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Lebensretter Halo: Zuerst verspottet, jetzt verehrt

Von Mathias Brunner
Am GP-Wochenende von Silverstone hat der Titankopfschutz Halo gleich zwei Piloten vor schweren Verletzungen bewahrt: Formel-2-Fahrer Roy Nissany und Alfa Romeo-GP-Pilot Guanyu Zhou.

Leicht hätte das Motorsport-Festival von Silverstone zu einem düsteren Wochenende werden können: In der Formel 2 schoss das Auto des Norwegers Dennis Hauger, ausgehebelt von einem Randstein, über den Wagen von Roy Nissany. Ohne Halo hätte der Isreali erschlagen werden können.

In der Formel 1 stockte den Fans der Atem, als sich der Alfa Romeo des Chinesen Guanyu Zhou mehrfach überschlug, zum Glück hielt der Fangzaun das Geschoss davon ab, in eine Zuschauertribüne zu stürzen, danach wurde die Überlebenszelle zwischen Leitschienen und Zaun eingekeilt. Der Halo am Wagen von Zhou schützte ihn vor den Stützpfeilern der Leitschienen.

Wir nehmen den Halo heute nur noch zur Kenntnis, wenn er als wichtiges Sicherheits-Instrument seinen Dienst verrichtet. Dabei vergessen viele Fans – zu Beginn war die Einführung des Kopfschützes sehr umstritten.

Rückblende.

Der schwere Unfall von Jules Bianchi 2014 brachte für den damligen FIA-Präsidenten Jean Todt die Gewissheit: Die Forschung nach einem besseren Schutz des Fahrerkopfs musste intensiviert werden.

Der Südfranzose war im Japan-GP von der Bahn geraten, sein Renner prallte auf einen Kranwagen, Bianchi zog sich schwerste Kopfverletzungen zu und fiel ins Koma. Schon jahrelang hatten die Sicherheitsexperten des Autosport-Weltverbands FIA nach einem Konzept geforscht, um den Kopf des Piloten besser zu schützen.

Für Bianchi kam diese Forschung zu spät. Er starb im Sommer 2015, er war aus dem Koma nie mehr aufgewacht.

Mercedes-Benz schlug 2015 das Konzept des so genannten Halo (Heiligenscheins) vor, die FIA hat das verfeinert. Mercedes hat auch den Namen erfunden. Die ersten Prototypen bestanden aus Stahl. Eine erste Attrappe am Ferrari, mit welcher Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen Anfang 2016 die Sicht aus dem Autos abschätzen konnten, war aus Stahl und Kohlefaser gefertigt.
Der heutige Halo besteht aus Titan und wiegt 9 Kilogramm. Mit allen Anlenkpunkten und Verstärkungen am Chassis erhöhte sich das Gewicht eines GP-Renners um rund 14 Kilogramm. Gebaut wird der Halo von drei Spezialfirmen – CP Autosport, STT sowie VSystem. Die passenden Scharniere an den Überlebenszellen müssen die Rennställe selber bauen.

Der Autoverband FIA schreibt exakt vor, welche Belastungen der Halo aushalten muss. Andernfalls wird ein Auto nicht homologiert. Der Bügel muss einen Druck von 116 KiloNewton von oben aushalten (das entspricht fast 12 Tonnen oder dem Gewicht zweier afrikanischer Elefanten), 46 kN von vorne (4,7 Tonnen) und 93 kN von der Seite (9,5 Tonnen). Alle Tests gelten für eine Dauer von fünf Sekunden.

Der damalige Formel-1-Rennleiter und –Sicherheitsdelegierte Charlie Whiting präsentierte den GP-Piloten Forschungsergebnisse der FIA. «In 17 Prozent aller Fälle, mit mehr als einer Million verschiedener Szenarien in Sachen Objektgrössen und Aufprallwinkel, werden diese heranschiessen Teile vom Fahrer abgelenkt. Ohne Halo hätten sie alle den Piloten getroffen.»
Die Fahrer hegten trotzdem Vorbehalte: Sie glaubten, dass die Sicht beeinträchtigt werde, sie glaubten, man könne sich nicht schnell genug aus einem Wagen befreien, der umgestürzt ist, oder sie fanden den Bügel hässlich. Nico Hülkenberg spottete damals: «Das ist nicht mehr Formel 1.»
Aber Daniel Ricciardo differenzierte: «Ich bin nicht der Ansicht, dass man eher ein Held ist, wenn der Halo weggelassen wird. Der Halo ändert den Sport nicht, er ändert den Speed der Autos nicht. Aber er schützt uns besser vor herumfliegenden Objekten. Wer sich hier in die Brust wirft, weil er darauf verzichten will, den verstehe ich nicht, tut mir leid, das ist falsches Heldentum.»

Weltmeister Lewis Hamilton sprach von «der hässlichsten Modeerscheinung in der Formel-1-Geschichte. Ich schätze das Streben nach mehr Sicherheit, aber das ist Formel 1, und so wie die Autos derzeit sind, ist das in Ordnung.»

Später sagte er in einer Medienrunde: «Ich hoffe, die FIA wird die Möglichkeit eröffnen, dass der Gebrauch eines solchen Kopfschutzes freiwillig ist. Dann werde ich gewiss darauf verzichten.»

Nach und nach lösten sich die Einwände in Luft auf. Die meisten Piloten fanden nach erste Fahrversuchen im Laufe der Saison 2016: Nach einer kurzen Gewöhnungsphase ist die Sicht ganz okay.

Die Fahrer merkten: Man kann sehr wohl schnell aus einem Wagen steigen, sie sind wegen des Halo nicht gefangen, im Gegenteil – mit aufgesetztem Halo ist der vordere Teil des Chassis sogar weiter vom Boden entfernt als ohne. Die FIA führte entsprechende Versuche durch, die Testpersonen krabbelten problemlos aus dem Wagen. Romain Grosjean konnte sich in Bahrain 2020 aus seinem brennenden Wagen befreien, Lance Stroll kroch später ebenfalls aus seinem umgestürzten Rennauto (nach einer Kollision mit dem Wagen von Daniil Kvyat). Lewis Hamilton hat der Halo bei dem Unfall mit Max Verdstappen in Monza 2021 wohl ebenfalls vor schweren Verletzungen bewahrt.

Spätestens nach dem Belgien-GP 2018 wurde die Kritik leiser. Denn beim Startcrash in Spa-Francorchamps, als der von Nico Hülkenberg getroffene McLaren von Fernando Alonso abhob und über den Sauber von Rookie Charles Leclerc schmirgelte, wurde deutlich, dass der orangene Renner aus Woking seine Spuren auf dem Schutzbügel des Alfa Romeo-Sauber hinterlassen hatte.

Leclerc gestand nach dem Crash, den er unbeschadet überstanden hatte: «Ich war nie ein grosser Halo-Fan, aber ich muss sagen, dass ich unglaublich froh bin, ihn in diesem Fall über meinem Kopf gehabt zu haben.» Und Alonso betonte: «Nicht dass wir einen Beweis gebraucht hätten, aber dieser Unfall zeigt, dass der Halo eine gute Sache ist.»

Der 2016er-Weltmeister Nico Rosberg stimmte dem zweifachen Champion zu: «Wir können die Diskussionen um den Halo nun beenden. Er wird Leben retten.»

Was die Ästhetik angeht, so brachte das Max Verstappen 2020 in Bahrain auf den Punkt: «Ich habe nicht vergessen, wir kritisch ich mich geäussert habe, als der Bügel damals an die Autos kam. Ich fand ihn wirklich unansehnlich. Aber wenn wir wissen, wie der Halo Grosjean geschützt hat, dann brauchen wir uns nicht mehr über Ästhetik zu unterhalten.»
Wir haben in der Formel 1 schon einige Male Neuheiten erlebt, welche Fahrer und Fans als hässlich empfangen: Schmale, hoch angeordnete Heckflügel, überbreite Frontflügel, nicht zu vergessen diese skurrilen Fortsätze der Fahrzeugnasen, die an Ameisenbären oder Delfine erinnerten. Aber jedes Mal war es so, dass sich die Aufregung bald legte, und nach wenigen Rennen war dieses Aussehen völlig normal geworden und keine Erwähnung mehr wert.

So ist es auch diesese Mal. Vom Halo wird eigentlich nur noch dann gesprochen, wenn er macht, wozu er entworfen worden ist – Leben retten.

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