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Brasilien-GP: Drogen, Blondine, indischer Seiltrick

Kolumne von Joe Saward
Mark Webber: Ein herzhafter Sprung in einen Lago von Interlagos?

Mark Webber: Ein herzhafter Sprung in einen Lago von Interlagos?

Wann immer mich die Leute fragen, wieso ich in der Formel 1 arbeiten wollte, so antworte ich – weil ich beim Zirkus sein wollte. Daran hat sich nichts geändert.

Hin und wieder kommt die Frage auf, wie um alles in der Welt ich im Grand-Prix-Sport landen konnte. Mein Stehsatz darauf lautet: Jeder Bub träumt irgendwann einmal davon, von zuhause auszureissen und sich einem Zirkus anzuschliessen. Der Zirkus – die ganz grosse Freiheit, von Stadt zu Stadt ziehen, umgeben von Clowns, Akrobaten, Trapezkünstlern, Feuerschluckern, Musikern, Drahtseilartisten, Jongleuren, Einradfahrern und Löwenbändigern, das alles in der Manege des grossen Zampano. Bei den meisten Kids legt sich dieser Wunsch, bevor sie in einen normalen Neun-bis-fünf-Uhr-Job hineinwachsen. Nicht so bei mir. Ich habe mich dem Zirkus angeschlossen, und dieser Zirkus heisst Formel 1.

Formel 1 ist nicht einfach ein Job. Formel 1 ist ein Lebensstil. Jeder, der sich für dieses Leben entscheidet, der weiss auch, dass es nicht aus Glamour und Champagner besteht. Aber dennoch höre ich selten einen der unseren jammern. Wir akzeptieren, dass wir zu unmöglichen Zeiten arbeiten (und auch unmöglich lange), dass Jetlag unser zweiter Vorname geworden ist und dass wir zum Saisonschluss gewissermassen auf Reserve laufen.

Die Saison war lang, und das hörte ich rundum im Pressesaal von Interlagos. Wir sind wie ein Yo-Yo nach Asien und zurück nach Europa geflitzt, um dann – dem verwirrten Körper den Rest gebend – in die entgegengesetzte Richtung zu fliegen, zunächst nach Austin in Texas und dann nach Brasilien. Ergebnis: Rundum Husten und Krächzen, ein Zeichen von zu viel schlechter Luft durch Air-Condition im Allgemeinen und in Flugzeugen im Besonderen. Aber die Show muss immer weitergehen, also schluckten wir brav alle möglichen legalen Drogen, gurgelten mit Caipirinha und versuchten, etwas gesünder zu essen. Das wäre in São Paulo dann ein Salat vor dem grossen Fleischfest einer Churrascaria. Etwas mehr schlafen war ein wenig schwierig vor dem Hintergrund der Party-Metropole Austin oder der Tatsache, dass die Paulistas gerne die Nacht zum Tag machen.

Es gab zum Finale noch viel zu klären: Wer bricht die Dominanz von Sebstian Vettel? (Wie sich herausstellte, keiner.) Wie entwickelt sich der Fahrermarkt? (Antwort: Wie ein Chamäloen.) Wie wird das Wetter das WM-Finale beeinträchtigen? (Antwort: Leider gar nicht, es schüttete erst, als die bedauernwerten Mechaniker den ganzen Krempel für die Heimreise einpacken mussten.)

Ich weiss nicht, wieviele Jahre vergangen sind, seit das Fahrerkarussell zu einem so späten Zeitpunkt der Saison noch mit 18000/min drehte. Bei Lotus war Nico Hülkenberg lange Wunschkandidat, aber um diese Paarung hinzukriegen, dazu hätte ein erhebliches – Achtung, Wortspiel! – Quantum Geld fliessen sollen, das irgendwo auf dem Weg von Arabien nach Luxemburg steckengeblieben zu sein scheint.

Pastor Maldonado hatte eine Karawane von Goldeseln hinter sich, doch auf einmal sprach der Venezolaner davon, dass sein langjähriger Partner PDVSA vielleicht gar keine Lust mehr auf Formel 1 habe. Hintergrund: Maldonados Ego war angekratzt, weil man sich vor allem für seine Geldgeber und weniger für seine Qualitäten als Racer interessiert.

Egal, wo Pastor endet (bei meiner Abreise aus Interlagos schien es Lotus zu sein) – er wollte ein besseres Auto als den Williams (und Williams wollte einen besseren Fahrer als Maldonado), also kam es zur Scheidung, und PDVSA bezahlt nun die Alimente und damit das Gehalt von Felipe Massa. Bin ich der Einzige, der das etwas seltsam findet?

Scheidung auch bei McLaren, wo ein dänischer Blondschopf den Briten so lange den Kopf verdreht hat, bis der Mexikaner vor die Tür hinaus komplimentiert wurde. Seither höre ich aus England nur Gutes über Sergio Pérez, was ich noch seltsamer finde als die Geldströme von Massa, weil es für mich etwas sinnfrei ist, einen Fahrer anzupreisen, den man nicht mehr haben will.

Sauber hofft noch immer auf einen Rubelregen aus Russland, und, wenn die Bilanz dann wieder halbwegs im Lot ist, auf neue Helden. Bei Force India hingegen zeigt ein gewisser Vijay Mallya einen indischen Seiltrick – er versucht die Leute davon zu überzeugen, einen Strick hochzuklettern, der keine sichtbare Unterstützung hat. Applaus erhält er jüngsten Entwicklungen zufolge aus Deutschland (= Hülkenberg) und Mexiko (= Pérez).

So ganz nebenbei war es auch Mark Webbers letzter Grand Prix. Und es gab niemanden im Fahrerlager, der dem Australier zum Abschied nicht den Sieg schenken wollte – selbst wenn als es unwahrscheinlich galt, dass er anschliessend in einem der Lagos von Interlagos baden gehen würde wie damals im Hafenbecken von Monte Carlo.

All das ist höchst unterhaltsam, wenn auch ein wenig beunruhigend. Richtig Angst macht mir, dass der Zirkus finanziell nur noch auf einem Flaum aus Sägemehl vors Publikum trippelt, aber das ist bei fast jedem Zirkus so. Und doch geht am Ende für die meisten alles gut aus.

Etwas Magie gehört eben dazu. Wie im richtigen Zirkus.

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