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Corteses Crew-Chief fordert: «Keinen Gegnern folgen»

Von Sharleena Wirsing
Crew-Chief Lucio Nicastro: «Corteses Schwäche ist, dass zu schnell in den langsamen Kurven sein will»

Crew-Chief Lucio Nicastro: «Corteses Schwäche ist, dass zu schnell in den langsamen Kurven sein will»

Für die Saison 2016 stieß Lucio Nicastro als neuer Crew-Chief für Sandro Cortese zum Team Dynavolt Intact GP. Im ausführlichen Interview mit SPEEDWEEK.com lobt er dessen Speed, doch er übt auch deutliche Kritik.

Lucio Nicastro absolviert 2016 sein drittes Jahr in der Moto2-WM, er arbeitete zwei Jahre mit Sam Lowes zusammen, bevor er zum Team Dynavolt Intact GP stieß und Crew-Chief für Sandro Cortese wurde. 2011 hatte Nicastro zusammen mit Chaz Davies den Titel in der Supersport-WM gewonnen. Ein weiterer Supersport-Titel folgte 2013 mit Sam Lowes. Auch mit Sideways-Künstler Garry McCoy arbeitete Nicastro in der Vergangenheit zusammen. «Ein großartiger Fahrstil, er war ein sehr schneller Fahrer», lachte Nicastro.

2016 nahm der Italiener die Zusammenarbeit mit Sandro Cortese auf. In der ersten Saisonhälfte erlebte das Duo viele Enttäuschungen. In zehn Rennen konnte Cortese, der Moto3-Weltmeister von 2012, nur 20 Punkte sammeln und liegt auch WM-Rang 21. Nicastro hat jedoch eine genaue Vorstellung, wo die Probleme des 26-jährigen Schwaben liegen.

«Wir haben in diesem Winter mit unserer Zusammenarbeit begonnen, nachdem ich zwei Jahre mit Sam Lowes gearbeitet hatte. Ich habe einen anderen Fahrer als den bisherigen vorgefunden, Sandro ist sehr schnell, aber im Moment fehlt uns in den Rennen etwas. Wir brauchen von ihm mehr Konzentration und eine bessere Herangehensweise – vor allem in der Anfangsphase der Rennen. In den Qualifyings war ich überrascht und sehr happy über seinen Speed. Bevor ich zum Intact-Team kam und mit ihm arbeitete, hatte ich nicht erwartet, dass er so schnell ist. Er hat mich wirklich überrascht», hat Nicastro Lob für seinen Schützlig, aber auch Kritik.

«In den letzten fünf oder sechs Rennen war er bisweilen sogar schneller als Jonas, der ein sehr guter Anhaltspunkt ist. Im Moment fehlt uns etwas in den Rennen, aber ich bin zuversichtlich, dass wir das in der zweiten Saisonhälfte verbessern können. Ich pushe sehr, was sein Training daheim angeht, damit er konzentrierter und fokussierter ist. Doch die Art der Zusammenarbeit ist gut, denn er ist ein sehr freundlicher Kerl und bleibt ruhig. Manche Fahrer denken, dass sie Gott sind, wenn sie einen Titel gewonnen haben. Das ist bei Sandro trotz des Moto3-Titels 2012 nicht der Fall. Er ist froh, dass er mit uns arbeiten kann. Ich hoffe sehr, dass ihm vor dem Saisonende noch ein großer Fortschritt gelingt. Ich würde sehr gerne auch im nächsten Jahr mit ihm zusammenarbeiten, im Moment ist das aber alles unsicher», weiß Nicastro. Beim Intact-Team stehen auch Fahrer wie Marcel Schrötter, Xavier Simeon oder Jorge Navarro auf der Wunschliste.

Du kritisierst, dass Cortese fokussierter sein muss. Ist damit seine Vorbereitung auf die Grands Prix gemeint? «Ich muss über alle Aspekte nachdenken, denn ich arbeite noch nicht lange mit ihm zusammen. Daher ziehe ich alle Möglichkeiten in Betracht. Da er 2012 Weltmeister wurde, ist sicher, dass er sehr schnell ist. Was ich aber sehe ist, dass sein Speed in den ersten Runden des Rennens nicht fantastisch ist. Doch später in den Rennen ist er ebenfalls schnell. Daher habe ich ihm nahegelegt, sehr genau darüber nachzudenken, wie er zuhause trainiert. Das soll nicht heißen, dass er nicht trainiert, denn das tut er, aber vielleicht muss er die Art und Weise ändern, damit wir das erreichen, was wir erreichen wollen. Er ist die wichtigste Person in dieser Sache, daher sage ich ihm diese Dinge, um ihm zu helfen. Manchmal ist es schwierig, das zu sagen, aber wir sind alle alt genug, um die Wahrheit zu verkraften. Ich habe schon einige Erfahrungen mit unterschiedlichen Fahrern gesammelt. Auf diese Weise kann ich auch vergleichen und weiß, wie man gewisse Ziele erreicht.»

Das Problem, dass die Pace in den ersten Runden nicht schnell genug ist, hatte Cortese schon vor vielen Jahren. Gänzlich lösen konnte er dieses Problem nicht. «Ja, er muss das ändern, er muss in dieser Hinsicht selbstbewusster werden. Ich pushe auch, weil er aufhören muss, anderen Fahrern in den Trainings zu folgen. Er fährt oft hinter anderen Fahrern, diese Herangehensweise mag ich nicht. Mir ist es lieber, wenn er im Qualifying eine etwas schlechtere Position erzielt, die Runde aber allein gefahren ist. Vielleicht ist es dann kein Start aus der ersten oder zweiten Reihe, aber er muss niemandem folgen. Er weiß, was er tun muss. Also braucht er mehr Vertrauen zu sich selbst in dieser Kategorie. Die Top-5 sind kein Traum, sie sind möglich», ist Nicastro überzeugt.

Beim Österreich-GP wendete Cortese diese Strategie seines Crew-Chiefs im Qualifying an, er erzielte den 13. Startplatz, war aber zuversichtlich, was seine Rennpace betrifft. Im Rennen setzte Cortese in der Anfangsphase auf volles Risiko, fiel jedoch auf den 20. Platz zurück. Bis zum Rennende hatte er sich wieder auf Platz 11 nach vorne gearbeitet.

Das Team Dynavolt Intact GP lobt Crew-Chief Nicastro in den höchsten Tönen. «Das Team hat alles, es ist eine super gute und professionelle Truppe. Wir müssen bei Sandro aber etwas ändern.»

Derzeit wird viel über Sandros Schwächen gesprochen, worin liegen seine Stärken? «Ich mag seinen Fahrstil. Er fährt sehr sauber und ist sehr schnell. Vor allem in den schnellen Kurven ist er unglaublich schnell. Ich habe ja einige Referenzen, denn ich habe schon mit guten Fahrern zusammengearbeitet. Ich kann sagen, dass er in diesem Bereich sogar schneller ist als sie. In manchen Bereich ist er schneller als Sam Lowes. Das Problem, seine Schwäche ist, dass er zu schnell in den langsamen Kurven sein will. Manchmal ist er in der Kurvenmitte zu schnell, so vermasselt er sich den Kurvenausgang. Er kann erst zu spät ans Gas, muss lange warten. Vielleicht gewinnt er so am Kurveneingang eine Zehntel, aber am Kurvenausgang verliert er drei Zehntel. Das macht dann also zwei Zehntel Zeitverlust aus. Ein weiteres Problem: Wenn er einen Fahrer vor sich sieht, den er einholen will, dann fährt er zu viel Speed in diesen Kurven, um die Lücke zu schließen. Doch am Ende verliert er dadurch. Er muss ruhig bleiben und verstehen, dass das vor allem in langsamen Kurven nicht sinnvoll ist. Das Seltsame ist, dass er manchmal zu langsam ist, weil er zu schnell fährt», lachte der Italiener.

«Manchmal vergleichen wir die Daten mit denen von Jonas. Dann sehen wir, dass Sandro in den langsamen Kurven 10 km/h schneller ist. Wie kann man 10 km/h schneller sein als Jonas, wenn er Platz 1 in der Zeitenliste innehat? Dieses Beispiel zeigt dieses seltsame Problem. Das ist etwas, das Sandro aus der Moto3-Klasse mitbrachte. Dort musst du viel Speed durch die Kurve mitnehmen. Doch in dieser Klasse muss er sich zwingen, das zu ändern. Nun fährt er schon einige Jahre in der Moto2-Klasse, doch er muss noch einen Schritt machen. Sein Fahrstil ist sehr schön, er ist sehr gut auf dem Bike. In den Trainings ist er auch recht konstant und macht kaum Fehler. Deshalb spreche ich über Fokus und Konzentration im Rennen, denn manchmal ist er nicht in der Lage, sich allein auf sich selbst zu konzentrieren. Er konzentriert sich manchmal zu sehr auf die Dinge, die um ihn herum geschehen.»

Ist das der Grund für seine doch recht häufigen Stürze? Nicastro zögert. «Den Grund für seine Stürze kenne ich nicht», erklärt er und nimmt sich eine weitere Pause, bis er fortfährt: «In diesem Jahr waren sie meiner Meinung nach auch ein Ergebnis von mangelnder Konzentration. Natürlich kann das bei nasser Strecke wie auf dem Sachsenring recht schnell passieren. Dort war ich nicht wegen der Stürze enttäuscht, denn das kann bei diesen Bedingungen jedem passieren. Doch auch dort war sein Start nicht gut, obwohl er aus der zweiten Reihe losfuhr. Und auch die ersten neun Runden waren recht langsam. Ab Runde 10 bis zum Ende war er so schnell wie die Fahrer an der Spitze. Am Ende war er Vierter, als er stürzte. Im Trockenen machte er wie in Jerez einen Fehler beim Schalten. Daher muss er fokussierter sein. Ich denke, dass er ihm eine andere Art von Training dabei helfen kann. Er trainiert bereits hart, aber er muss vielleicht länger trainieren, damit er sich jedes Mal höherer Ziele stecken und so auch sein Gehirn trainieren kann.»

Er soll so trainieren, dass er auch unter extremer körperlicher Anstrengung noch mental sehr leistungsfähig ist? «Ja. Genau das meine ich. Wenn er das macht, dann kommt ihm das auf der Strecke zugute. Im Rennen sind die Fahrer immer sehr emotionsgeladen und wollen unbedingt ein gutes Ergebnis erreichen. Doch es ist klar, dass eine Veränderung des Trainings und der Herangehensweise nicht sofort fruchten. Wir haben damit in diesem Jahr begonnen. Daher hoffe ich, dass wir bis zum Ende der Saison etwas davon sehen können. Meiner Meinung nach ist er sehr motiviert, ich wäre sehr glücklich, wenn wir zusammen einen Schritt nach vorne machen können. Mit den Trainings bin ich schon zufrieden, im Rennen fehlt etwas.»

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