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Rainey & Lorenzo: Die Menschlichkeit der Weltmeister

Kolumne von Michael Scott
Jorge Lorenzo verabschiedete sich würdevoll

Jorge Lorenzo verabschiedete sich würdevoll

Die beeindruckende MotoGP-Karriere von Jorge Lorenzo ging vor einer Woche in Valencia zu Ende. Kurz zuvor hatte schon Wayne Rainey für einen emotionalen Moment gesorgt.

Zwei Momente innerhalb von zwei Wochen, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, aber doch untrennbar verbunden sind. Beide wecken tiefe Emotionen und zeigen die lebensbejahende Menschlichkeit des oft zwingend hartherzigen Hedonismus im Motorradrennsport.

Der erste Moment war am 8. November, als auf YouTube ein Film mit dem Titel «Wayne Rainey Rides Again» (zu Deutsch: «Wayne Rainey fährt wieder») auftauchte. Der Titel sagte schon alles, aber der Kurzfilm verriet noch viel, viel mehr. Der dreifache 500-ccm-Weltmeister Wayne Rainey (59), der fast die Hälfte seines Lebens von der Brust abwärts gelähmt ist, saß wieder auf einem Motorrad.

Die Yamaha R1 wurde ein wenig umgebaut – ein besonderes Material wurde für den Sitz verwendet, damit er sicher im Sattel saß, es wurden Halterungen auf den Fußrasten und eine Handschaltung montiert. Außerdem standen einige Leute bereit, die das Motorrad aufrecht hielten, damit er losfahren konnte, und ihn auffingen, als er wieder zurück in die Pitlane kam.

Der Rest war einfach, aber brillant. Rainey bekam schnell ein Gefühl dafür und in seiner zweiten Runde drehte er das Gas auf, lehnte sich richtig in die Kurven, fand den Flow und genoss die Power. Einfach die Freude, mit einem Motorrad zu fahren. Ein einzigartiges Gefühl, das – davon gehe ich aus – jeder, der das liest, verstehen kann. Und das zum ersten Mal seit dem 3. September 1993, als er in Misano verhängnisvoll ins Kiesbett geschleudert wurde.

Rainey hat oft darüber gesprochen, wieder zu fahren. Schon damals, als wir einige Jahre nach seinem Unfall gemeinsam an seiner (ich wage zu sagen) endgültigen Biografie gearbeitet haben. Jetzt zu sehen, dass er es wirklich gewagt hat, und danach in sein immer noch jugendliches Gesicht zu blicken, war für mich persönlich zutiefst ergreifend.

Nur wenige Tage später – dasselbe Bild, eine andere Geschichte. Jorge Lorenzo gab am 14. November seinen Rücktritt bekannt. Ruhig, würdevoll und redegewandt, in seiner gewohnten Art der kontrollierten Anspannung, erklärte er geduldig und im Detail, was ihn am Ende dazu bewegt hat aufzuhören – noch bevor er sein letztes Ziel erreicht hatte und schon während er in Assen über den Kies geschleudert wurde.

Sein Ziel war eigentlich der fünfte Fahrer zu werden, der in der Königsklasse auf drei verschiedenen Fabrikaten gewinnen konnte – Eddie Lawson (Yamaha, Honda, Cagiva), Randy Mamola (Suzuki, Honda, Yamaha) und Loris Capirossi (Honda, Ducati, Yamaha). Dieses Ziel verfolgt er nicht mehr.

Beim Crash in Assen erlitt Lorenzo im Juni einen Bruch des sechsten Brustwirbels und einen Haarriss am achten Brustwirbel; dabei darf man nicht vergessen, dass er nur wenige Tage zuvor beim Montagstest in Montmeló einen spektakulären Sturz unversehrt überstand. Es war sein jüngster Abflug auf der RC213V 2019, einem Motorrad, mit dem nur Márquez konstant schnell fahren konnte – und der letzte Zwischenfall in einer unglücklichen Serie, die schon in den letzten Rennen der Saison 2018 begann und einen Kahnbeinbruch während der Wintervorbereitung beinhaltet.

Sein Vertrauen in die ohnehin schwierige Honda war dahin. Im Vergleich zu den hart bremsenden, «stop-and-go»-Fahrern wie Márquez und Crutchlow ist der Style von Jorge sanft und präzise, er hält den Speed in den Kurven und verlässt sich auf die Front.

Dank seiner Geduld, Beharrlichkeit und Intelligenz sowie Anpassungen des Motorrads und seines Fahrstils ist es ihm 2018 gelungen, in seinem zweiten Ducati-Jahr ähnliche Probleme zu überwinden. Er gewann wieder Rennen und war stets an der Spitze zu finden. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte Ducati – zu ihrem Leidwesen – die Geduld schon verloren. Honda war bereit, die Scherben aufzusammeln.

Nach eine Zwangspause von vier Rennen kam der 32-jährige Lorenzo im August diesen Jahres in Silverstone pflichtbewusst zurück, nachdem er versucht hatte, sich alle Zweifel, die nach dem Sturz in Assen aufgekommen waren, auszureden. Aber er konnte sich nicht mehr einreden, dass es das Risiko wert war. Es war hart ihn so zu sehen. Er sammelte mit drei 14. Plätzen und einem 13. Rang zum Abschluss noch ein paar Pünktchen, aber genauso oft landete er am Ende des Feldes. Eine traurige Parodie des einst so genialen MotoGP-Piloten.

Natürlich ist die volle Leistungsbereitschaft der Schlüssel zum Erfolg. Fahrerische Fähigkeiten und taktischer Verstand sind Voraussetzung. Diese können natürlich vorhanden sein oder erlernt werden. Unbedingte Hingabe macht Weltmeister aus. Die Art von Hingabe, die Lorenzo auszeichnete, als er sich 2013 in Assen sein Schlüsselbein brach. Er flog nach Spanien, ließ sich eine Platte einsetzen, kam nach Assen zurück und wurde am nächsten Tag Fünfter. Sogar er selbst beschrieb es damals als «etwas Unglaubliches».

Nur einer von etlichen Erfolgen in einer Karriere, in der Lorenzo oft allein dastand. Ein unbeliebter Gegenspieler des – in seinen Augen – gefährlichen Fahrstils von Márquez und Simoncelli, um nur zwei Namen zu nennen.

In Interviews hat sich Lorenzo zuletzt oft auf Rainey bezogen, dessen Mythos in der Welt des Rennsports immer noch präsent ist und dessen Hingabe seither viele Fahrer inspiriert hat. Einen Monat vor seiner folgenschweren Wirbelsäulenverletzung war Rainey gestürzt und hatte sich den unteren Rücken lädiert. Obwohl es keine direkte Verbindung zu seiner späteren Lähmung gab, war der Zufall groß genug, um Jorge abzuschrecken.

Sein Abschied ist ein Verlust für die Qualität des Rennsports. Jorge war immer ein hochkarätiger Fahrer und ein beeindruckend tiefgehender Charakter.

Ich persönlich bin stolz sagen zu können, dass ich ihn kennengelernt habe. Dass ich sie beide kenne. Und ich bin froh, dass ich mir das Leiden von Jorge nicht mehr länger anschauen muss.

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