Morddrohungen wegen Alonso-Strafe

Barcelona, Tag 4: Kimi Erster, Vettel Letzter

Von Mathias Brunner
Sebastian Vettel wurde auch ohne Regen nass

Sebastian Vettel wurde auch ohne Regen nass

Verpatztes Test-Finale des Weltmeisters, aber am generellen Trend ändert sich deswegen nichts.

Jedes Jahr erleben wir eine frische Generation von Formel-1-Rennwagen, aber einige ungeschriebene Gesetze bewahren ihre Gültigkeit. Weltmeister Sebastian Vettel sagt: «Man kann ein schnelles Auto standfest machen, aber ein zuverlässiges Fahrzeug nicht unbedingt schnell.»
 
Das Modell RB8 zickte am letzten Testtag vor dem Formel-1-Saisonbeginn (18. März in Melbourne/Australien) – Getriebeschaden. Vettel lässt sich davon nicht aus der Fassung bringen: «Mir ist lieber, die junge Dame zickt hier als in Australien.»
 
Der Fahrer selber war auch nicht ganz ohne Makel: Vettel kam nach einem Ausritt mit einem Frontflügel zur Box zurück, der wie eine Schneeschaufel angestellt war. Das war dann auch nicht mit Regenschirmen zu verhüllen, wie das die Mechaniker am Heck jeweils taten.
 
Erst neun Minuten vor Test-Ende und als Tabellen-Letzter ging der Weltmeister noch einmal auf die Bahn: Wer von seinen Runden auf der Mischung mittel eine Wunderrunde erwartete, wurde enttäuscht – keine Verbesserung.
 
Vettel: «Natürlich wäre ich am letzten Testtag gerne mehr gefahren, aber das gehört eben auch zum Tagesgeschäft von Probefahrten.»
 
Erst am letzten Testtag vor der Saison haben wir am Auto des Weltmeisters erstmals zähflüssige FlowViz-Farbe und skurril geformte Messsondern ausmachen können. Zuvor schienen sich die Red-Bull-Racing-Techniker ihrer Sache stets sicher zu sein. Als Hinweis auf Sorgen stuft das Teamchef Christian Horner nicht ein: «Wir wollen nur im Detail sehen, was der Luftstrom so macht.»
 
Am guten Eindruck von Vettel über den RB8 konnte das nichts ändern. McLaren-Pilot Jenson Button mutmasst: «Die haben in Barcelona nie gezeigt, wozu sie wirklich fähig sind.»
 
Die Rangliste vom Sonntag ist nur teilweise aussagekräftig: Kimi Räikkönen mit Bestzeit, das erhärtet das Bild eines vorzüglich liegenden Lotus E20. 1:20,030 min – schneller ist während des Testwinters in Barcelona keiner gefahren. Eingerostet wirkt der Weltmeister von 2007 weissgott nicht.
 
Aber Bruno Senna mit einer tiefen 22er Zeit, das sagt nur die halbe Wahrheit. SPEEDWEEK-Technikexperte Gary Anderson: «Auf eine Runde ist der Williams nicht schlecht, im Dauerlauf aber sind die Rivalen besser aufgestellt. Bei einem weiteren Augenschein entlang der Strecke hat mir erneut der Lotus sehr gut gefallen, selbst wenn ich glaube, dass Red Bull Racing und McLaren mehr können.»
 
Andere Beobachtungen: Force India und Sauber fahren auf höherem Niveau als Ferrari, wo Fernando Alonso Herkules-Arbeit verrichtet und den roten Renner besser aussehen lässt als das Chassis in Wirklichkeit ist.
 
Aber der Red Bull Racing RB8 ist nicht das einzige schnelle Auto, das zickt. Kamui Kobayashi musste den Sauber wegen eines Motorproblems ausrollen lassen, Nico Hülkenberg musste seine GP-Simulation abbrechen (nach 40 von 66 Runden, Grund noch unklar). Das alles ist freilich Pippifax gegen die Sorgenliste von Ferrari.
 
Im berühmtesten Rennstall der Welt brennt es lichterloh. Der Maulkorb für die Fahrer hat den Goodwill gegenüber der Scuderia nicht verbessert, im italienischen Blätterwald rauscht es tüchtig. Die Formel-1-Journalisten aus Italien und Spanien reagierten pikiert, als bekannt wurde, dass Alonso als Gast eines Fussballspiels des FC Barcelona durchaus nicht nur übers runde Leder sprach …
 
Ein Beobachter in Barcelona: «Ferrari scheint nichts verstanden zu haben – weder das eigene Auto noch ein gepflegtes Krisen-Management. Gerade wenn es nicht gut läuft, muss man offensiv kommunizieren. Wo die Information aufhört, beginnt die Spekulation. Und damit noch mehr Wirbel um das Team.»
 
Testfazit von Gary Anderson nach seinem Spaziergang um die Strecke: «Die Reihenfolge ändert sich jeden Tag ein wenig, gemäss des Tagesprogramms der Rennställe. Aber die Vorkommnisse von heute haben meinen generellen Eindruck nicht mehr ändern können – Red Bull Racing und McLaren liegen vorne, Lotus traue ich eine Überraschung zu, Mercedes ist vierte Kraft, muss sich aber gegen eindrucksvolle Mittelfeldler in Acht nehmen. Das sind Sauber, Force India und Toro Rosso. Dann folgt Caterham vor Williams. Marussia und HRT werden ohne vernünftiges Testprogramm im ersten WM-Drittel steinhartes Brot essen müssen.»
 
«Im Grunde geht es mir wie jedem Fan: Nun fiebere ich der Saison entgegen, um herauszufinden, ob ich mit meiner Einschätzung richtig liege. Ich bin aber überzeugt davon, dass wir noch spannendere Rennen als 2011 erleben werden.»
 
 
Die schnellsten Zeiten vom Sonntag
1. Kimi Räikkönen (FIN), Lotus E20-Renault, 1:22,030 (120 Runden)
2. Fernando Alonso (E), Ferrari F2012, 1:22,250 (114)
3. Bruno Senna (BR), Williams FW34-Renault, 1:22,296 (53)
4. Nico Hülkenberg (D), Force India VJM05-Mercedes, 1:22,312 (101)
5. Kamui Kobayashi (J), Sauber C31-Ferrari, 1:22,386 (72)
6. Lewis Hamilton (GB), McLaren MP4/27-Mercedes, 1:22,430 (115)
7. Vitaly Petrov (RU), Caterham CT01-Renault, 1:22,795 (101)
8. Michael Schumacher (D), Mercedes MGP W03, 1:22,939 (99)
9. Pastor Maldonado (YV), Williams FW34-Renault, 1:23,347 (47)
10. Daniel Ricciardo (AUS), Toro Rosso STR7-Ferrari, 1:23,393 (100)
11. Sebastian Vettel (D), Red Bull Racing RB8-Renault, 1:23,608 (22)

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