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Talkessel Classics: Die Seele des Motocross

Kolumne von Thoralf Abgarjan
Die zweite Auflage der 'Talkessel Classics' war ein Ereignis, das die Herzen eines jeden Motocross-Fans höherschlagen ließ. Hier ging es um gelebte Leidenschaft, um Technik und um jede Menge Spaß.

Am letzten Wochenende fand auf der aus Sicherheitsgründen etwas entschärften WM-Strecke im Talkessel die zweite Auflage der 'Talkessel Classics' statt. Über 60 Jahre Technik- und Sportgeschichte konnten hier im Sinne des Wortes erlebt werden. Über dem legendären Kessel lag der Duft von Rizinusöl, ausgestoßen von historischen Zweitakt-Maschinen und vermengt mit dem fetten Sound der BSA-Viertakter - ein zelebriertes 'british understatement' aus den 1960er Jahren.

Classics: Pure Leidenschaft
Bei den Talkessel Classics geht es weder um Geld noch um Ruhm. Hier geht es um Leidenschaft - den wahren Enthusiasmus für den Sport. Dieser Geist war am Wochenende allgegenwärtig. Dass man hier sehr viele nette Leute an einem Ort findet, sei nur am Rande erwähnt.

Technikgeschichte zum Anfassen
Allein die Technik ließ die Herzen der Besucher höherschlagen: CZ - Werksmaschinen von Jaroslav Falta, Generationen von Fahrwerkstechnik waren zu bewundern, von den ersten CZ Luftdämpfern, über die legendäre Cantilever-Schwinge der Yamaha, das angelenktes Pro-Link-Federbein der Honda, die Full Floater Evolutionsstufen von Suzuki oder das Uni-Trak-Konzept von Kawasaki: Hier gab es Alles auf engstem Raum zum Anfassen. Zwei- und Viertakter, luft- und wassergekühlt, Twin- und Monoshock, aber es kommt noch besser.

Das Leben der Cross-Ikonen
Während Technik-Museen manchmal der Charme eines Mausoleums anhaftet, sprudelte im Talkessel das pure Leben aus den versammelten, internationalen Cross-Ikonen. Bekanntlich dominierten in den 1960er Jahren schon einmal die Viertakter, bevor Paul Friedrichs die Königsklasse mit den CZ-Zweitaktern aufmischte, die für folgende Jahrzehnte den Ton angeben sollten. Im Talkessel konnten die Besucher eine Symphonie aus den Sounds der BSA-Viertakter und der - mit heutigen Maßstäben gemessen - brachial lauten Zweitaktmaschinen mit unten geführten Auspuffanlagen hören. Ehrfürchtig zollt man den Protagonisten noch mehr Respekt ab, wenn sie in reifem Alter die Steilhänge erklimmen und über die Hügel fliegen.

Mit 81 gegen die 'jungen Wilden'
Doch offensichtlich hält der Sport jung, denn der älteste Teilnehmer, Klaus Reissmann, ist zwar 81 Jahre alt, aber fit wie ein Turnschuh. «Seit meiner Jugend treibe ich aktiv Sport und fahre heute noch auf dem Rennrad drei mal pro Woche 50 km», erklärte der Leipziger. «Ich bin früher Sandbahn und Grasbahn gefahren, viele Jahre auch am Bergring Teterow. Erst später bin ich zum Enduro und Motocross gewechselt.» In Teutschenthal stand er mit einer 500 ccm Viertakt-BSA am Start. «Bei den englischen Motorrädern ist vieles anders», erklärt der Sachse. «Zum Beispiel sind Bremse und Schalthebel vertauscht - Schalthebel rechts, Bremse links. Bei manchen Rennen fahre ich dann ein Rennen mit der Zweitakt-CZ mit normaler Anordnung und einen weiteren Lauf mit der BSA und muss aufpassen, wo gerade Bremse und Schalthebel liegen. Das Vertauschen kann ja unangenehm enden», erklärt der rastlose Routinier. Im Rennen belegte Reissmann einen respektablen 14. Rang.

Viel Prominenz auf und neben der Strecke
Wer die Atmosphäre beim Motocross der Nationen 2013 im Talkessel erlebt hat, kann sich eine etwaige Vorstellung machen, wie es in den 70er und 80er Jahren im Talkessel regelmäßig zuging. Heinz Hoppe trat in den 1970er Jahren in die Fussstapfen von Paul Friedrichs und brachte die Massen im Kessel zum Kochen. Die Sieger der Pokale der Kalikumpel und Pokale der Freundschaft wurden nach Teutschenthal eingeladen und standen den Fans für Autogramme und Gespräche zur Verfügung. Als die Seitenwagen noch um den Kurs rockten, avancierten die Gebrüder Dietrich zu Seriensiegern. Walter Dietrich strahlt heute noch die Dynamik aus, die ihn vor 30 Jahren zum Publikumsliebling machte. Die Seitenwagen haben zehntausende Zuschauer angezogen, denn die Akrobatik auf drei Rädern übte eine besondere Faszination aus. Heinz Hoppe, Klaus Hünecke, Gunter Frohn, Joachim Helmhold, Rainer Jette und Egbert Böhme waren als frühere Talkessel-Sieger angereist und schwelgten in Erinnerungen.

Replika mit Ritterschlag
Die Suzuki RM-125, mit der Klaus Hünecke Mitte der 1980er Jahre die DDR-Meisterschaft gewann, hatte ein Sammler liebevoll aufgebaut, stilecht mit der Startnummer 6 mit weißen Buchstaben auf schwarzem Grund. Hünecke gab der Replika mit seiner Unterschrift am Tank den Ritterschlag.

Schadenberg - Dynastie über Jahrzehnte
Helmut Schadenberg, der im letzten Jahr leider viel zu früh verstarb, gewann im Talkessel fünfmal in den Klassen bis 250ccm und 500ccm. Sein Sohn Hardy brachte es in den 1990er Jahren bis in die 500er WM und startete nebst Sohn Henry in der EVO-Klasse - Hardy selbstredend und standesgemäß auf der KX-500. Henry, der auf der 250er unterwegs war, ist nun also bereits der Enkel von Helmut Schadenberg, der den Talkessel in den 1970er Jahren aufmischte.

Stefan Genscher - der ganz normale Wahnsinn
Hinter jedem Starter beim 'Talkessel Classics' steckt mindestens eine abendfüllende Geschichte. Rennfahrerbiographien sind eben das genaue Gegenteil von langweilig. Eine Geschichte sei hier herausgepickt, stellvertretend für die Episoden der anderen 250 internationalen Rennfahrer, die im Talkessel am Start standen.

Stefan Genscher avancierte in den späten 1980er Jahren zum DDR-Spitzencrosser und war Mitglied der Nationalmannschaft. Seine Mitstreiter waren Torsten Wolff, der heutige Kawasaki-Teambesitzer Harald Pfeil und der bereits erwähnte Klaus Hünecke. Sein Fahrstil hatte viele Gemeinsamkeiten mit dem von Tim Gajser. Er fuhr wild, viel sitzend mit gestrecktem Oberkörper und ... er stürzte häufig. Ist es nicht schön, wenn es Dinge gibt, die sich über die Jahrzehnte einfach niemals ändern? 'Genschman' stürzte auch am Samstag in aussichtsreicher Position und brauchte eine gefühlte Ewigkeit, die brachiale Honda 500R, Baujahr 1989, wieder in Gang zu setzen. «Egal, hier geht es um den Spass an der Sache», nahm es der 54-Jährige, der nach wie vor voll aktiv ist, sportlich.
Genscher konnte auch nach der politischen Wende in Ostdeutschland nicht vom Motorsport lassen und wechselte zu den Superbikes. Bei Geschwindigkeiten jenseits der 300km/h schaffte er es im Jahre 2011 beim legendären 24-Stunden-Rennen von Le Mans sogar aufs Podium.

«Was ist anstrengender», fragte ich den Haudegen, der eine überraschende Antwort gab. «Beim Straßenrennen hast Du viel mehr Zeit, Dich auf Situationen einzustellen.» [Anm.: Wir reden über Geschwindigkeiten jenseits der 300km/h!]. «Beim Motocross musst du ständig auf irgend etwas reagieren. Die Spuren ändern sich, die Bremswellen, die Schlaglöcher, die Absprünge, die Landungen und natürlich auch die Gegner. Nichts ist immer gleich, wie auf der Straße. Du bist permanent am Limit und permanent gefordert, ansonsten befindest du dich in akuter Sturzgefahr.» «Gut», dachte ich, «der Mann weiß, wovon er redet!»

Podien in tschechischer Hand
Natürlich gab es in den einzelnen Klassen von Classic bis EVO auch Sieger und Platzierte. Die meisten Spitzenplätze staubten auch dieses Jahr wieder die tschechischen Gäste ab. Bei den Classics schlugen sich übrigens auch die Frauen unter den Männern gut. Und auch in diesem Jahr gab es wieder große Namen am Start. Die beiden belgischen Geboers-Brüder, Jan und Scott vertraten, wen wunderts, die Suzuki Twin-Shock-Fraktion. Beide sind Brüder von Sylvain und dem in diesem Jahr leider viel zu früh verstorbenen Eric.

3. Auflage geplant
Die Organisatoren um Harald Mühlig und den ADMV-Geschäftsführer Harald Täger waren am Ende des Tages sichtlich zufrieden. «Das Wetter hätte etwas besser sein können», meinte Mühlig. Es war windig und kühl. Aber bei Allem, was sonst vom MSC-Teutschenthal im Talkessel geboten wurde, konnte man damit gut leben. Und so soll es im nächsten Jahr die dritte Auflage der 'Talkessel-Classics' geben. Wer dieses Ereignis bislang verpasst hat, sollte sich den nächsten Termin unbedingt dick im Kalender vormerken.

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