Ein Hoffnungsschimmer bei der KTM AG

Dirk Debus: Kritik und Lob für Stefan Bradl

Von Günther Wiesinger
Dirk Debus, Stefan Bradl, sein damaliger Crew-Chief Sergio Verbena und Forward-Teambesitzer Giovanni Cuzari

Dirk Debus, Stefan Bradl, sein damaliger Crew-Chief Sergio Verbena und Forward-Teambesitzer Giovanni Cuzari

Der deutsche Data-Recording-Spezialist Dirk Debus hat 2015 mit Stefan Bradl bei Forward-Yamaha eng zusammengearbeitet. Er bezeichnet Bradl als «Fahrtechnik-Talent», sieht aber auch gewisse Schwächen.

Der deutsche Elektronik-Ingenieur Dirk Debus hat in der MotoGP-Saison 2015 acht Rennen lang bei Forward Racing mit Stefan Bradl zusammen gearbeitet. Nach der Verhaftung von Teambesitzer Giovanni Cuzari und Bradls Wechsel zu Aprilia erschien Debus bei keinem Rennen mehr.

Aber er hat sich in der ersten Saisonhälfte einen guten Überblick über die Stärken und Schwächen von Stefan Bradl verschaffen können. Debus ist der Ansicht, der Bayer habe sein Können bisher nicht zur Gänze entfaltet, in Bradl schlummere noch ungenütztes Potenzial.

Und er hat eine Erklärung für die verbesserungswürdige Rennperformance des Aprilia-Werkspiloten, der seinen Teamkollegen Bautista seit Indy bei acht von neun Qualifyings besiegt hat, aber in neun Rennen nur einmal vor dem Spanier ins Ziel kam.

«Stefan ist mit den Bridgestone-Reifen in der Kurve zu lange auf der 'edge' gefahren, auf der Reifenkante. Dadurch überhitzte die Kante. Er beschleunigt super früh, hebt aber das Motorrad nicht ein bisschen an, dadurch dreht das Hinterrad durch, das nimmt die Traction Control noch weg, aber das Motorrad geht ihm seitlich raus. Das hat dann zum Beispiel zum Sturz im Rennen in Assen geführt, bei dem er einen Kahnbeinbruch erlitten hat. Ich will jetzt die Schuldfrage nicht auf den Fahrer schieben. Aber das Hinterrad hat bei diesem Vorfall nicht sichtbar durchgedreht, es ging nur seitlich raus. Das war die Spezialität von Aleix Espargaró, der 2014 bei Forward-Yamaha gefahren ist. Er hat diesen 'drive area'-Punkt super gut gefühlt. Er hat auch auf dem 'edge' Gas gegeben und wusste, wenn es dann durchdreht, muss er das Motorrad ein bisschen anheben und aufrichten. Das siehst du auch bei Lorenzo, das siehst du bei Márquez, bei Rossi fällt es nicht ganz so deutlich auf. Diese Fahrer bleiben in Schräglage, ihr Körper bleibt unten, und sie drücken das Motorrad mit dem Arm nach oben hoch.»

Stefan Bradl erlebte 2015 beim Australien-GP ein Desaster mit Platz 21 im Qualifying und im Rennen, was mutmasslich mit seinem Fahrstil in Zusammenhang stand. Denn eine Woche zuvor in Motegi (starker 13. Startplatz) kam der Aprilia-Pilot wesentlich besser zurecht – dort wird weniger auf der Reifenkante gefahren.

Dirk Debus pflichtet bei. «Motegi ist ein Stop-and-Go-Kurs. Stefan kann super gut bremsen und schnell in die Kurve reinfahren, das kommt ihm in Japan zugute, solange er hinten den gewünschten Grip hat. Aber sobald er dann im Rennen die 'edge' hinten heiss macht und der Reifen nicht mehr so halten will, ist er beim Reinfahren auch ein bisschen vorsichtiger, er kommt dann auch nicht mehr so schnell aus den Kurven raus, deshalb hält er die Pace im Rennen oft nicht bis zum Schluss durch.»

Bradl stellte sich in der Saison 2015 manchmal die Frage, ob er die Reifen in der ersten Rennphase oft zu stark strapazierte, denn Bautista schnappte ihn mehrmals erst in den letzten Runden. Debus empfiehlt Bradl nicht, künftig in den ersten Rennrunden mit den Reifen behutsamer umzugehen. Denn bei gewissen Anlässen (Platz 8 in Barcelona, Platz 10 in Sepang) profitierte er bis zum Schluss von der starken Anfangsphase.

«Wenn Stefan in den ersten Runden absichtlich langsamer fahren würde, würde er zu viel Zeit verlieren», sagt der deutsche Elektronik-Spezialist, der schon bei Yamaha mit Max Biaggi und Carlos Checa gearbeitet hat und später bei Kawasaki und Suzuki etliche Stars wie Nakano, Kenny Roberts junior und Capirossi aus nächster Nähe miterlebte.

«Ich habe Stefan meine Eindrücke schon ziemlich früh mitgeteilt. Anfangs hat er skeptisch reagiert und gemeint, es liege an der Traction-Control. Aber wir hatten bei Yamaha manchmal Vergleichsdaten mit Valentino Rossi und Jorge Lorenzo. Da ist Stefan ein bisschen hellhörig geworden.»

Aber natürlich lässt sich ein Fahrstil nicht von heute auf morgen gravierend umstellen, zumal er ja durchaus seine Vorzüge (sieben GP-Siege, ein WM-Titel, 19 GP-Podestplätze) hat. Das zeigt sich auch am Beispiel von Andrea Dovizioso, der eine ähnliche Fahrweise wie der deutsche MotoGP-Pilot hat.

«Bei Aprilia sehe ich jetzt die Daten nicht mehr, aber ich sehe die Ergebnisse», betont Debus. «Und das deckt sich mit dem, was ich bei Forward gesehen habe und wenn die Traction-Control gegen Ende des Rennens reagiert.»

Bradl büsste 2015 bei Rennen wie in Doha, Las Termas, Aragón und Valencia in den letzten ein, zwei Runden noch kostbare Punkte ein. Debus: «Ganz am Schluss dreht das Hinterrad arg durch, die Traction-Control reagiert zwar, aber Stefan fährt dann manchmal noch immer zu stark auf der Reifenkante. Loris Baz hat in dieser Phase das Motorrad ein bisschen angehoben und ist dann aussen rum an Stefan vorbei gefahren, weil er dadurch in der 'drive area' mehr Grip hatte.»

Könnte sich die Fahrweise 2016 durch die Michelin-Reifen stark verändern? «Das muss man sehen. Das wird sich zeigen», sagt Debus. «Die Bridgestone-Reifen haben sich so entwickelt aufgrund gewisser Fahrstile. Ich glaube, in erster Linie auch wegen Honda, weil die Honda halt richtig gut beschleunigen kann. Für dieses Motorrad waren die Reifen perfekt. Lorenzo hat dann seine Fahrweise angepasst. Und wenn wir sehen, dass Stefan wegen seiner Fahrweise in Motegi meistens sehr stark ist, kommt Valentino dort nicht ganz so gut zurecht, weil es für seinen Geschmack dort ein bisschen zuviel 'stop and-go' ist. Aber Valentino schneidet halt dort auch brauchbar ab, weil er über die Renndistanz immer sehr konkurrenzfähig ist. Die Michelin-Reifen könnten für Stefan ein Vorteil sein. Aber bisher weiss ich über diese Reifen zu wenig.»

Dirk Debus ist überzeugt, dass Stefan Bradl in der Saison 2016 wieder weiter nach vorne rücken kann. «Wir konnten bei Forward wirklich gut Sachen mit dem Yamaha-Werksteam vergleichen. Da haben wir gesehen, dass Stefan in manchen Kurven so fährt wie Valentino und teilweise besser reinbremst. Es gab wirklich Stellen, wo Valentino und Stefan wirklich absolut identisch gefahren sind. Es gibt Passagen, wo Stefan sooo super fährt. Aber es gibt pro Runde auch zwei, drei Ecken, wo Stefan zu viel Zeit verliert und meint, er habe dort kein Problem oder er meint, das liege am Motorrad von Valentino. Wenn das so wäre, wäre Valentino überall schneller. Stefan muss sich mehr bemühen, an diesen Stellen besser zu werden, er muss dort manches anders machen, dann kann er dort Zeit gutmachen. Oft lässt sich durch eine veränderte Fahrweise mehr Zeit gewinnen als durch dauernde Änderungen am Chassis-Set-up. Ich habe Fahrer erlebt, die dann jeweils zwei Runden mit unterschiedlichen Linien oder Fahrstilen gefahren sind, sich dann die Auswirkungen auf den Daten angeschaut und ihre Schlüsse daraus gezogen haben. Stefan ist ein Fahrtechnik-Talent; aber er muss noch einiges dazu lernen.»

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