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Grand Prix in Russland: Sotschi als letzte Ruhestätte

Von Mathias Brunner
Das Olympia- und Renngelände von Sotschi

Das Olympia- und Renngelände von Sotschi

​Das Unerwartete erwarten – dieses Motto sollte sich der GP-Reisende besonders merken, wenn er sich nach Sotschi aufmacht. In Russland ist alles ein wenig anders, das gilt auch für das Renngelände.

Die Formel-1-WM 2018 präsentierte sich in ungewöhnlichem Ablauf: vor allem deshalb, weil im Sommer Raum geschaffen werden musste, um neben der Fussball-WM von Russland zu bestehen. Eine der Konsequenzen: Sotschi rückte vom Frühlingstermin in den Herbst. Rennpromoter Sergey Worobiev blieb gelassen: «Viele Geschäftsleute haben im Frühling einen proppevollen Terminkalender, daher war uns Ende September ganz recht.»

Für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi wurde ein gewaltiger Aufwand betrieben: Das eindrucksvolle Gelände, auf dem noch während des Baus das Fundament für die spätere GP-Piste eingearbeitet wurde, begann als weisses Blatt Papier; allerdings als ein Blatt mit einem kleinen Fleck. Denn es dürfte sich um die einzige Olympia-Anlage oder spätere Rennstrecke handeln, auf welcher ein Friedhof zu finden ist.

Was wie schwarzer Humor aus Grossbritannien klingt, ist Realität am Schwarzen Meer: Der kreisrunde, mit Bäumen geschmückte Bereich, gleich neben dem Olympischen Stadion, ist die letzte Ruhestätte einer Puristensekte der russisch-orthodoxen Kirche. Das zuvor meist als Acker- oder Weideland genützte Gelände geht auf Siedler zurück, die sich vor ziemlich genau hundert Jahren dort niedergelassen hatten. Die meisten von ihnen gehörten einer Puristensekte der russisch-orthodoxen Kirche an, sie wurden in Russland jahrelang verfolgt, viele wanderten aus. Zar Nikolas II. lud sie zurück ins Land ein, die erste Siedlung entstand 1911. 1915 wurde der Friedhof gebaut.

Ein Friedhof auf einer Rennanlage, das mag manchem etwas makaber vorkommen. Ein schlechtes Omen muss es dennoch nicht sein: Der Italiener Arturo Merzario fuhr jahrelang mit Werbung für eine Firma, die Menschen zur letzten Ruhe bettete. Der kleine Arturo war immer knapp bei Kasse, also konnte er in Sachen Geldgeber nicht wählerisch sein. Doch als er 1979 am unteren Ende der Heckflügelplatte ein weisses Kreuz in einem Kreis auf schwarzem Grund spazierenfuhr, wollte Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone dann doch wissen, um welches Produkt es sich handelt. Der Engländer staunte nicht schlecht, als ihm Merzario eröffnete, bei «La Varesina SOFAM – Onoranze Funebri» handle es sich um ein Bestattungsunternehmen. Ecclestone fand das doch ein wenig makaber, und so verschwand der Schriftzug diskret. Die Firma gibt es übrigens heute noch.

Und auf dem früheren Strassenkurs von Phoenix (Arizona) rasten die Formel-1-Rennwagen Runde für Runde an einem Bestattungsunternehmen vorbei. Das hat keinen gestört.

Viele Formel-1-Journalisten lassen den Russland-GP aus, so wie auch das Rennen in China. Die Visa-Bedingungen sind ihnen zu umständlich, oder sie verzichten, weil sie sich mit der Politik von Russland oder China nicht anfreunden können.

Viele jener, die doch nach Sotschi reisen, stöhnen über die strengen Sicherheitsauflagen an der Rennstrecke: Jeden Morgen packen Tausende von Menschen ihre Rucksäcke aus, stellen ihre Laptops, Handys und Tablets an (um zu beweisen, dass die keine Attrappen sind), werden abgetastet und befragt. Das Personal bei den Kontrollen ist unterschiedlich freundlich. Die meisten sprachen 2014 bei der Premiere nur Russisch, das machte die Kommunikation nicht einfach – denn unser Russisch beschränkte sich auf ein paar Brocken. Der Organisator reagierte damals schnell: Scheinbar aus dem Nichts stand einen Tag später zusätzliches Personal da, das tadellos Englisch redete.

Viele im Fahrerlager sind bis heute von den Kontrollen genervt, aber grundsätzlich gilt: Es wird zu unser aller Schutz gearbeitet, Geduld bringt auch hier Rosen. Wenn wir auf der Welt herumjetten, regen wir uns über die Sicherheitskontrollen auch nicht mehr auf, also.

Klar gibt es hin und wieder skurrile Situationen: Ein Kollege aus England musste mal eine Box Papiertaschentücher abgeben (er hat einen starken Schnupfen) – wie man aus Tissues eine Bombe bauen soll, weiss ich nicht. Eine Kollegin aus Österreich sollte ihr Parfum abgeben. Dazu hatte sie verständlicherweise wenig Lust. Sie wehrte sich, und schliesslich zuckten die Kontrolleure nur mit den Achseln und liessen sie ziehen. 

Ein Fotograf, der vor mir in einer Schlage stand, hatte eines dieser famosen Schweizer Taschenmesser mit geschätzten 276 verschiedenen Funktionen dabei. Der Ordnungshüter interessierte sich nur dafür, was das Messer alles kann. Aber mitnehmen durfte es der Mann ohne Probleme.

Über die genaue Zahl von Polizisten und Soldaten auf dem Gelände wird nie etwas bekannt. Im ersten Jahr hatten wir den Eindruck: Am ersten Tag waren mehr Ordnungshüter da als Besucher, die sich für das Training interessierten.

Natürlich wirkt die Willkür der Kontrollen seltsam: Am einen Tag muss ich ich meinen Pilotenkoffer bis auf den Grund auspacken, am nächsten interessierte der Inhalt keinen, ich wurde durchgewunken, und ein Mann meinte höflich «Good luck». Die Ordnungshüter wirken von hellwach bis gelangweilt. Die meisten davon sind korrekt, einige rundheraus unfreundlich, wieder andere ausnehmend zuvorkommend. Nicht nur die Kontrollen sind wie an einem Flughafen, sondern auch das Personal.

Bisweilen sehen die Kollegen auch einfach nur Gespenster. Als der Besuch von Staatschef Vladimir Putin angekündigt wurde, kursierte unter den britischen Kollegen tatsächlich – wenn Putin komme, würden alle Funkfrequenzen gestört, um zu verhindern, dass ein möglicher Attentäter einen Sprengsatz via Radiosignal zünde. Damit wären auch zahlreiche technische Geräte der TV-Spezialisten unbrauchbar und die Übertragung sei gefährdet. Was dann in Wahrheit passierte: Putin kam, gestört wurde niemand, alles lief glatt.

Wer dieses Gerücht damals gestreut hat, weiss heute keiner mehr. Ein Dementi hat es nicht gegeben. Augenzwingernde Antwort der Russen damals auf unser Nachhaken: «Wir dementieren ja auch nicht, dass in den Strassen von Sotschi die Bären frei herumlaufen.»

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