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Ski-Rennläufer Marcel Hirscher: Das Kratzen am Knie

Von Werner Jessner
«Wie ich meinem motorischen Werkzeugkasten ein neues Tool hinzugefügt habe.» Marcel Hirscher spricht im «The Red Bulletin» über sein erstes Mal mit einer KTM 1290 Super Duke R.

Motorradfahren hat bei mir immer und fast ausschließlich auf der Motocross-Strecke stattgefunden. Das Bewegungsmuster auf dem Cross-Bike ist jenem auf Ski sehr ähnlich: Du kippst jeweils die Hüfte zur Außenseite der Kurve und balancierst mit dem Oberkörper aus. Die Auslösung ist fast eins zu eins vergleichbar, plus natürlich, dass du am Crosser das innere Bein wegstreckst und, ganz wichtig: Der kurveninnere Arm muss durchgedrückt sein, damit das nach was ausschaut. Lustig auch: Am Motorrad machen mir Sprünge nichts aus, während ich auf Skiern Luftstand eigentlich nicht so gern habe. Ich bin halt mehr ein Techniker, weniger die Wildsau aus Natur. Am Motocross-Bike fährst du bei einem neuen Sprung jemandem nach, der das kann, und wenn du seinen Speed hast, dann klappt das in der Regel auch.

Marcel Hirscher im «The Red Bulletin»: «Ich bin mehr ein Techniker, weniger die Wildsau aus Natur.»

Es geht sogar so weit, dass ich mich in der Luft am Bike wohler fühle als auf Skiern. Springen mit Skiern ist diffiziler. Nicht nur, dass dir da keiner vorausfahren kann, ist es auch viel schwieriger, korrekt zu landen. Beim Motocross kannst du aktiv etwas dazu beitragen, über den Sprung zu kommen. Beim Skifahren kannst du aktiv nur dazu etwas beitragen, nicht zu weit zu springen. Wenn du nach 30 Metern landen sollst, ist es ausgesprochen blöd, erst nach 100 aufzukommen. Ich gebe das auch ganz offen zu: Die Streif in Kitzbühel schnell runterzufahren, finde ich beschränkt lustig. Schnell zu fahren, weil man es muss, ist etwas ganz anderes, als so schnell zu fahren, wie man will. Ich muss zwar mit allem, was ich zu fassen kriege, um die Wette fahren, aber es geht mir dabei nicht um die Geschwindigkeit an sich, nur ums Schnellsein.

«Schnell zu fahren, weil man es muss, ist etwas ganz anderes, als so schnell zu fahren, wie man will.»

Nun bin ich aber auch vehementer Anhänger von MotoGP – solang ich dabei auf der Couch liegen kann. Wie Marc Márquez und Konsorten Kurven mit schwänzelnden Bikes am absolut letzten Drücker anbremsen und dabei mit dem Stiefel das Grip Level ertasten, ist mehr als beeindruckend. Mein Favorit ist Valentino Rossi, und mit jedem Jahr, das ich länger im Skiweltcup unterwegs bin, steigt mein Respekt vor diesem Typen. Ich habe meinen Körper jetzt fünf Jahre lang ausgequetscht wie eine Zitrone und merke, dass da nicht mehr so viel Saft drin ist und der erst wieder «nachwachsen» muss. Und Rossi macht das … wie lange?, zwanzig Jahre und mehr und ist noch immer an der absoluten Weltspitze.

«Ich habe meinen Körper jetzt fünf Jahre lang ausgequetscht wie eine Zitrone.»

In vielerlei Hinsicht ist MotoGP mit dem Skisport vergleichbar: Wir bewegen uns ohne viel Schutz dermaßen am Limit, dass manchmal sogar wir die Zeitlupe brauchen, oft sogar mehrere Male, um zu verstehen, wie wir diesen Schwung fahren konnten, ohne zu stürzen. Ich finde, MotoGP-Piloten geht es da oft ähnlich. Blicktechnik, Schwung, Fahrtechnik, Feinmotorik, Gewichtsverlagerung, da kommen so viele Parameter ins Spiel, die man korrekt zusammensetzen muss, und mich hat einfach interessiert, wie nahe man diesem Zustand als, sagen wir: ambitionierter Hobbyfahrer, der nicht völlig patschert ist, kommen kann.

«In vielerlei Hinsicht ist MotoGP mit dem Skisport vergleichbar.»

An meinem allerersten Tag auf der Rennstrecke überhaupt würde ich keine Rundenrekorde aufstellen, das war mir klar. Darum war ich locker. Mein Ziel war, Spaß zu haben, mir eine Herausforderung aufzuerlegen und eine neue Art der Bewegung zu erlernen. Ein kleines Kratzen am Knie zusätzlich wäre schön, denn von den Rittern der Stammtische weiß man ja, wie peinlich Schleifpads am Leder ohne Schleifspuren sind.

«Snowboarden habe ich auch an einem einzigen Tag erlernt.»

Grundsätzlich bin ich ein schneller Lerner, was Motorik betrifft. Snowboarden habe ich auch an einem einzigen Tag erlernt, aber das hier war viel schwieriger im Vergleich. Auf dem Rennmotorrad schiebst du die Hüfte nicht nach außen wie im Gelände, sondern zum Kurvenmittelpunkt. Mach das einmal, wenn alle Instinkte das Gegenteil schreien! Oder die Sache mit der korrekten Position der Stiefel am Bike: Anfangs stand ich bequem außen auf den Fußrasten, leichte V-Stellung. Halleluja, bin ich erschrocken, als die Zehen in Schräglage den Asphalt berührt haben! Wenn du dann aber im vierten Gangeinlenken und die Bremse nicht berühren sollst, weil sich das Bike sonst aufrichten und einen ganzen Rattenschwanz an Problemen lostreten würde, wird es mental schwierig. Da musst du dich entscheiden: Überwinde ich mich, oder bleibe ich in meiner Komfortzone und rolle langsam durch? Im Rennsport wäre die Antwort klar, aber nicht heute, nicht hier. Nicht als Einsteiger, nicht, wenn es nur um Spaß geht und nicht um Rundenzeit. Wenn mein Gefühl sagt, dass ich nachlassen soll, lasse ich nach. Da bricht mir kein Zacken aus der Krone. Mein Selbsterhaltungstrieb ist durchaus sehr gut ausgeprägt.

«Mein Selbsterhaltungstrieb ist sehr gut ausgeprägt.»

Der Moment, als es am Knie gekratzt hat, war eigentlich unspektakulär. Ich bin die Kurve gefahren wie immer, vielleicht um ein, zwei km/h mehr, dann hat es einfach gekratzt. Nicht, dass es mir so wichtig gewesen wäre, aber es hat gezeigt, dass die Lernkurve passt und ich meinem Schrank voller motorischer Fähigkeiten ein weiteres Werkzeug hinzugefügt habe. Ob ich dieses Werkzeug beim Skifahren jemals brauchen werde, weiß ich nicht. Aber die Rennstrecke sieht mich wieder, so viel ist fix.

Mehr über die Erlebnisse auf Marcel Hirscher und was er über seinen Trainer Jeremy McWillliams zu sagen hat, lesen Sie im kompletten Interview in der aktuellen Ausgabe des «The Red Bulletin» und auf https://www.redbulletin.com.

Copyright Words: The Red Bulletin, Marcel Hirscher, Werner Jessner
Images: Agnieszka Doroszewicz

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