Marc Márquez: In Rossi hat er seinen Meister gefunden

Von Günther Wiesinger
Assen, letzte Runde, letzte Schikane: Der Angriff von Marc Márquez war aussichtslos

Assen, letzte Runde, letzte Schikane: Der Angriff von Marc Márquez war aussichtslos

Honda hat 2015 nicht das schlagkräftigste Motorrad, ohne Zweifel. Marc Márquez fährt deshalb mit überhöhtem Risiko, aber Rossi und auch Lorenzo lassen ihn abblitzen.

Das Duell Valentino Rossi gegen Marc Márquez bei der Dutch-TT erhitzte die Gemüter.

Marc Márquez bildete sich noch eine halbe Stunde nach der Zieldurchfahrt ein, die Race-Direction werde Rossi womöglich bestrafen und auf Platz 2 versetzen.

Für welches Vergehen?

Dafür, dass er in der letzten Runde als Spitzenreiter sauber in die letzte Schikane eingebogen war, so weit rechts innen, dass Márquez nur auf den holprigen Bordsteinen attackieren konnte?

Sollte fehlerloses Rennfahren jetzt auch schon strafbar sein?

Repsol-Honda-Teamprinzipal Livio Suppo hatte auf den Monitoren der Race-Direction nach wenigen Sequenzen der Videoaufzeichnung erkannt, dass Rossi nichts vorzuwerfen ist und bei den TV-Interviews im Parc Fermé sofort erzählt, dass es zu keinem Protest kommen werde.

Ausgerechnet Márquez. Ausgerechnet er hoffte auf eine Bestrafung des Gegners. Hat er in Laguna Seca 2013 beim Überholen von Rossi in der «Corkscrew» keine Abkürzung genommen, allerdings ohne Bedrängnis, sondern in kühler Berechnung des kürzeren Weges?

Klar, Rossi hat die Strecke am Samstag in Assen nach dem Rempler des spanischen Weltmeisters verlassen und durch das Kiesbett abgekürzt. Aber auf diesen Ausritt hätte der Movistar-Yamaha-Werkspilot genau so gerne verzichtet wie auf den Bodycheck seines Gegners auf der Werks-Honda.

Wer vorne ist, dem gehört die Kurve.

Der Angriff von Márquez war eine Verzweiflungstat, ohne Aussicht auf Erfolg.

Hatte der vierfache Weltmeister erwartet, der grosse Rossi mit seinen 20 Jahren GP-Erfahrung würde die M1-Yamaha freundlich aufrichten und die Repsol-Honda mit der Nummer 93 vorbei winken? Weil er eh schon 69 Punkte vor dem Weltmeister lag?

Da kennt er den Doktor schlecht. Rossi ist ein Meister der taktischen Kriegsführung. So hat er seine Rivalen Biaggi und Gibernau und später teilweise auch Stoner zermürbt. So hatte er 2008 versucht, den aufstrebenden Jorge Lorenzo aus der Fassung zu bringen, indem er ihm im Yamaha-Werksteam die mittelmässigen Michelin-Reifen zuschanzte und sich selber exklusiv die überlegenen Bridgestone-Pneus zukommen liess, die Stoner 2007 bei Ducati zum WM-Titel getragen hatten.

Ausserdem hatte Rossi seine gestiegene Risikobereitschaft in Assen bereits im Qualifying mit einer Pole-Position dokumentiert und mit Bestzeiten in den freien Trainings.

Rossis unerschütterliches Selbstbewusstsein hat triftige Gründe: Er hat in den letzten 62 MotoGP-Rennen nur drei Nuller verzeichnet. Rossi hat bei den letzten zwölf Rennen zwölf Podestplätze und vier Siege eingeheimst.

Márquez hat etwas von seinem Glanz verloren: Er hat bei den letzten 14 MotoGP-Kräftemessen sechs Rennstürze fabriziert (Rossi einen), dazu drei Siege, Rossi hingegen vier.

Und Honda hat 2015 erst einen Sieg errungen, Yamaha sieben.
Schon Valentinos legendärer Crew-Chief Jeremy Burgess hat immer betont: «Keiner fährt in der letzten Runde so schnell wie Valentino.»

Es ist unbestritten: Die Yamaha ist seit Sommer 2014 das bessere Rennmotorrad, besonders über die Renndistanz,
Rossi drehte in der 25. und vorletzten Runde in Assen seine schnellste Runde, Márquez schon in der vierten.

Völlig verblüffend ist folgende Tatsache: Yamaha hat elf der letzten 14 Rennen gewonnen, Honda drei.

Wir erinnern uns an die Saison 2014, als Honda und Márquez die ersten zehn Rennen der Saison fast im Alleingang gewann. In Assen kamen die anderen drei Honda-Fahrer im geschlagenen Feld ins Ziel: 6. Crutchlow. 8. Pedrosa. 13. Redding.

Mit Rossi ist nicht gut Kirschen essen

Valentino Rossi hat dem jungen Márquez in diesem Jahr schon zweimal gezeigt, dass im Zweikampf gegen ihn nicht gut Kirschen essen ist. In Argentinien stürzte Márquez, in Assen musste er sich geschlagen gegen – ohne Wenn und Aber.

Jetzt ist der Titel für Márquez und Honda endgültig verloren. 74 Punkte sind in zehn Rennen gegen Rossi nicht aufzuholen, die 64 Punkte auf Lorenzo wohl auch nicht.

Ungemütlich wird die Situation nur, wenn Marc Márquez jetzt in der Gewissheit, in der WM ohnedies nichts mehr zu verlieren zu haben, bei den restlichen Rennen wieder völlig ohne Rücksicht auf Verluste fährt wie so oft in der Saison 2013. Dann fürchte ich um seine Gesundheit und jener seiner Widersacher.

Dass der Selbsterhaltungstrieb bei Márquez irgendwie ein kümmerliches Dasein fristet, haben wir schon unzählige Male erlebt, auch in der Moto2-WM. Zuletzt am Donnerstag in Assen, als er in der Out-lap im ersten freien Training bei 250 km/h übers Hinterrad wegrutschte und im Kiesbett und in der Wiese landete.

Auch die unvergessliche Quali-Runde in Texas im April 2015 brachte ihn zehnmal in Sturzgefahr.

Rossi stand in den letzten 44 Rennen zweimal auf der Pole-Position. Márquez 25 Mal. Das sagt einiges aus.

Aber Rossi bestreitet seine 20. GP-Saison, er hält bei neun WM-Titeln und 111 GP-Siegen.

Kein Zweifel: Rossi kennt die richtige Dosis, wenn es um das Abwägen von Risiko und um das Fahren mit Köpfchen geht.

Valentino hat viel Respekt vor Marc Márquez. Aber er weiss: Diese ungestüme Fahrweise, dieser Übermut und dieser blindwütige Siegeswille können irgendwann einmal gründlich schiefgehen.

Vielleicht war die Niederlage in Assen für Marc Márquez ein kleiner Denkzettel. Ein Blick auf den WM-Stand zeigt uns: Er ist kein Überirdischer.

«In den letzten Jahren sind bei Márquez alle Harakiri-Manöver gut gegangen, in diesem Jahr gehen sie meistens schief», stellte Dani Pedrosas ehemaliger Crew-Chief Mike Leitner in Assen fest.

Seit 2010 hat Marc Márquez seine Titel gegen Nico Terol und Pol Espargaró (125 ccm) gewonnen, 2012 wieder gegen Pol Espargaró und gegen Andrea Iannone, 2013 gegen Lorenzo und 2014 quasi im Alleingang.

Es sieht so aus, als habe er – zumindest in der Saison 2015 – in Valentino Rossi seinen Meister gefunden.

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