreck schon mal die Luft weg.
Ring-Besucher werden sich auch noch an jenen Sonntag Anfang April 1980 erinnern, als er im Formel 2-March ausgerechnet am Streckenteil Flugplatz zu einer furchterregenden Luftreise ansetzte und diese mit einer Serie stattlicher Überschläge abschloss. Ein Moment, der alle vor Ort oder später am Bildschirm auf den ersten Blick das Schlimmste befürchteten ließ.
Wundersamerweise krabbelte Manfred unverletzt aus dem völlig zertrümmerten Auto.
Der Name Winkelhock stand von Anfang an für Mut, Action, Kampf und beste Unterhaltung. Er war stets ein überzeugter Vollgas-Extremist, seine leicht nach vorne gebeugte Kopfhaltung im Cockpit signalisierte stetige Kampfbereitschaft. Noch heute erzählen treue Winkelhock-Fans die unglaublichsten Geschichten über ihren «Bibi» (so nannten ihn seine Freunde) und dessen Umtriebe auf und neben der Rennpiste.
Und wenn spätere Fahrer-Generationen etwa vor einem Regenrennen aufgeregt diskutierten, ob man nun starten solle oder besser nicht, merkte der eine oder andere ältere Beobachter der Szene schon mal fast wehmütig an: «Der Manfred Winkelhock würde jetzt sagen, ihr Hosenscheißer, setzt euch ins Auto, kneift die Arschbacken zusammen und gebt gefälligst Gas.»
Näher kennengelernt haben Manfred und ich uns gleich in seiner ersten Rennsaison im VW Scirocco Junior Cup 1976. Dafür verantwortlich war die Verbindung zu meinem alten Freund und Rennsport-Fotografen Hans-Peter Seufert, dessen älteste Tochter Martina mit Manfred liiert war. Damals war ich öfter mal bei den Seuferts in Waiblingen zu Gast, um Fotos auszusuchen oder einfach nur mal im Vorbeifahren Hallo zu sagen.
Jahre später haben Martina und Manfred geheiratet. Mit Markus und danach mit Marina bescherten sie sich den ersehnten Nachwuchs und den Seuferts die beiden ersten Enkelkinder. Und dann war da noch unser direkter Kontakt als Gegner auf der Rennpiste. Gleich zweimal hatte ich das Vergnügen, gegen Manfred anzutreten, beide Male in Hockenheim, einmal großer, einmal kleiner Kurs.
Beim Super Cup der Deutschen Champions und Vize-Meister im Oktober 1976 in Hockenheim gings mit identischen Alfa Sud TI auf Spitz und Knopf, erst in der letzten Runde entriss er mir mit einer grandiosen Schlussattacke den schon sicher geglaubten Sieg. Damit revanchierte er sich bei mir für eine Niederlage im Scirocco-Cup gut drei Monate zuvor an gleicher Stelle.
Nie werde ich vergessen, wie dieser Marken-Cup-Fuchs mir im Alfasud-Cup geholfen hat, Gegner zu verunsichern oder vom Leib zu halten. Als es für mich und meinem Teamkollegen im Titelkampf eng wurde und ich Manfred fragte, ob er in einem dritten Alfa unseres «Fox Racing Teams» ein bisschen Unruhe stiften könne, sagte er ohne Zögern zu. Auf die ergänzende Frage, was er an Gage haben möchte, war er fast beleidigt. Er wollte nur eines – Raufen und Spaß haben.
So startete er tatsächlich bei den letzten vier Punktrennen in einem dritten Alfa und räumte mit unserer Gegnerschaft ordentlich auf. Und zwar derart gründlich, dass es sogar beim Flugplatzrennen Ulm-Laupheim zum Eklat kam. Unbeabsichtigt hatte er dort bei einem monumentalen Dreher ausgerechnet unseren größten Titel-Konkurrenten getroffen.
Dabei hatten wir Manfred ausdrücklich gebeten, den Hauptgegner nur zu beschäftigen, aber keinesfalls zu eliminieren. Weil aber genau das passiert war, gab es danach richtig viel Ärger seitens der Cup-Leitung.
Uns wurde Vorsatz unterstellte und Konsequenzen angedroht. Die Retourkutsche kam prompt. Als «Wiedergutmachung» wurden beim Finallauf alle drei Fox-Alfa wegen lächerlicher Kleinigkeiten disqualifiziert, und der in Ulm aus dem Rennen beförderte Konkurrent konnte doch noch seinen verloren geglaubten Titelgewinn feiern. Kommentar Winkelhock dazu: «So kann man’s auch machen …»
Die vielleicht schönste Zeit mit Manfred habe ich als Journalist oder am Strecken-Mikrofon in der Rennsport-Meisterschaft erlebt. Es hat wahnsinnig viel Spaß gemacht, die wilden Ritte im BMW-Junior-Team mit dem 320er, die hart erkämpften Siege im Turbo-BMW, im Porsche 935 oder im Super Capri-Turbo zu kommentieren.
Mit all diesen Autos konnte er sich so richtig austoben, sein großes Kämpferherz muss um diese Zeit wahre Freudensprünge gemacht haben. Eher freudlos waren dagegen seine Formel 1-Jahre bei ATS, Brabham und zuletzt bei RAM. Nur zwei magere WM-Pünktchen aus 47 F1-Starts – das hat ihn tief frustriert. Deshalb floh er zwischendurch immer wieder in die ihm so vertraute Welt der Touren-, GT- und Sportwagen.
Dort fand er seine Erfüllung, konnte mit gutem Material wie dem Porsche 962 auf Augenhöhe kämpfen und siegen. Ausgerechnet ein solcher Ausflug in die Sportwagen-WM nach Mosport/Kanada wurde ihm am 11. August 1985, zwei Monate vor seinem 34. Geburtstag, zum Verhängnis.
Den brutalen Aufprall, vermutlich ausgelöst durch einen Reifenschaden, hat er nur um einen Tag überlebt – und das nur mit Hilfe von lebenserhaltenden Maßnahmen. In einer Spezialklinik in Toronto erlag Manfred seinen schweren Kopfverletzungen. Seine Frau Martina und sein alter BMW-Kumpel und Co-Pilot Marc Surer waren bis zum bitteren Ende bei ihm, aber er hat das Bewusstsein nicht mehr wiedererlangt.
Lange hat Manfreds Bruder Joachim, zum Unfallzeitpunkt 24 Jahre alt, mit sich gerungen, ob er die gerade begonnene, eigene Rennfahrer-Laufbahn fortsetzen soll oder nicht.
«Jockel» entschied sich «im Sinne von Manfred» für den Rennsport – genauso wie später der jüngste Bruder Tommy. Dass auch Manfreds Sohn Markus, kaum 18 Jahre alt, ab 1998 ebenfalls ins Rennauto stieg, behagte Mutter Martina anfangs gar nicht. Aber verbieten wollte sie es nicht und verhindern konnte sie es auch nicht. Also hat sie ihn zu seinen ersten Rennen begleitet und einfach gehofft, dass er gut über die Runden kommt. Doch die Angst war ihr ständiger Begleiter.
Aber «der Kleine» setzte sich schnell durch und ging wie alle Winkelhocks konsequent seinen Weg. Stationen in den Nachwuchsklassen Formel König, Formel Renault, Formel 3. Dann sein einziger Start 2007 in der Formel 1 im nicht konkurrenzfähigen Spyker am Ring, der sogar in die Geschichte einging. Eine ebenso mutige wie glückliche Reifenwahl ermöglichte ihm jene Kurzzeit-Führung beim Heim-GP, die ihm einen Platz im Raritäten-Verzeichnis der kuriosesten F1-Ereignisse einbrachte.
Übrigens haben es immerhin drei der insgesamt vier rennenden Winkelhocks bis ins F1-Cockpit geschafft. Vater Manfred, dessen Bruder Jockel und eben Markus. Manfred für mehrere Jahre, Jockel für eine Saison und Markus für nur ein einziges Rennen. Nur Tommy blieb im Tourenwagen hängen, wurde aber immerhin 1998 DTC-Meister mit BMW.
Markus, inzwischen auch schon 45 Jahre alt, hat sich zum Top-Piloten im Touren- und Sportwagen entwickelt. Die DTM hat er mit Mercedes und Audi bereichert und mit dem Audi LMS-Sportwagen wurde er überdies zu einem der erfolgreichsten Langstrecken-Piloten mit 24 h-Siegen am Ring (drei Mal), Spa (zwei Mal) und Dubai (ein Mal). Seine höchst erfolgreiche Audi-Werksfahrerzeit endete erst kürzlich mit dem (unverständlichen) Rückzug der Ingolstädter aus den bisher beschickten weltweiten Meisterschaften und Disziplinen.
Markus hat das Andenken an seinen Vater bei allem, was er im Sport angepackt hat, bestens und würdevoll vertreten. Was hätte Manfred in seinem breiten schwäbisch seinem Sohn Markus wohl angesichts dessen langer Liste an Erfolgen wohl gesagt, wäre er heute noch am Leben. «Mensch Kerle, des hasch gut gmacht.»