Stefan Bradl: Warum er sich für Forward entschied

Von Günther Wiesinger
Stefan Bradl mit LCR-Teamkoordinator Oscar Haro

Stefan Bradl mit LCR-Teamkoordinator Oscar Haro

Stefan Bradl wechselt nach der Saison 2014 von LCR-Honda zu Forward-Yamaha. Wir haben die Gründe für diesen unerwarteten Transfer analysiert.

Es gibt vielfältige Gründe, warum sich Stefan Bradl nach dem Sachsenring-GP zum Weggang bei LCR-Honda entschlossen hat und nächstes Jahr bei Forward-Yamaha um den Sieg in der Open-Class fighten wird.

Dem MotoGP-WM-Neunten wurde beim Sachsenring-GP schlagartig bewusst, dass seine Tage bei LCR gezählt sein könnten. Er sah sich dann rasch nach reizvollen anderen Möglichkeiten um.

Weshalb entschied sich Bradl für den Wechsel zu Forward-Yamaha?

1. Grund:

Weil HRC für Bradl bei LCR nach drei Jahren keine finanziellen Zuschüsse mehr plante und lieber den 19-jährigen Jack Miller ins Team holen will.

2. Grund:

Weil LCR dadurch 2015 das Budget von 3 bis 3,5 Millionen für Stefan Bradl allein aufbringen müsste, was nach dem Deutschland-GP höchst fraglich war.

3. Grund:

Weil LCR-Honda-Teambesitzer Lucio Cecchinello Mitte Juli noch keine fixe Zusage für einen zweiten Startplatz hatte. Wenn er diesen Platz ohne Dorna-Zuschüsse (TV-Geld, Startgeld, Reisekosten und Frachtkosten-Ersatz, Reifen usw.) beansprucht, kostet das 1 bis 1,2 Millionen pro Fahrer zusätzlich. Eine Riesensumme.

4. Grund:

Weil LCR-Honda in der Woche nach dem Sachsenring-GP keine konkreten Zusagen und kein Angebot für 2015 machen konnte und nicht einmal einen Termin für eine etwaige Offerte nennen konnte.

5. Grund

Weil erst zehn Tage nach dem Deutschland-GP geklärt war, ob Jack Miller Anspruch auf das Factory-Bike erheben oder sich mit dem Open-Motorrad abfinden würde – falls er zusagt.

6. Grund:

Weil immer klarer durchsickerte, dass Bradl bei HRC und LCR für 2015 nur fünfte Wahl war. Es wurde zuerst mit Vinales verhandelt, dann mit Miller, mit Crutchlow, mit Aleix Espargaró. Erst als bis 20. Juli keiner von denen zusagte und Crutchlow am 19. Juli seinen Verbleib bei Ducati ausposaunte und danach dank Sponsor CWM plötzlich ein Zwei-Fahrer-Team machbar wurde, stieg das Interesse an Bradl wieder.

7. Grund:

Weil HRC und LCR-Honda bis 19. Juli mit keiner Silbe erwähnten, ob und wann Bradl eine Offerte für 2015 erhalten würde. Aber zu diesem Zeitpunkt fiel jeden Tag eine Tür bei einem Team zu. Und der 24-jährige Bayer konnte bei Forward-Yamaha und Aprilia Racing nicht bis Weihnachten mit der Zusage warten.

8. Grund:

Weil Stefan Bradl in den Tagen nach dem deutschen WM-Lauf bei Gesprächen mit anderen Teams wie Forward-Yamaha und Aprilia Racing schnell klar wurde, dass er dort nicht als Lückenbüsser betrachtet wurde, sondern dass er als Top-5-Kandidat bei diesen zwei unterschiedlichen Projekten höchst willkommen war und sehr rasch konkrete lukrative Angebote präsentiert wurden.

Stefan Bradl machte es sich in dieser heissen Phase des Transfermarkts nicht leicht.

Er wog tagelang Für und Wider ab, kommunizierte via SMS, Mobiltelefon, Face Time, WhatsAPP und E-Mail mit den Teams, wohl wissend, dass er vor dem 31. Juli nirgends fix zusagen oder unterschreiben durfte. Rund zehn Tage vor diesem Termin verabschiedete er sich innerlich von LCR-Honda – zugunsten von Forward-Yamaha.

Viele Argumente für den Forward-Deal

Bei Forward reizte ihn die Zusammenarbeit mit dem zweitgrössten Werk, das schlagkräftige Open-Paket (Aleix Espargaró war im Assen-Quali Erster und in Sachsen Vierter), die Vorteile der Open-Class, die Zusammenarbeit mit Elektronik-Professor Dirk Debus (von 2D) und die Frage, ob die M1 vielleicht besser zu seinem Fahrstil passt als die Honda RC213V.

Auch die Aufstiegsmöglichkeiten bei Yamaha wirken reizvoller als bei Honda, wenn es Stefan Bradl nächstes Jahr gelingt, sein Potenzial endlich auszuschöpfen – und er ähnliche Ergebnisse einfährt wie Aleix Espargaró in dieser Saison.

Bei Honda ist das Repsol-Team bis Ende 2016 mit Márquez und Pedrosa besetzt, dahinter lauern Talente wie die neuen HRC-Liebkinder Miller, Rins und Alex Márquez auf ihre Chance.

Bei Yamaha könnte für 2016 der Platz von Lorenzo im Werksteam frei werden. Für diesen könnten dann Pol Espargaró und Stefan Bradl heisse Kandidaten werden.

«Ich bleibe aber auch gerne zwei Jahre bei Forward, denn wir werden 2015 mit der Einheits-ECU viele weitere Erfahrungen sammeln, die uns 2016 nützen werden, wenn auch die Factory-Teams diese Elektronik verwenden müssen», sagt Bradl.

Noch ein Argument, das für Forward sprach: Als Open-Team unterliegt es weniger Testbeschränkungen als die Kundenteam wie LCR. «Ich kann dort also sicher mehr Michelin-Testtage für 2016 abwickeln», überlegt Bradl.

Eigenes Forward-Chassis

Ausserdem: Forward Racing hat den ehemaligen FTR-Chefdesigner Mark Taylor engagiert, der ein neues Chassis für die YZR-M1-Yamaha gebaut hat. Am Freitag in Sachsen gelang Aleix Espargaró damit bei der ersten Ausfahrt die drittbeste Zeit des Tages. «Für Indy haben wir noch eine andere Schwinge mit geänderter Steifigkeit konstruiert», erklärte Technical Coordinator Sergio Verbena.

Bradl kann für 2015 zwischen dem Eigenbau-Chassis und dem neuesten Yamaha-Material auswählen.

Bei Forward hätte Stefan ursprünglich mit Espargaró ein Dream Team bilden sollen. Als der Spanier zu Suzuki absprang, fiel Bradl die Nr.-1-Rolle zu.

Die Yamaha-Rennchefs Tsuji, Nakajima und Jarvis setzten sich von der ersten Minute für die Verpflichtung des Deutschen ein, denn er ist die einzige Yamaha-Hoffnung auf einen Open-Class-Gesamtsieg 2015. (Bei Honda sitzen Hayden, Miller und Abraham auf den Open-Bikes, eventuell auch Bautista).

Während HRC vier Open-Teams (LCR, Drive M7 Aspar, AB Cardion Motoracing und Gresini) ausstatten will, konzentriert sich Yamaha völlig auf das Forward-Open-Team.

Seit Valentino Rossi im Herbst 2003 hat kein MotoGP-Fahrer ein Honda-Factory-Bike abgelehnt, um zu Yamaha zu wechseln.
«Bei LCR war meine Zukunft zu lange zu unsicher», lautet die Bilanz von Stefan Bradl. Nach dem deutschen Grand Prix hatte er offenbar seinen Kredit verspielt.

Lucio Cecchinello sagte schon im Juni, es sei ihm ein Anliegen, dass Bradl für 2015 ein schlagkräftiges Team findet, falls er ihm keinen Vertrag anbieten könne. Also hörte sich Bradl um.

Und Aprilia Racing? Der erste Kontakt zu Dario Raimondi und Romano Albesiano kam erst zustande, als die Verhandlungen mit Forward bereits weit fortgeschritten waren. Aprilia legte Wert auf einen Zwei-Jahres-Vertrag, zumal das ganz neue Motorrad erst 2016 eingesetzt wird.

Bradl wollte aber ein Motorrad, mit dem er 2015 verlässlich um Top-6-Plätze fighten kann.

«Honda hat momentan das beste Motorrad, deshalb hat HRC verständlicherweise Podestplätze von mir verlangt», ist sich Stefan Bradl bewusst. «Diese konnte ich in diesem Jahr bisher nicht liefern, deshalb wurde ich bei HRC ausgemustert. So läuft es halt. Es hat sich 2014 leider gezeigt, dass die zwei Werksfahrer von Honda und Yamaha schwer zu besiegen sind, ich bin über vierte und fünfte Plätze nicht hinausgekommen. Die Vorteile der Open-Fahrer inklusive Ducati, die im Herbst nicht absehbar waren, haben das Bild zusätzlich ein bisschen verfälscht. Ausserdem hat mir in den Rennen die Beständigkeit gefehlt, das lässt sich nicht leugnen. Dieses Manko will ich in der zweiten Saisonhälfte ausmerzen.»

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