KTM-Krise: MV Agusta steht vor dem Verkauf

Werksteam? Forward ist zahlender Kunde bei MV Agusta

Von Günther Wiesinger
Stefano Manzi auf der MV Agusta

Stefano Manzi auf der MV Agusta

Jetzt ist klar, warum sich MV Agusta nie mit einer Silbe zum angeblichen Moto2-Werksteam von Forward bekannt hat. MV beliefert das Team nur gegen Bezahlung und gegen Vorauskasse.

Der italienische Forward-Teambesitzer Giovanni Cuzari gilt als Schlitzohr, als mehrlichtige Figur mit einer Vergangenheit als Untersuchungshäftling (im Juli 2015), in Mailand wurde er zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt. Wegen seines zweifelhaften Rufs hat die Dorna Forward nach der Saison 2015 die beiden MotoGP-Plätze weggenommen.

Danach fiel Cuzari bei Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta in Ungnade, weil er sich öffentlich über die unzureichenden finanziellen Zuschüsse für die Moto2-Teams beschwerte. Der Spanier ließ dem Forward-Teamchef ausrichten, er solle sich zurückziehen, wenn ihm die Zustände nicht gefallen.

Denn immerhin subventioniert die Dorna ein mittelprächtiges Moto2-Team mit rund 200.000 Euro im Jahr. Für die Triumph-Einheitsmotoren werden sogar nur 20.000 Euro pro Fahrer und Saison in Rechnung gestellt.

In der Branche ist Cuzari seit Jahren für seine schleppende Zahlungsmoral bekannt – und für seinen sparsamen Umgang mit der Wahrheit.

Im Oktober 2015 kündigte der illustre Teambesitzer beim Sepang-GP an, er werde für MV Agusta 2016 als Teamprinzipal für die Superbike- und Supersport-WM tätig sein, er werde MV Agusta 2017 in die MotoGP bringen, dazu werde die italienische Traditionsmarke MV Agusta für die Saison 2019 voraussichtlich die Dreizylinder-Moto2-Einheitsmotoren aus dem Modell F3 liefern.

Kein Wort davon ist jemals wahr geworden.

Zwar posierte der notorische Schwadronierer Cuzari schon 2017 beim Misano-GP bereits mit einer Moto2-Maschine, die mit einer in MV-Design gestalteten Verkleidung kostümiert war. Doch die MV-Agusta-Verantwortlichen machten dann beim Valencia-GP 2017 deutlich, dass sie auf keinen Fall 2018 im letzten Jahr der 600-ccm-Honda-Motoren einsteigen würden, denn das sei reine Zeit- und Geldverschwendung. Und falls MV 2019 offiziell als Chassis-Hersteller mitmache, dann nur mit einem Spitzenteam.

Es fand sich jedoch kein Top-Moto2-Team, das sich auf eine Partnerschaft mit jenem italienischen Werk einlassen wollte, das in den letzten 20 Jahren von dauernd Besitzwechseln, von Zahlungsunfähigkeit, Millionenschulden, Produktionsstopps wegen Schulden bei den Zulieferfirmen und anderen Ungereimtheiten geprägt war. Der Ausstieg von AMG Mercedes wurde als Signal betrachtet, die deutsche Firma schlug ihren 25-Prozent-Anteil an dem kränkelnden italienischen Patienten bald wieder los.

Im Jahr 2015 sollen bei MV Agista ca. 11.000 Motorräder produziert worden sein.

Forward: Niemand wollte für 2018 Bikes liefern

Forward und Cuzari hatten schon vor der Saison 2018 ernsthafte Probleme, noch einen Moto2-Chassis-Lieferanten zu finden. Kalex wollte wegen der nicht gerade hinreißenden Zahlungsmoral nicht mehr, Speed-up machte sich ähnliche Sorgen, außerdem steht bei Luca Boscoscuro die Qualität des Teams im Vordergrund. KTM zeigte kein Interesse und verlangte außerdem Vorauszahlung; NTS hatte einen Exklusivvertrag mit RW Racing.

Und Suter Industries kündigte im November 2017 den Rückzug aus der Moto2-WM an, nachdem Domi Aegerter zwar in Misano als Erster über den Zielstrich gefahren war, aber außer Kiefer und Intact keine Kunden ins Sicht waren, das Projekt also nicht kostendeckend betrieben werden konnte.

Drei Tage nach der Ankündigung des Suter-Rückzugs meldete Cuzari, er werde 2018 das Suter-Werksteam in der Moto2-WM bilden.

Firmenchef Eskil Suter widersprach damals im Interview mit SPEEDWEEK.com: «Wir geben Forward nur das existierende Material. Aber wir betreiben keine Weiterentwicklung und auch keinen On-Track-Support bei den Grand Prix.»

Entsprechend sah die Forward-Bilanz 2018 aus: Manzi heimste im ganzen Jahr als Forward-Aushängeschild acht WM-Punkte ein, er landete in der WM als «Suter-Werksfahrer» an 24. Stelle. Teamkollege Isaac Viñales blieb punktelos, sein Nachfolger ebenfalls.

Wegen des ausbleibenden Erfolgs genießt Forward beim Selektions-Komitee längst keinen Artenschutz mehr. Für 2019 wurde erstmals ein Platz gestrichen, er konnte nur als «commercial entry» beansprucht werden. Das heißt: Dorna und IRTA zahlen für den zweiten Forward-Pikoten keine Zuschüsse mehr. So gehen dem sowieso finanzschwachen Team mehr als 200.000 Euro an Einnahmen verloren.

Wie schon bei Suter kündigte Forward vor einem Jahr pompös an, MV Agusta werde als Werksteam 2019 in die Grand Prix Weltmeisterschaft zurückkehren, das in Agno/Tessin beheimatete Cuzari-Team sei als Partner für das Werk auserwählt worden.

Jetzt hat sich herausgestellt: Forward entspricht nicht einmal dem Hauch eines MV Agusta-Werksteams.

Denn das Material und die Entwicklung bei CRC (Castiglioni Research Centre) in San Marino müssen bezahlt werden, sogar gegen Vorauszahlung, ist zu hören.

Jetzt ist auch klar, warum weder auf der Firmen-Website von MV Agusta eine Silbe über das ominöse Moto2-Projekt verloren wird und das Moto2-Projekt auch auf der Homepage bei der offiziellen Rennabteilung MV Agusta Reparto Corse von Teambesitzer Andrea Quadranti, der Weltmeister Randy Krummenacher als MV-Aushängeschild für die Supersport-WM 2020 engagiert hat, totgeschwiegen wird.

Die Moto2-Teilnahme ist kein MV-Werkseinsatz, sondern nur ein extern bezahlter Entwicklungsauftrag.

CRC und MV Agusta hatten für die Moto2-Klasse gar keine Manpower, keine Expertise und mein Know-how.

Deshalb wurden die ersten zwei Rolling-Chassis für Forward von MV bei Suter Industriers in Auftrag gegeben. Nach dem 30. November wurde dieser Entwicklungsauftrag nicht mehr verlängert.

Und das Forward-Team rückte im Juni mit einer Werodynamik aus, die ihm Plagiatsvorwürfe von Kalex-Chef Alex Baumgärtel eintrug. «Das ist unsere Verkleidung», ereiferte sich Baumgärtel, dessen Motorräder die Moto2-WM seit 2013 dominieren und auch 2019 Fahrer- und Marken-WM gewonnen haben. «Bis auf den Lufteinlass ist  sie mit unserer identisch. Sogar die Schnellverschlüsse befinden sich an denselben Stellen wie bei uns.»

Forward posaunte im Juni, man habe die Verkleidung von der Cagiva 500 des Jahrgangs 1994 abgekupfert. Zur Erinnerung: Damals war die Castiglioni-Familie, die jetzt Mitinhaber von MV Agusta ist, Besitzer der Marke Cagiva, die inzwischen beerdigt wurde.

Nach dieser kabaretthaften Darbietung sprang sogar Eskil Suter den Kollegen von Kalex zur Seite. «Da geht es für mich gar nicht um die Frage, ob die Zweitakt-Cagiva 500 im Jahr 1994 schon eine Airbox hatte. Auf jeden Fall war die Technik vor 25 Jahren weit, weit, weit von heute weg. Der cw-Wert oder Luftwiderstandsbeiwert der Cagiva von 1994 war gegenüber den heutigen Ergebnissen lachhaft. Das sind Hirngespinste, was die Forward-Leute da erzählen», hält Suter fest. Nachsatz des Schweizer Firmenchefs, der 2010 und 2012 in der Moto2 die Konstrukteurs-WM gewann:    «Von mir kriegt Forward keine Schraube mehr.»

Giacomo Agostini: kein Verständnis

Giacomo Agostini, der von 1965 bis Ende 1973 als MV Agusta-Werksfahrer unterwegs war und für das Werk aus Gallarate 13 seiner 15 WM-Titel gewann, machte sich deshalb über das Forward-Moto2-Projekt lustig. «Das ist doch ein reiner Marketing-Gag», wetterte «Ago nazionale» im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Die Mechaniker sind nicht von MV, die Motoren sind nicht von MV, die Gabeln sind nicht von MV, die Räder sind nicht von MV. Nichts! Was soll das?»

Langsam können wir die Platte von Cuzaris «Werksteam» nicht mehr hören. Denn schon vor der Saison 2015 kündigte er an, er werde künftig das FTR-Werksteam bilden.

Aber schon beim ersten Moto2-Test in Valencia fehlten Forward und FTR. Cuzari kaufte dann das ramponierte Kalex-Material des Blusens-Teams auf.

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