Ungarn: Asphalt 61 Grad heiss, Pilot und Auto leiden

Von Mathias Brunner
​61 Grad Pistentemperatur sind am Hungaroring gemessen worden, bevor der Regen kam. Was das für den GP bedeutet und wo das hinsichtlich eines Hitzerekords in der Formel-1-Historie einzuordnen ist.

Regen hat im Abschlusstraining zum Ungarn-GP alles ein wenig durcheinandergewürfelt. Aber für Sonntag werden schon wieder 34 Grad und schönstes Sommerwetter vorhergesagt. Für den dreifachen Grand-Prix-Sieger Johnny Herbert steht fest: «Wenn ich sehe, wie heiss der Asphalt hier in Ungarn wird, dann ist das Rennen programmiert. Vorne liegen werden jene Fahrer, welche am besten verhindern, dass ihre Reifen überhitzen, vor allem die Hinterreifen leiden hier. Der Grand Prix wird vom Umgang mit den Pirelli-Walzen dominiert.» Tatsächlich wurden im freien Training zum Grossen Preis von Ungarn auf der Piste bis zu 61 Grad gemessen, kein Wunder schmelzen den Fahrern besonders die ultraweichen Reifen von Pirelli beinahe weg.

So mancher Fan wird sich die Frage stellen: 61 Grad, ist das für die Formel 1 ein Rekord? Möglicherweise kann diese Frage nie schlüssig beantwortet werden, weil zu Beginn der Formel-1-Geschichte keine genauen Messungen vorgenommen wurden und die Zeitungen oder auch Bücher unterschiedliche Werte verewigt haben.

Das Paradebeispiel ist der Argentinien-GP 1955: Die meisten Berichterstatter sprachen damals von 40 Grad im Schatten, anderen Berichten zufolge lag die Temperatur in Buenos Aires bei 37 Grad. Die Pistentemperatur betrug 52 Grad. Fakt jedoch ist: In Zeiten, als Fahrerwechsel noch erlaubt waren, wurden zahlreiche Fahrzeuge von mehreren Piloten bewegt, weil die meisten Piloten mit der enormen Hitze nicht klarkamen – nur die beiden Argentinier Juan Manuel Fangio (Sieger) und Roberto Mieres (Rang 5) schafften es ohne Ablöse ins Ziel. Sie waren diese Temperaturen in ihrer Heimat am besten gewohnt.

Reims in Frankreich galt so sicher als Hitze-GP wie in der Formel-1-Neuezit die Rennen in Malaysia oder auf dem Hungaroring. Im Juli 1959 wurde in Reims die 40-Grad-Marke mindestens gekitzelt, der US-Amerikaner Masten Gregory erlitt einen Hitzschlag. Es war so heiss, dass der Pistenbelag zu schmelzen begann – ein Effekt, den ich übrigens persöhnlich Ende der 80er Jahre in Phoenix (Arizona) beobachten konnte. Dort sollte noch heute ein Turnschuh-Abdruck von mir verewigt sein ...

Ich kann mich nicht erinnern, wer für die GP-Premiere von Dallas 1984 die Schnapsidee absegnete, ausgerechnet im Juli nach Texas auszurücken. Wir wissen nur, dass sich auch dort bei Temperaturen um die 40 Grad die Piste aufzulösen begann und in aller Eile und notdürftig repariert werden musste. Schnellhärtender Beton war nur teilweise die Lösung. Reifentechniker von Goodyear trauten ihren Augen kaum, als sie die Pistentemperatur massen – 66 Grad! Keke Rosberg trotzte der Hitze am Besten und gewann. Es war das Rennen, in dem Nigel Mansells Lotus kurz vor Schluss stehenblieb, der Brite heorisch sein Auto Richtung Ziellinie schob und dann neben seinem Wagen zusammenbrach.

Jahrelang inszenierte sich der Malaysia-GP als «heissester Grand Prix des Jahres», die hohe Luftfeuchtigkeit verstärkte den Eindruck. «Es dauerte jeweils drei bis vier Tage, bis sich dein Körper an die Hitze gewöhnt hatte», erklärte Valtteri. «Du beginnst mit etwas Training draußen, damit dein Körper richtig ins Schwitzen kommt. Wir können der Hitze nicht wie die Einheimischen widerstehen, aber diese Tage zur Akklimatisierung machen einen Unterschied aus.»

Während eines typischen Malaysia-GP erreichte der Herzschlag des Fahrers 200 Schläge pro Minute. Der Verlust von drei bis vier Liter Körperflüssigkeit war normal.

Im Juli 2014 war es in Hockenheim heiss wie in einer Bratpfanne: Der Formel-1-Tross schwitzt bei 34 Grad Lufttemperatur, die Bahn hat sich im zweiten freien Training auf zwischendurch 58 Grad aufgeheizt, wenn wir der offiziellen FIA-Messung Glauben schenken dürfen.

Der Rennrekord in Sachen Hitze geht wohl an Bahrain 2005: Die Temperatur sank während des gesamten Rennens nie unter 41,9 Grad! Fernando Alonso gewann im Renault, bei einer Pistentemperatur von 56 Grad.

Hitze in Ungarn: Auch das Auto leidet

Ungarn stellt aufgrund der hohen Umgebungstemperaturen – in den vergangenen sechs Jahren durchschnittlich 32 Grad mit einem Höchstwert von 35 Grad – sowie der Streckencharakteristik eine andere Herausforderung dar. Der enge, winklige Kurs ist für den Motor nicht das härteste Rennen. Aber das Fehlen von langen Geraden im Zusammenspiel mit dem dichten Verkehr, der durch die mangelnden Überholmöglichkeiten entsteht, bedeutet, dass die Autos nicht die nötige saubere Luft erhalten, die sie zur Kühlung benötigen.

Formel-1-Autos besitzen ein Hauptarbeitsfenster, innerhalb dessen ihre Kühlungskapazitäten an die Umgebungstemperatur angepasst werden können. Sollten sie aus diesem Bereich herausrutschen, summieren sich die Probleme jedoch schnell auf. Flüssigkeiten werden kritisch, Bremsen glühen und sowohl Motor als auch Getriebe werden belastet.

Oberflächlich betrachtet ist die Lösung für Überhitzung einfach. Man öffnet die Verkleidung und vergrössert damit die Durchflussmenge sauberer Luft durch die Kühleinlässe. Im Durchschnitt saugen Formel-1-Autos bei einer Geschwindigkeit von 300 km/h jede Sekunde fünf Kubikmeter an Luft durch die Kühler ein. Jeder Versuch, die Kühlung zu beeinflussen, erfordert einen Verzicht auf aerodynamische Performance.

Die Verkleidung zu öffnen, kostet ungefähr 300 Millisekunden pro 0,5 Kubikmeter an Kühlluft – da die Luft in die Kühler anstatt über den Heckflügel oder unter das Auto und zum Diffusor hingeleitet wird. Die Teams müssen die richtige Balance zwischen Kühlung und aerodynamischer Leistungsfähigkeit finden, besonders bei einem Performance-Verlust, der auf einer aerodynamisch sensiblen Strecke bis zu einer Sekunde pro Runde betragen kann.

Die Anforderungen an die Kühlung werden schon früh im Leben eines neuen Autos festgelegt. Dabei ist das Design der Kühler – sowohl was die Form als auch die Grösse betrifft – fest in das Chassisdesign eingebunden. Wer die Aufgabe hier unterschätzt, muss schon bald an einem kühlen Wintertestmorgen in Barcelona die Winkelschleifmaschinen zum Einsatz bringen, um auf diese Weise das Bodywork des Autos weiter zu öffnen.

Die Teams absolvieren vor jedem Rennwochenende komplexe Simulationen, um sich auf die verschiedenen Kühlungsanforderungen der 21 unterschiedlichen Strecken im Rennkalender einzustellen. Das enge, mittelschnelle Streckenlayout am Hungaroring stellt zum Beispiel andere Ansprüche an die Kühlung als beispielweise Monza mit seinen langen Geraden.

Im Kampf gegen die Überhitzung bringen die Teams ein Arsenal an Teilen zu jedem Rennen mit, um potentielle Schwierigkeiten abzudecken, die zum Beispiel durch eine falsch eingeschätzte Einstellung für die Umgebungstemperatur hervorgerufen werden können. Viele Autos besitzen eine Reihe an Luftschlitzen entlang des Cockpitrands. Diese können ausgetauscht werden, um verschiedene Stufen an Kühlung zu bieten. Zudem gibt es speziell geformtes Heck-Bodywork für besonders fordernde Rennen.

Zu Beginn des ersten Trainings sollten die Teams bereits eine Vorstellung davon haben, was sie erwartet. Dann können sie den Fahrern bereits Rückmeldung zu möglichen Problemen geben - zum Beispiel wenn die Bremsen heißer als erwartet sind. Hier können die Fahrer einen Unterschied ausmachen, indem sie Motoren-Einstellungen wechseln oder per «Lift and Coast» (Fuss vom Gas und rollen lassen) die Temperaturen kontrollieren. Wenn ein Fahrzeug aus dem Windschatten eines anderen Autos herauszieht, ist das ein Anzeichen dafür, dass der Fahrer mit einem überhitzenden Fahrzeug oder Bremsen zu kämpfen hat.

Der Umgang mit den Temperaturen ist eine Kunst für sich. Die Teams verteilen die Kühlung dabei auf verschiedene Schlüsselkomponenten, zu denen die Flüssigkeiten im Fahrzeug wie Motorwasser, Getriebeöl sowie die Bremsen zählen. Die F1-Teams gehen bei den Bremsen bis ans Limit von bis zu 1200°C. Deshalb ist es nicht ungewöhnlich, wenn sich Fahrer darüber beschweren, dass ihre Bremsen kochend heiss sind.

Ladeluft – die verdichtete Luft aus dem Turbo – muss ebenfalls gekühlt werden, bevor sie wieder durch den Motor geleitet wird. Dies optimiert die Leistungsausbeute und verhindert, dass Komponenten beschädigt werden. Seit der Einführung von KERS im Jahr 2009 (und noch mehr seit dem Beginn der Hybrid-Ära im Jahr 2014) muss auch noch ein weiterer Faktor beachtet werden: die Temperaturkontrolle der Batterie.

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