Formel 1: Aus für Perez bei Red Bull Racing

Präsentationen und Tests: Viel Tricksen und Täuschen

Von Mathias Brunner
​Wenn die Formel-1-Teams ab 11. Februar (Ferrari) ihre 2019er Rennwagen zeigen und damit ab 19. Februar auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya testen, dann gilt – trauen Sie Ihren Augen nicht!

Bald hat das lange Warten der Formel-1-Fans endlich ein Ende: Ferrari zeigt als erstes GP-Team am 11. Februar den neuen Rennwagen für die Saison 2020, knapp eine Woche später beginnen auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya die Wintertestfahrten. Wenn Sie Bilder der Präsentationen sehen, dann trauen Sie Ihren Augen nicht – denn Tricksen, Täuschen und Tarnen sind mit der Formel 1 so eng verbunden wie Aston mit Martin.

Die Rennställe lassen sich ungern in die Karten schauen. Und so gehört es zum Geschäft, dass bei Präsentationen zwar nicht gleich gelogen, aber eben auch nicht die volle Wahrheit gesagt wird. Und dass Wintertests bei einigen Rennställen gleichzusetzen sind mit galoppierender Geheimniskrämerei, die an Paranoia grenzt.

Die meisten GP-Teams vermeiden es beispielsweise geschickt, Bildwinkel zu zeigen, welche clevere Details enthüllen könnten. Wie praktisch, wenn die Fahrzeugpräsentationen nur online stattfinden, da kann prima kontrolliert werden, was den Menschen gezeigt wird. Einige Rennställe zeigen sogar Computergrafiken statt echter Bilder. Die lassen sich leichter manipulieren.

Einige Lösungen, wie etwa ein Schacht in der Fahrzeugnase, werden abgedeckt oder auf Fotos kurzerhand wegretuschiert. Ein Diffusor, das aufsteigende Ende des Unterbodens, wird gerne mal mit einem Tuch verdeckt. Jahrelang war es üblich, alte Frontflügel ans Auto zu hängen, weil man der Konkurrenz das neue Geflügel erst so spät als möglich zeigen will.

Ebenfalls sehr beliebt: Gewisse Flächen am Wagen schwarz einzufärben, das verschluckt Konturen und macht es neugierigen Augen schwieriger, die wahre Form auszukundschaften. Oder das Auto wird gleich mit einer Tarnlackierung versehen, wie das Red Bull Racing 2015 mit dem Modell RB11 machte. Diese Rechnung ging gleich doppelt auf – der Verlauf der Karosserie ware nur schwer erkennbar, und die Bilder gingen um die Welt. Werbewirkung: massiv.

Was die Fans stinksauer macht

An der Teststrecke ging das Versteckspiel jahrelang munter weiter: Die unsäglichen spanischen Wände hatten Hochkonjunktur, die Autos wurden bei jeder Rückkehr an die Box sofort hinter diesem rollenden Sichtschutz versteckt. Nicht nur zum Ärger der Berichterstatter, sondern vor allem jener Fans, die sich ein Ticket für die Haupttribüne gekauft hatten und dann nicht mal in die Box blicken konnten.

Vor einigen Jahren unterhielt ich mich mit einem Zaungast am Circuit de Barcelona-Catalunya. Manuel Garcia machte aus seinem Herzen keine Mördergrube: «Jetzt bin ich mit meinen beiden Buben extra aus Girona angereist und dann das!»

Was den Familienvater auf der Haupttribüne der katalanischen Rennbahn so auf die Palme brachte: Sobald Lieblingsfahrer Fernando Alonso – damals für Ferrari am Werk – an die Box zurückkehrte, platzierten die italienischen Mechaniker noch in der Boxengasse ein halbes Dutzend spanischer Stellwände um den Wagen, das ganze Paket, also Rollwände samt verhülltem Auto, wurde dann ins Dunkel der Box zurückgerollt, Rollladen runter, das war’s.

Garcia: «Wofür habe ich hier Geld ausgegeben, wenn ich nicht mal in Ruhe ein Foto schiessen kann? Was soll ich da meinen Jungs erklären?»

Der langjährige Formel-1-Techniker Gary Anderson kritisierte: «Ich finde dieses Affentheater komplett lächerlich. Wenn ein Team von einem anderen Rennstall Detailbilder des Autos will, dann kriegt es sie auch. Die spanischen Wände sind komplett sinnlos.»

Das sah – lieber spät als nie – endlich auch der Autoverband FIA ein: Sichtwände bei Testfahrten sind ab 2020 verboten. Somit ist der freie Blick in die Team-Boxen, der schon für die GP-Wochenenden vorgeschrieben ist, auch bei den Probefahrten mit den neuen Autos garantiert. Ausgenommen von dieser Regel sind Abdeckungen, die eine mechanische oder eine Schutzfunktion haben.

Abgucken gehört zum Geschäft

Gary Anderson hat natürlich völlig Recht. Ist ein Auto auf der Bahn, klicken die Kameras im Stakkato: Nicht nur für Fachpublikationen, sondern auch für die Konkurrenz – Digitalaufnahmen der gegnerischen Fahrzeuge liegen innerhalb kürzester Zeit den Technikern in den Formel-1-Werken vor. So mancher Fotograf verdient sich für die Spionage-Arbeit einen Batzen dazu. Das Studium der Gegner ist so wichtig wie die Analyse des eigenen Renners. Abkupfern gehört zum Geschäft.

Dazu fällt mir eine Anekdote mit der Britin Ruth Buscombe ein. Die heutige Sauber-Strategin arbeitete vor ihrer Tätigkeit für das Schweizer Team bei Ferrari als Ingenieurin in der Simulations-Abteilung, dann wurde sie Rennstrategin. In Formel-1-Kreisen bekannt wurde die Blondine, als sie bei Testfahrten in Abu Dhabi 2014 von einer Gallerie unmittelbar über der Mercedes-Box mit einer Wärmebildkamera den Silberpfeil filmte. Einige Mercedes-Mitarbeiter baten die Dame, damit höflicherweise aufzuhören.

Ein wenig älter war ein Kniff, der mit den Reizen der Frau spielte. Da kam ein hübsches Girl in die Box und liess sich ablichten, zur Gaudi der Rennmechaniker. Was die Schrauber nicht wussten: Das Objektiv des Fotografen wurde nicht auf das angebliche Model gerichtet, sondern auf Details des gegnerischen Rennwagens, neben die sich die durchaus nicht unbedarfte Dame stellte. Heute sind die Mechaniker argwöhnischer.

Die Rundenzeiten von Barcelona sind mit grösster Vorsicht zu geniessen: Keiner im GP-Zirkus – nicht einmal die hellsten Köpfe – wissen, mit wieviel Kraftstoff die Gegner jeweils ausrücken. Der frühere Pirelli-Renndirektor Paul Hembery formulierte das einmal so: «Wir erleben bei den Testfahrten in Barcelona viel Tiefstapelei und Versteckspielchen. Vor dem Saisonbeginn will doch kein Team zeigen, was es wirklich kann. Wir werden erst im Verlauf der ersten Rennen der Saison mehr Gewissheit erhalten, sowohl was die Konkurrenzfähigkeit der verschiedenen Teams angeht.»

Der geniale Trick von Adrian Newey

An den GP-Wochenenden war der Einsatz obiger spanischer Wände verboten. Nähert sich eine TV-Kamera der Ferrari-Box, um ein bestimmtes Detail des Rennwagens zu zeigen, so taucht wie aus dem Nichts eine Handvoll Mechaniker auf, die sich vor die Kamera stellen, als menschliches Schutzschild. Die gleiche Praxis wird gegen aufsässige Fotografen angewandt, die sich vor der Ferrari-Box platziert haben.

In seinem Buch «How to Build a Car» verriet Star-Designer Adrian Newey, wie er die Gegner wie Ferrari ein wenig aus dem Konzept zu bringen pflegte. Der anerkannt beste Designer der Branche, der von March über Williams und McLaren zu Red Bull gezogen ist, schreibt in seinem Werk: «Techniker wie ich nutzen jede Gelegenheit, um sich die anderen Autos anzuschauen. Wenn ein leitender Ingenieur in die Nähe des gegnerischen Fahrzeugs kommt, schwärmen sofort deren Leute aus, um die Sicht auf ein Teil zu verdecken, das vielleicht meine Aufmerksamkeit geweckt hat. Bei Ferrari entsteht ein wahres Bienenhaus an Aktivität, sobald ich in deren Nähe wandere.»

«Also habe ich mir einen kleinen Trick ausgedacht. Ich gehe zu einer Stelle des Autos, die mich gar nicht besonders reizt. Sofort eilen die Mechaniker heran, wie Motten zum Licht, und während dieser Zeit haben unsere Fotografen auf der anderen Seite des Autos alle Zeit der Welt, um jene Teile abzulichten, die mich wirklich interessieren. Ferrari hat das nie durchschaut.»

Formel-1-Teams: Wenig verstanden

Beim Schritt in die neue Turbo-Ära Anfang 2014 hätten die Rennställe die Faszination dieser Technik den Medienschaffenden und damit den Fans erklären müssen. Stattdessen wurde Geheimniskrämerei zur Kunstform erhoben.

Blieb ein Wagen stehen (was oft genug passierte), wurde entweder überhaupt nicht erklärt, warum das passiert war (Motto: Wenn wir nichts sagen, geht das Problem vielleicht von selber weg), oder das Team teilte gnädigerweise mit, es handle sich um «technische Schwierigkeiten». Potztausend, wer hätte das gedacht?

Von sehr intelligenten Menschen hörten wir nur dummes Zeug wie: «Wir hatten Probleme.» – «Wir hatten einen mechanischen Schaden.» – «Wir konnten leider nicht so viel fahren wie wir wollten.» – Und dann, besonders hilfreich: «Wir hoffen, dass es morgen besser geht.»

Warum verrät man uns dann nicht gleich weltexklusiv, dass der Himmel über Barcelona blau war oder ein Reifen rund und schwarz? Stattdessen beginnt jede offizielle Wortmeldung mit: «Heute war ein guter Tag.» Auch wenn der Fahrer eine Magenverstimmung hatte und beim Auto zuerst das Getriebe verreckte und dann der Motor. Wahlweise wird das Wort «gut» durch «produktiv» ersetzt.

Also jetzt mal ehrlich: Welchen Nutzen hätte McLaren davon, wenn Ferrari zugeben würde, dass ein Fabrikationsfehler bei Gangrädern zu einem Getriebeschaden führte? Wird der Renault vielleicht schneller, wenn Mercedes präzisieren würde, dass am Wagen von Lewis Hamilton eine Batterie verreckt ist?

Ein wenig mehr Offenheit könnte der Formel 1 nicht schaden.

Präsentationen
11. Februar: Ferrari (Reggio Emilia)
12. Februar: Renault (Paris)
13. Februar: McLaren (Woking)
14. Februar: AlphaTauri (Salzburg)
14. Februar: Mercedes (Silverstone)
17. Februar: Racing Point (Mondsee)
19. Februar: Alfa Romeo Sauber (Barcelona)
19. Februar: Haas (Barcelona)
Noch ohne Termin: Red Bull Racing und Williams

Wintertests
19.–21. Februar: Montmeló, Circuit de Barcelona-Catalunya/E
26.–28. Februar: Montmeló, Circuit de Barcelona-Catalunya/E

Rennen
15. März: Melbourne, Albert Park Circuit/AUS
22. März: Bahrain, Bahrain International Circuit/BRN
5. April: Hanoi, Street Circuit Hanoi/VN
19. April: Shanghai, Shanghai International Circuit/RCH
3. Mai: Zandvoort, Circuit Park Zandvoort/NL
10. Mai: Montmeló bei Barcelona, Circuit de Barcelona-Catalunya/E
24. Mai: Monte Carlo, Circuit de Monaco/MC
7. Juni Aserbaidschan, Baku City Circuit/AZ
14. Juni: Montreal, Circuit Gilles Villeneuve/CDN
28. Juni: Le Castellet, Circuit Paul Ricard/F
5. Juli: Spielberg, Red Bull Ring/A
19. Juli: Silverstone, Silverstone Circuit/GB
2. August: Mogyoród bei Budapest, Hungaroring/H
30. August: Francorchamps, Circuit de Spa-Francorchamps/B
6. September: Monza, Autodromo Nazionale/I
20. September: Singapur, Marina Bay Street Circuit/SGP
27. September: Sotschi, Sochi Autodrom/RUS
11. Oktober: Suzuka, Suzuka Circuit/J
25. Oktober: Austin, Circuit of the Americas/USA
1. November: Mexico City, Autódromo Hermanos Rodríguez/MEX
15. November: São Paulo, Autódromo José Carlos Pace/BR
29. November: Abu Dhabi, Yas Marina Circuit/UAE

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