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Gerhard Berger über Rosberg: «War auch überrascht»

Von Günther Wiesinger
Der Formel-1-Rücktritt von Nico Rosberg kam auch für Gerhard Berger überraschend. Der zehnfache GP-Sieger spricht im exklusiven SPEEDWEEK.com-Interview über die Entscheidung des neuen Champions.

Nicht viele Menschen kennen Weltmeister Nico Rosberg so gut und können sich so gut in seine Lage versetzen wie der zehnfache Formel-1-GP-Sieger Gerhard Berger, der im Sommer für den Deutschen einen neuen hoch dotierten Zwei-Jahres-Vertrag bei Mercedes ausgehandelt hat.

Aber auch für den Tiroler, der in den nächsten acht Tagen erstmals Vater eines Sohnes wird, kam der Rücktritt des World Champions aus heiterem Himmel.

Gerhard, hat dich der Rücktritt von Nico Rosberg überrascht?

?Ja, mich hat diese Ankündigung genau so überrascht wie alle andern. ?

Hat es irgendwelche Anzeichen gegeben??

Nein, überhaupt nicht. Er hat mir nur am Tag vorher eine SMS geschickt und mir mitgeteilt, dass er aufhört.

Valentino Rossi hat am Freitag gesagt, so ein Problem hätte er auch gern gehabt, aber er sei leider seit 2009 nie mehr Weltmeister geworden. Es ist wohl das Beste, was einem Spitzensportler widerfahren kann – am Höhepunkt aufzuhören.

?Ich glaube einfach, das ist eine Geschichte der Persönlichkeit. Wenn du gerade Weltmeister geworden bist, wenn du für die nächsten zwei Jahre einen Vertrag mit dem erfolgreichsten Team und wieder das beste Autos in Aussicht hast, wenn du einen riesigen finanziellen Vertrag in der Tasche hast, und wenn du dann trotzdem in der Lage bist zu sagen: Mir ist mein Gefühl das Wichtigste, deshalb fahre ich nimmer weiter. Wenn du das durchziehst... Also, ich könnte das nicht. Aber ich schätze es sehr, dass Nico das gemacht hat. Das zeigt nur, welch starke Persönlichkeit er ist.

Rosberg stößt überall auf Verständnis, obwohl er natürlich durch dieses Manöver etliche Verträge bricht, was er in Kauf nimmt. ?

Die Grundlage ist immer, dass man mit einem Werk oder einem Team zusammenarbeitet, solang man in der Lage ist, das Risiko und das enorme Engagement auf sich zu nehmen. ?Was Nico gemacht hat, ist ja ganz was anderes als wenn man einfach irgendwie abhaut und zur Konkurrenz geht. Wenn man sagt: «Ich hab’ dieses Gefühl nimmer, das Feuer ist erloschen.» Das Feuer kann ja jeden Tag erlöschen, dann steht so eine Entscheidung über jeder vertraglichen Vereinbarung, ohne dass der Akteur deshalb ein schlechtes Gewissen haben muss.?

Niki Lauda ist damals 1979 in Montréal auch ausgestiegen und hat gesagt: Ich will nicht mehr im Kreis fahren. Aber er ist vorher auf dem Nürburgring dem Tod von der Schippe gesprungen. ?

Das spielt ja alles keine Rolle. Es geht um die Frage: Sehe ich mich in der Lage, diese Leistung weiterhin zu erbringen, für mich selbst und meine Partner. Und wenn das nimmer der Fall ist, muss es jeden Tag erlaubt sein zu sagen: «Okay, ich mach’ das nimmer.» Besonders wenn bei dieser Geschichte ein gewisses Risiko dabei ist.

Mir fällt aus dem Stegreif kein Formel-1-Weltmeister ein, der fünf Tage nach dem Titelgewinn zurückgetreten ist. Auch in anderen Sportarten passiert so ein Schritt extrem selten. Jeder will noch mehr Erfolg oder noch mehr Geld verdienen.?

Deshalb sage ich ja: Ich würde das nicht zusammenbringen. Aber es ist gut, dass es jemanden gibt, der das z’sammbringt.

Das Tollste ist ja, dass jemand so stark ist aufzuhören, obwohl er so einen Vertrag in der Tasche hat, obwohl er das beste Auto hat, obwohl er gerade Weltmeister geworden ist. Aber weil ich das Feuer nicht mehr in mir spüre beziehungsweise die Kraft nimmer hab, das zu machen, ziehe ich die Konsequenzen daraus und höre auf.

Das ist so ziemlich das Steilste, was ich bisher im Sport gesehen habe.

Ich kenne auch niemanden, der das bisher so gemacht hat. Am Nächsten kommt dem Ganzen noch der Niki. Er hat ja nicht wegen dem Unfall aufgehört, sondern weil ihm das Im-Kreis-Fahren auf die Nerven gegangen ist. Und weil ihn seine Fluglinie mehr interessiert hat als die Formel 1. ?Im Prinzip ist der Niki trotzdem der einzige, der es so ähnlich gemacht hat. Sonst fällt mir keiner ein.?

Die Formel 1 hat sich in den 20 oder 30 Jahren, seit du gefahren bist, erheblich geändert. Jetzt gibt es 21 Rennen, fast doppelt so viele wie in den 1980er-Jahren. Und ein Gegner wie Lewis Hamilton kostet auch Substanz...

?Ja, klar. Klar. Ich glaube, das dies auch der ausschlaggebende Grund ist. ?Wenn du 21 Rennen plus die ganzen Tests und die PR-Auftritte in der ganzen Welt erledigen musst, dann bleibt in der Tat kaum mehr Zeit für eine Familie oder ein kleines Kind übrig. ?Es kommt immer darauf an, wie man die Prioritäten setzt. Nico sieht die Familie jetzt als den wichtigeren Teil. Er sagt, er kann sich den Rücktritt leisten, deshalb zieht er das durch.?

Was es heißt, einen Hamilton im Team zu haben, davon kann ich ein Lied singen. Ich habe bei McLaren den Ayrton Senna als Teamkollegen gehabt. Das zehrt. Darüber brauchen wir überhaupt nicht zu diskutieren.?

Ich will dir ja nicht nahe treten. Aber du hast in deiner Zeit als Senna-Teamkollege nie ernsthafte Titelchancen gehabt.?

Ja, klar. Aber ich weiß nicht, ob ich mir den Senna noch einmal freiwillig angetan hätte, wenn ich einmal den WM-Titel gegen ihn gewonnen hätte. ?Doch ich glaube nicht, dass Hamilton bei Nico für den Rücktritt ausschlaggebend war. Ich glaube ihm, was er sagt. Er wollte immer einmal Weltmeister werden, das ist ihm jetzt gelungen. ?Es gibt Fahrer, die wollen dann jedes Jahr Champion werden und der Beste in der Statistik sein. ?Und es gibt diejenigen, die sagen: «Ich will einmal Weltmeister werden. Und wenn ich dann finanziell so ausgestattet bin, dass ich mein Leben gestalten kann, dann mache ich das.»?

Es gibt genügend Rennfahrer, die wissen außerhalb des Motorsports nichts mit sich anzufangen.

?Ja, und das trifft auf den Nico Rosberg auf keinen Fall zu. Denn er ist ein intelligenter Bursche, er spricht viele Sprachen, er hat viele geschäftliche Interessen. ?Ich glaube, dem wird nicht langweilig.?

Finanziell kann sich ein Formel-1-Star so einen Rücktritt gut leisten. Nico kann ja als Mercedes-Botschafter künftig so viel verdienen wie du zu deiner Zeit als Siegfahrer in der Formel 1. ?

Wahrscheinlich, ja.?

Im ZDF hat Nico Rosberg gesagt, er will dem Sport erhalten bleiben. Welche Rolle kannst du dir für ihn vorstellen?

?Weiß ich nicht. Er findet sicher ausreichend Möglichkeiten.?

Eine Frage drängt sich natürlich auf, wir haben ja schon zahlreiche Comebacks erlebt. Wird Rosberg seinen Schritt irgendwann bereuen? Wie lange kann man aus der Formel 1 maximal wegbleiben? Kimi Räikkönen ist nach zwei Jahren Pause wieder auf hohem Niveau eingestiegen.

?Das muss man den Nico fragen. Ich schätze, diese Antwort kann er momentan selber nicht geben. ?Es kann immer Schwankungen oder Sinneswandel geben. Im ersten Moment ist man einmal froh, dass man Ruhe hat. Dann kommt wahrscheinlich eine Phase, in der dir das Rennfahren und der Wettbewerb doch wieder ein bisschen fehlen. ?Da muss man einfach abwarten und schauen, was die Zukunft bringt.?

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